Junger Herr ganz groß. Ханс Фаллада

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Название Junger Herr ganz groß
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752995008



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ich streite mich nicht mit Kindern und jungen Hunden, die verprügele ich nur.«

      Die Röte stieg mir in die Wangen. »Es ist gut, Herr von Lassenthin«, sagte ich. »Ich bin in Ihren Augen nur ein dummer Junge, den Sie getrost beleidigen können. Aber es ist eines alten Mannes unwürdig, was Sie sagen, und Sie haben es fertiggebracht, daß ich mich zum erstenmal in meinem Leben schäme, daß meine Mutter eine geborene Lassenthin ist.«

      Damit machte ich kurz kehrt und stieg die Treppe wieder hinunter.

      »Halt!« rief der Raubold, und als ich ohne zu hören weiter hinabstieg, war er in einem Augenblick bei mir und legte seine Hand schwer, aber nicht unfreundlich auf meine Schulter. Er sah mich durchdringend an. »So scheint doch noch nicht alles alte gute Blut verplempert und versickert. Sieh mich an, Junge. Ich bitte dich um Verzeihung für das, was ich gesagt habe.«

      Ich zögerte noch, seine Hand zu nehmen. »Was Sie gesagt haben, sollte nie unter Ehrenmännern gesagt werden«, beharrte ich.

      »Ich bin doch nur der Raubold«, lachte er. »Wer wird denn ernst nehmen, was ich sage? Komm, mein Junge, sei kein empfindsames Weib, komm mit mir. Ich will ein Glas Wein mit dir trinken und sehen, was ich für dich tun kann. Und das ist mehr, als ich in zehn Jahren hundert Nachbarn angeboten habe.«

      Damit hatte er seinen Arm unter meinen geschoben und führte mich, ehe ich noch überlegen konnte, durch die Tür, durch eine große düstere Halle in ein großes Zimmer, das ganz dunkel gewesen wäre, hätte im Kamin nicht trotz des warmen Junitages ein gewaltiges Feuer aus Buchenkloben gebrannt. Das Zimmer aber sah so aus, als hätte seit Jahren keine Frauenhand dort saubergemacht. Durch die verschmutzten Scheiben drang kaum noch Licht, und die einst schönen Perser des Bodens waren unter Staub und trocken gewordenem Dreck kaum noch zu erkennen.

      Der Alte warf sich ächzend in einen Sessel vor dem Feuer und sagte: »Ich bin ein Höhlenmensch geworden, hier hause ich, jahraus, jahrein. Nicht nach deinem Geschmack, Jungchen? Mein geschniegelter Laffe von Sohn mißbilligt dies auch sehr –« Er unterbrach sich und sah mich plötzlich wieder drohend an: »Hast du etwa was mit dem Gregor? Kommst du seinetwegen?«

      Mit einiger Haltung antwortete ich: »Ich habe meinen Onkel Gregor seit rund zwei Jahren nicht gesehen, und ich habe nicht das geringste mit ihm.«

      Mein Onkel lachte: »Ich sehe schon, du kannst den Zieraffen ebensowenig wie ich ausstehen, und recht hast du. Ich finde ihn auch ekelhaft. Aber für einen Vater ist so etwas schwerer als für einen Neffen.« Er starrte mich unter seinen buschigen Brauen durchdringend an. »Es ist das Blut, Junge«, sagte er. »Achte immer auf das Blut. Sieh nicht auf die Schönheit der Mädels, denk an das Blut. Sieh dir die Eltern an, und die Großeltern, horche nach den Ahnen. Der einzelne ist nichts, das Blut ist alles. Ach, wie ich die Stunde tausendmal verflucht habe, in der die hübsche Fratze mir in den Weg lief!« Er starrte durch mich hindurch. Er stöhnte fast: »Und jetzt wieder, jetzt schon wieder ...«

      Es war mir fast unheimlich vor diesem alten Mann in dieser finsteren Höhle. Das Feuer warf blutige Flecken über sein wildes, verwüstetes Gesicht, aber wie da ein Stück Stirn, der Mund, die scharfe Raubvogelnase aus dem Dunkel huschten, lag nichts Schlechtes im Licht, nur wilder Kummer, Trotz und Eigensinn. Mir fiel ein, daß dem Raubold vieles nachgesagt wurde, aber nichts Unehrenhaftes. Und mir fiel auch ein, daß ich mich unter einem lügenhaften Vorwand bei dem Alten eingeschlichen hatte und daß ich zu Unrecht hier als Gast an seinem Kamin saß. Es schien mir schon ganz unmöglich, meinen lächerlichen Vorwand anzubringen; ich würde ihn jetzt nicht mehr belügen können, nicht nach dem, was er mir eben gesagt hatte.

      Nach seinen letzten finsteren Worten hatte der alte Herr von Lassenthin stumm in die Flammen des Kamins gestarrt, und nach seinem Gesichtsausdruck waren es keine fröhlichen Bilder, die er dort sah. Plötzlich aber schüttelte er das alles ab, so plötzlich wurde sein Gesicht freundlich, daß es mich rührte.

      »Aber ich vergesse meinen Gast«, sagte der Raubold, »den ersten Gast, den ich seit Jahren an meinem Feuer sitzen habe. Dort steht Wein, da sind Zigarren, greif zu, junger Strammin.«

      Ich dankte höflich, da ich weder rauche noch um diese Stunde etwas trinke.

