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geschwei­ge denn die Wirklichkeit des Schatten werfenden Feuers, des echten Sonnenlich­tes draussen vor der Höhle, der duftenden Pflanzen, dem Singen, Rauschen und Rappeln des Lebendigen schlechthin?

      Ich möchte an dieser Stelle einmal eine moderne Nacherzählung des «Höhlen­gleich­nisses» versuchen, (einen gekürzten Text des Gleichnisses stelle ich unten in die Fussnote[25]) denn wir haben ja tatsächlich das Glück, nicht mehr in Höhlen zu hausen, woraus wir merkwürdigerweise schliessen, dass wir «weiter» seien als die Leute damals – aber sind wir das tatsächlich?

      Man gehe also einmal so im Vorwinter zwischen 20 und 22 Uhr durch eine Stadt: Strassenlaternen, beleuchtete Geschäfte und Ampeln bieten Sicherheit, die Angst vor der Dunkelheit schmilzt in ihrem Licht dahin und das ist sicher auch gut so.

      Doch wo sind die Menschen?

      Blau flimmert es aus allerlei Fenstern; alleine sehr oft, manchmal zu zweien, seltener zu dritt oder mehr, sitzen sie gebannt da und starren auf einen mehr oder weniger grossen Kasten, in welchem sich bunte Schattengestalten und bonbonfarbene Gegenstände hin und her bewegen.

      Die mögliche reale Grundlage dieser Schatten ist nicht im gleichen Raum mit diesen Menschen, z.B. hinter einer halb hohen Schrankwand oder Küchenzeile verborgen, sondern vermutlich längst vergangen, verschwunden, abgebaut – nicht nur einfach weit, weit weg in einem Studio, einer hollywoodesken Land­schaft, von welcher aus die schattig-blauen Abbilder geworfen wurden, sondern ganz, ganz weit weg im Nirgendwo und Istnichtmehr und Längstnichtmehrwahr.

      Das gilt natürlich auch für jene buntblütigen Schattensequenzen, welche «Nach­richten» genannt werden und mit einem absoluten Wahrheitsanspruch auf­tre­ten, wie es selbst Platons Schattenspiele niemals gewagt hätten. Dort wussten die Trä­ger der Schatten werfenden Gegenstände zumindest, dass sie blosse Illusio­nisten, Puppenspieler, Taschentrickdiebe sind.

      Welcher Art sind wohl die Ketten, die die Leute in ihrer merkwürdig starren Ab­hän­gigkeit vor den kleinen Kästen halten? Man sieht sie ja gar nicht.

      Tatsächlich, die Gefangenschaft könnte schlimmer nicht sein, denn die Fesse­lung besteht in einer Art bonsaihaften[26] Illusion von Erfüllung: Die Pferde stehen still und starr, weil sie glauben, angekommen zu sein, befriedigt vom blauen Geflimmer, im Lichte der Wahrheit einer bunten Popcornwelt.

      Die Gefesselten verhungern, ohne es zu merken, die Sehnsucht der Seele blutet nicht mehr in unerfülltem Verlangen aus (das kann es auch geben und ist ein geläufiger Zustand fürs Apophatische in der Romantik), sondern erstickt sich selbst, die Nase in einem illusionären Hafersack.

      Gibt es überhaupt jemanden, der aufsteht und die Fenster öffnet, die Gerüche des nahen Parks einatmet, den Lärm der Stadt goutiert als Zeichen des Leben­digen, gar Sterne anschaut über den Strassenlaternen, später den Aufgang der Sonne hinter den Bahngleisen zu restlichen Welt?

      Die eine Person, welche bei Platon die Ketten sprengt, tut es aus Sehnsucht, Hunger, Begierde, Eros – wie immer wir das feurige Tier benennen wollen. «Höhle» ist auch eine Allegorie des Unfertigen, Unbefriedigten, Ungemütlichen, sie ist kalt, zugig, die Steine rau und hart, Feuchtigkeit tropft von Überall her, muf­fi­ger Geruch oder kribbelndes, krabbelndes Viehzeug aus dem Dunkeln hervor. «Höhle» meint immer einen nicht befriedigten Zustand – und das ist, war die Chance … Das Wohnzimmer ist warm und weich, keimfrei freundlich, befrie­det. – Die Sehnsucht stockt, der Philosoph hängt am Tropf aus Kartoffelchips und Bier. –

      Schade, leben wir nicht mehr in Höhlen – schade, glauben wir alles, was wir seh'n!

       (15/10 v.d.Z.– 40 n.d.Z.)[27]

      Eine wichtige Voraussetzung der späteren christlichen apophatischen Theologie bildete die Verschmelzung der griechischen philosophischen Ansätze mit den Vorstellungen der jüdischen Religion, wie sie sich erstmals bei Philon aus Alexandria findet, der von 20 v.d.Z. bis 50 n.d.Z. lebte.

