Название | Transkription |
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Автор произведения | Christoph Papke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750237117 |
In absehbarer Zeit, wurde geantwortet, stünden aufgrund anderer, aktuell brisanterer Stoffe keine Beiträge mit den genannten Inhalten zur Disposition. Grundsätzlich bliebe aber die Berichtserstattung zu relevanten Ereignissen aus der Trennungszeit beider deutschen Staaten aufgrund vieler, historisch noch nicht abschließend aufgearbeiteter Geschehnisse ein Dauerschleifenthema der Redaktion. Ob die kurze Antwort ausreiche, wurde höflich nachgefragt. Hartmann war ein Verfechter nicht unnötig in die Länge gezogener Dienstbesprechungen und eigentlich geneigt, sich mit der Auskunft zu begnügen. Er hatte gehört, was er hören wollte, und hätte den Sitzungsraum vorzeitig verlassen oder der kollegialen Höflichkeit wegen als stiller Zuhörer bis zum nahen Ende bleiben können. Ein kurzer, man könnte sogar sagen unkontrollierter, Impuls veranlasste ihn jedoch, eine nächste, lediglich auf pure Neugier beruhende Frage in den Raum zu stellen: „Kennt sich zufälligerweise jemand von Ihnen, vielleicht eine Kollegin oder ein Kollege aus dem Team der DDR-Berichterstattungen, mit den Möglichkeiten der Stasi aus, Protokolle und Gesprächsmitschnitte linguistisch unter Zuhilfenahme irgendwelcher Computerprogramme auszuwerten? Würden Sie der DDR beziehungsweise dem Ministerium für Staatssicherheit so etwas technisch überhaupt zutrauen?“
Der oberste Boss hatte gefragt, für das gesamte Redaktionsteam eine gute Gelegenheit, das vorhandene Fachwissen und die eigene Kompetenz eindrücklich darzustellen. Durchaus bekannt sei, erfuhr Hartmann, dass die Mitarbeiter der Abteilung 32 des Ministeriums für Staatssicherheit mit Sprachanalysen heimlich aufgenommener Telefongespräche betraut waren, beispielsweise zum Zweck der Stimmenidentifikation. Die DDR, wurde Hartmann mitgeteilt, verfügte über mindestens 73 Abhörstationen, von denen aus operative Ziele selektiv überwacht und deren sprachliche Signale dekodiert wurden. „Meinen Sie“, drang Hartmann weiter vor, „dass die Stasi in der Lage war, mitgeschnittene Gespräche durch den Einsatz spezieller Computerprogramme auf den Wahrheitsgehalt der Sprechenden hin zu untersuchen oder auf geheime Botschaften und beabsichtigte beziehungsweise unbeabsichtigte Signale?“
In erster Linie, erfuhr der Fragesteller, seien Text- und Sprachanalysen beim MfS händisch mit Karteikartensystemen durchgeführt worden, für computergestützte Spracherkennungen und Inhaltsanalysen fehlte vermutlich das Know-how, immerhin hinkte die IT-Technik des Ostens rund 15 Jahre hinter der des Westens her. Andererseits seien allein im Operativen Technischen Sektor des Ministeriums für Staatssicherheit mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigt gewesen. Und eine vorrangige Aufgabe der zur Hauptabteilung A gehörenden Spezialabteilung SWT, die Abkürzung stehe für Sektor Wissenschaft und Technik, habe darin bestanden, westliche Technik zu beschaffen und der Abteilung S, welche für die Technologie verantwortlich war, zuzuleiten. Die Abteilung „Abwehr Mikroelektronik“ habe zudem im Aufgabenfeld „Wirtschaftsspionage“ erhebliche Erfolge bei der Beschaffung westlicher Computertechnologie verbuchen können, unter anderem – und dies sei gesichert - durch Kontakte zu vor allem amerikanischen, westdeutschen und österreichischen Quellen.
Ob es zu diesen Quellen Namen gäbe, fragte Hartmann nach. Ja, aber keine prominenten, nur unbedeutende, wie leitende Angestellte von Unternehmen der Informations- und Telekommunikationstechnik und Beschäftigte in der Anwendungsentwicklung. Darüber hinaus seien einige Sekretärinnen mit Zugang zu gesicherten Bereichen und bestochene Nachtpförtner als konspirative Quellen enttarnt worden.
Eine letzte Frage brannte Hartmann noch unter den Nägeln: „Hat man nach der Wende wirklich keinerlei elektronische Datenträger oder anderes Material des MFS mit sprachanalytischen Inhalten sicherstellen können?“
Nein, wurde geantwortet, habe man nicht. Den DDR-Bürgern wären bei der Erstürmung der Stasi-Zentrale weder elektronische Datenträger noch Tonbandaufnahmen in die Hände gefallen, dafür aber viele Handakten und Printordner mit Textpassagen, die im späteren Verlauf der Stasi-Aufarbeitung speziell auch im Hinblick auf Inhaltsanalysen, Deutungssicherheit, Metaphern, Symbole, versteckte Botschaften und Wahrheitsgehalt analysiert worden waren.