      »Möchtest du diese ekelhaften Dinger, die Papyrossen? Dann müßten wir meinen Herrn Sohn, den Fatzken, bemühen, ich täte es nicht gern.« Ich dankte wieder, das Herz wurde mir immer schwerer, je freundlicher er wurde. »Und nun erzähle«, fuhr er fort, »welch Anliegen du hast. Bist du ein bißchen klamm? – Du verstehst mich, in deinen Jahren war dein Vater immer klamm. Oder hast du sonst Sorgen? Ein Mädchen –? Ich helfe dir schon, ich habe nie ein kleines Herz gehabt.« Der Raubold schlug sich gegen seinen Brustkasten, daß es dröhnte. »Nein, für all das Gesindel hier im Lande war mein Herz immer zu groß.«

      Ich stand auf. »Herr von Lassenthin!« sagte ich und konnte es nicht verhindern, daß meine Stimme zitterte. »Ich verdiene all Ihre Freundlichkeit nicht. Ich habe mich unter einem falschen Vorwand hier an Ihr Feuer geschlichen ...«

      Er sah mich mit schrecklicher Drohung an. Seine Arme hielt er gestützt auf die Sessellehnen, wie zum Sprung geduckt belauerte er mich, aus seiner Brust kam ein Fauchen ...

      »Ich hatte von einem – ehrenwerten Mann, ich schwöre Ihnen, von einem ehrenwerten Mann den Auftrag, Sie eine Viertelstunde festzuhalten. Unterdes sollte mit Ihrem Sohn geredet werden ...«

      Er brüllte, er brüllte keine verständlichen Worte, er brüllte, wie ein Tiger brüllt, im höchsten Zorn. Obwohl ich ihn erwartet hatte, traf mich sein Schlag doch so unvermutet stark, daß ich glatt zu Boden fiel und gegen den Kamin rollte. Die Flammen sengten mein Gesicht, ich war halb betäubt ... Einen Augenblick stand er schrecklich drohend über mir, mit erhobenem Fuß, als wollte er mich in die Glut hineintreten. Wahrhaftig, kein Gedanke an Schonung für mich hat den Raubold von diesem Tritt zurückgehalten. Sondern plötzlich schrie er: »Habt ihr die Metze doch in mein Haus geschmuggelt?« Und stürzte mit einer überraschenden Geschwindigkeit aus dem Zimmer.

      Ich stand langsam auf. Halb taumelnd von dem Schlag tastete ich mich zur Tür, ich hatte das dunkle Gefühl, als sei mein Gesicht versengt, das Haar halb weggebrannt ... Dann traf mich die kühlere Luft der Halle, durch die noch immer offene Tür sah ich den späten Juninachmittag, golden und rein. Ich hörte meinen Alex ungeduldig mit den Hufen scharren ... Nur fort von hier, dachte ich, und tastete mich, noch immer nicht klar denkend, zur Tür ...

      Da erinnerte ich mich plötzlich des alten Geheimrats Gumpel, der wehrlos dem wütenden Angriff des alten Lassenthin ausgesetzt war. Gregor würde viel zu feige sein, auch nur ein Wort für seinen Sachwalter zu reden. Ich hatte Gumpel versprochen, ihn auf meinem Alex heimzuführen. Ich machte kehrt. Ich war noch betäubt von dem ersten Schlag und fürchtete einen neuen, aber ich machte kehrt. Noch erinnere ich mich, wie ich durch die öden, verdreckten Gänge von Ückelitz irrte. Die Seidentapeten hingen in Fetzen von den Wänden, ich stolperte über eine Ritterrüstung, die zusammengefallen quer über dem Gang lag. Manchmal hielt ich an und lauschte, aber es war alles totenstill, und doch meinte ich, ein ewiges Bröckeln, Nagen, Rascheln zu hören, als sinke Ückelitz unaufhaltsam in Staub. Aber das war wohl noch immer das Blut, das mir von dem Schlag in den Ohren summte.

      Durch einen reinen Zufall stieß ich die Tür zu einem Gartenzimmer auf, Gregors Zimmer. Ich war so erstaunt, wie friedlich die drei dort beieinanderstanden, so daß ich ohne ein Wort mit offenem Munde in der Tür stehenblieb. Der schöne Gregor stand, seinen Backenbart streichelnd, an einem Fenster und sah wie gelangweilt in den Garten hinaus, bleich, aber widerlich hochmütig aussehend. Der alte Lassenthin war wie ein Koloss in der Mitte des Zimmers aufgebaut und sah finster auf den kleinen Gumpel, der sehr erhitzt in einigen Papieren wühlte. Beim Öffnen der Tür hatten alle drei die Köpfe gewendet und starrten mich wie einen Geist an.

      Der alte Herr von Lassenthin war der erste, der sprach. »Da ist auch Ihr kleiner Spitzel, alter Fuchs; ich habe nie gewußt, daß ein Strammin ein Spion sein kann. Aber ich bin zum letzten Mal in meinem Leben hereingefallen, man kann dies Pack nicht genug verachten.«

      Der Geheimrat sagte eilig: »Der Junge weiß von nichts, Herr von Lassenthin. Ich habe ihm nur versichert, daß es sich um eine ehrenhafte Sache handelt.«