      Wie liessen sich nun die Geschichten aus der Thora, die Riten und Gesetze des jüdischen Glaubens im Licht der Philosophie erklären und deuten?

      Zuerst verortete Philon Platons Ideenwelt im Geist Gottes selber. Dieser Schritt lag schon seit einigen Generationen in der Luft[28] und war unter anderem auch eine Reaktion auf Aristoteles' Ablehnung der rein geistig irgendwo im Nirgendwo verankerten Ideenwelt.

      Die Welt wird aus dieser göttlichen Vernunft heraus geschaffen. Zwar bleibt Gott das Unerfahrbare, Nicht-zu-Beschreibende aber er offenbart sich eben in dieser zweifachen Weise: Einerseits als real erfahrbare Welt, als das Universum und ande­rerseits als logos, als die überall wirkende, schöpferische und erhaltende Kraft, die auch in der menschlichen Seele zu finden ist und ihr ermöglicht, Gott zu erkennen.

      Sie ist das Abbild des logos, der zwei Gesichter hat: Eines ist der Welt zuge­wandt, das andere Gott und so erhält der Logos eine Vermittlerfunktion zwi­schen Mensch und Gott.

      Nomos ist ein weiterer Begriff aus Philons Philosophie und bedeutet Gottes Gesetz, wie es in einzelnen Menschen, beispielsweise den Propheten, in Abraham oder Mose in Erscheinung tritt. Doch auch, wenn der nomos durch einzelne Menschen oder in bestimmten Ländern, Stämmen wirkt, ist er doch ein allgemei­nes, wenn man so will, Kulturen übergreifendes Gesetz, insofern es die Gesetz­mäs­sigkeiten Gottes in der Welt, ihre Wirkungen, abbildet.

      Während die griechischen Philosophen, wie wir oben bei Platon lesen konnten, selber Geschichten und Gleichnisse entwickelten, um den Lesenden, Zuhörenden oder Mitdiskutierenden ihre Gedanken begreiflich zu machen, konnte Philon ausserdem auf einen vorhandenen Fundus, nämlich auf die Erzählungen aus der Thora, zurück greifen.

      Diese Auslegung der heiligen Schriften, in denen der Logos zu finden ist und auch gefunden werden kann qua Teilhabe der Seele am Logos, kann auf verschie­denen Ebenen oder mit verschiedenen methodischen Ansätzen, wie wir heute sagen würden, mit verschiedenen «Sinnen», vollzogen werden.[29]

      Die Vertreibung aus dem Paradies, beispielsweise, ist für Philon die Allegorie für die Vertreibung der Seele aus ihrem ursprünglichen Zustand. Die Erzählung wird so zur Darstellung eines «inneren Konfliktes in jeder Seele»[30] und sich immer wieder neu abspielt.[31]

      Die «Biografien» grosser Figuren in der Thora wie z.B. des Mose, werden so zu generellen Beschreibungen kontemplativer Wege: Moses Aufstieg auf den Berg Sinai schildert für Philon sowohl die apophatische letztliche Unmöglichkeit des kontemplativen Weges (Gott erscheint nicht direkt sondern in einer Wolke) als auch andererseits die ganz «einfache» Lösung für jeden Menschen, es diesem individuell dargestellten Vorbild nach zu tun.[32]

      Im Unterschied zur platonischen Position, ist die Liebe bei Philon kein automa­tisch in der Seele angelegtes Vermögen zu streben, sondern eine Form der Inspiration – also eher von Aussen durch einen Eindruck oder «Gnade» angeregt.

      Die Seele ist für Philon ein Abbild des Logos, weshalb sie in ihrem Streben eher von sich selbst als Seele, absehen muss, sich «nichten», wie Philon es aus­drückt.[33] Diesen, durchaus auch ekstatischen Zustand nennt Philon «nüchterne Trunkenheit», was einer d e r apophatischen Begriffe schlechthin ist, wie wir dann bei Dionysius Areopagites lesen werden.[34]

      2.3.1 Plotin (205–270)

      Plotins Schriften, die sein Schüler Porphyrius in 6 Büchern mit jeweils 9 Ennea­den (Abhandlungen) heraus gab, werden von McGINN als «herausragende Meister­werke der mystischen wie der philosophischen Literatur» bezeichnet[35].

      Augenscheinlich konnte Plotin sogar auf eigene mystische Erfahrungen zurück­greifen und war im Stande die Psychologie solcher Erfahrungen überzeugend dar­zu­stellen.

      Ohne