„Wie“, fragte Hartmann, „Es wurde damals wirklich nur Papiermaterial gefunden? Keine Disketten, keine Festplatten oder andere elektronische Datenträger?“
Schön wär‘s, war die Antwort, aber sämtliche Tonaufzeichnungsgeräte und Computer seien kurz vor der Besetzung der Stasi-Zentrale durch das Volk im Januar 1990 von Stasi-Kräften plattgemacht und sämtliche Daten daraus vernichtet worden. In diesem Fall wären die Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit wirklich routiniert und professionell vorgegangen.
Hätte sich Hartmann lediglich auf die Frage zur Planung weiterer Reportagen mit Bezug zur DDR oder zur Wendezeit beschränkt, wären ihm viele schlaflose Stunden der folgenden Nächte erspart geblieben. Die Antworten seiner Fernsehmitarbeiter auf die Anschlussfragen jedoch, vor allem die zum Verbleib jeglicher elektronisch gespeicherten Dokumente, ließen ihn in der Folgezeit zum zwanghaften Marathongeher auf den abgewetzten Rändern seines Wohnzimmerteppichs werden. Der Name Lammroth und sein angebliches Manuskript zu den angeblich dubiösen Besuchen bundesdeutscher Politiker in der DDR hatten es sich in Hartmanns Gedächtnis gemütlich gemacht – zuerst noch ein wenig eingeengt hinter den dunklen Büschen der Verdrängung, dann - lärmend freigelassen - auf den großen Wiesen der professionellen Neugier. Sollte im Endeffekt doch etwas dran sein an den immerhin ziemlich konkreten Andeutungen dieses einerseits unscheinbaren, andererseits hochkriminellen Mannes aus Berlin? Sicher, Namen wurden nicht genannt, aber immerhin hatte Lammroth rausgelassen, dass hochrangige, zum Teil noch ihre Ämter ausführende bundesdeutsche Politiker, darunter sogar Regierungsmitglieder, ihre Stellung offensichtlich missbraucht hatten, um, aus welchen Gründen auch immer, Staatsgeheimnisse an die DDR weiterzuleiten – und dies zum Schaden der Bundesrepublik Deutschland, womöglich sogar zum schweren Nachteil für die äußere Sicherheit. Nur einmal ganz kurz angenommen und rein hypothetisch, hämmerte es immer und immer wieder in Hartmanns Kopf, der Kerl hätte wenigstens bezüglich seiner früheren Tätigkeit beim MfS die Wahrheit gesagt, so verfügte allein dieser Umstand über Bestsellerpotenzial, jedenfalls, wenn man es einigermaßen geschickt anstellte und auf diesem Hintergrund eine gute Geschichte entwickelte. Und weiter angenommen, es existierte sogar ein Manuskript, egal ob auf Wahrheiten oder auf Lügen beruhend, so würde eine Kombination aus hauptamtlicher Stasi-Mitarbeit und politischer Enthüllung mit Sicherheit eine spannende Geschichte tragen. Bliebe noch die Frage, warum Lammroth sich nicht mehr gemeldet hatte. Als verschlagener Fuchs, vielleicht sogar wirklich ehemaliger MfS-Mann, wäre es dem Kerl durchaus zuzutrauen, so reimte es sich Hartmann zusammen, ein kleines Versteckspiel zu treiben, um den Angefütterten noch neugieriger auf das ausstehende Manuskript zu machen. Nach dem Motto: Einfach mal untertauchen und warten, wie der Medienmogul auf eine unschlagbare Offerte reagiert. Auf einen potenziellen Bestseller. Einen Enthüllungsroman der Marke Pulitzer.
Also gut, fasste Hartmann resümierend die Fakten zusammen, dann spielen wir das Spiel. Ich werde dich Bürschchen schon finden. Und herausbekommen, was hinter dir und deinem zweiten Manuskript steckt. Du hast mir also den Fehdehandschuh hingeworfen - und ich habe ihn jetzt aufgenommen, mein lieber Lammroth. Ab jetzt gilt: meine Spürnase für Bestseller gegen deine freche Überheblichkeit, das Buch mit Sicherheit auch anderen Verlagen anzubieten, wahrscheinlich, um die besten Verkaufsmöglichkeiten auszuloten. Gut, die erste Runde mag an dich gegangen sein. Du hast mich angelockt, mich auf den Topf gesetzt. Jetzt aber suche ich dich, spür dich auf und lass dich nicht mehr aus meinen Fängen. Du und dein Manuskript, falls es eins gibt, gehören mir.
Hartmann gefiel sich in dieser neuen Rolle des aggressiven Angreifers. Sie stand ihm wesentlich besser als die eines zaghaft-zögerlichen Bedenkenträgers. Da es ihm nachweislich nicht gelungen war, diesen verrückten Berliner und dessen Manuskript zu vergessen, schien es besser herauszufinden, was wirklich hinter der Geschichte steckte, anstatt sich weiter zu quälen.
Sobald der enge Terminkalender des nächsten Tages es zuließ, bat Hartmann folglich seine Chefsekretärin, Fridjof Pohl, den Leiter der konzerneigenen Rechtsabteilung, zu rufen. Im Allgemeinen lagen in Pohls Verantwortungsbereich Aufgaben wie die Klärung und Abwicklung nationaler und internationaler Verwertungsrechte, die Vertragsgestaltung mit besonders erfolgreichen Autoren, die personalrechtlichen Angelegenheiten der Konzernmitarbeiter sowie alle gerichtlichen Verfahren, die in einem Medienbetrieb anfallen. Der