Transkription. Christoph Papke

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Название Transkription
Автор произведения Christoph Papke
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750237117



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Seite und trank einen weiteren Schluck. Dann stand er auf und lief in seinem großen Büro umher. Was stimmt hier nicht, fragte er sich, ahnend, dass er die Antwort kannte. Er wollte laufen, weglaufen, wie ein ängstlich Verfolgter in Panik. Um sich selbst zu beruhigen, wählte Hartmann den vorgegebenen Weg des Randmusters seines alten Teppichs. Das Muster war farblich von der Innenfläche kaum unterscheidbar auf dreißig Zentimeter abgesetzt und bot sich im rechten Winkel als Laufsteg an. Durch das Umherlaufen wieder etwas beruhigt, überwand Hartmann seinen Ekel, nahm den zur Seite gelegten Papierstapel wieder auf und blätterte zur letzten Seite der Leseprobe. Anschließend trank er den Rest des Tees in einem Zug aus und schleuderte das Manuskript auf den Fußboden. Er war so in Rage, dass er seinem Zorn öffentlich Luft machen musste. Der Konzernchef riss die große Tür seines stattlichen Büros wie ein pubertierender Weltverbesserer auf und verschaffte sich wutschnaubend Luft: „Eine Unverschämtheit! Blasphemie! Ein Verbrechen gegenüber der Literatur! Und ihrer Schöpfer!“ Vier lächerliche Sätze und der letzte eines kleinen Manuskriptes konnten den erfahrenen Herrscher eines riesigen Medienkonzerns also aus der Fassung bringen. Später, viel später, würde er sich fragen warum. Doch jetzt kochte in ihm eine Wut, die er lange nicht mehr kannte.

      „Können wir etwas für Sie tun?“, fragte besorgt eine seiner drei Sekretärinnen, die im Vorzimmer gewohnt waren, Hartmanns Termine zu koordinieren, das operative Geschäft zu organisieren und den Chef vor zeitraubenden Banalitäten zu schützen.

      „Ja, können Sie! Ist Doktor Schneider im Haus?“, antwortete Hartmann im Befehlston und stapfte in sein Lesezimmer zurück. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Hartmanns ehemaliger Cheflektor und jetziger Vorstandskollege das Zimmer betrat. Hartmann hatte sich auf seinen Lesesessel zurückgezogen.

      „Sie hatten mich gerufen. Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte sich der von den Sekretärinnen Gerufene. „Herr Doktor Schneider“, bemühte sich Hartmann die Fassung zu bewahren, „wie lange sind Sie schon im Unternehmen...dreißig Jahre?“

      „Zweiunddreißig, glaube ich, Herr Hartmann“, korrigierte Dr. Schneider höflich. Hartmann hielt einen Augenblick inne, um nicht die vollständige Blöße seiner Entrüstung zu offenbaren. Gefasst schaute er den Weggefährten an. „Wir haben schon Einiges miteinander erlebt. Aufgeblasene Schriftsteller, arrogante Bestsellerautoren, ignorante Möchtegern-Promis, Stars der Weltliteratur und viele, die sich dafürhielten.“

      „Wohl wahr“, stimmte Dr. Schneider zu.

      Hartmann fuhr sich mit der Hand nervös über den Mund und rückte seine Brille zurecht, um sich anschließend weiter Luft zu machen: „Sie wissen doch, dass ich mir zur LS jeweils vier

      zufällig gezogene Manuskripte anschaue, die nicht zur Vorprüfung durch das Lektorat einer unserer Verlage gegangen sind.“

      „Natürlich weiß ich das, Herr Hartmann“, bestätigte Dr. Schneider. „Haben wir etwas falsch gemacht? Oder soll etwas geändert werden?“

      „Nein, nein“, entgegnete Hartmann, „ich will und werde diesen Brauch nicht ändern, schließlich hat er sich bewährt. Aber mir ist soeben ein Manuskript in die Hände gefallen, das mir, ehrlich gesagt, die Zornesröte ins Gesicht getrieben hat. Mir, der beinahe schon alles gelesen hat. Mir, den nichts mehr umwerfen kann, glaubte ich jedenfalls...“

      Dr. Schneider schaute den Sitzenden an. „Das glaubte ich auch, verehrter Herr Hartmann. Aber was hat Sie denn so geärgert?“

      Hartmann wies mit einer kurzen Kopfbewegung auf das am Boden liegende Werk: „Lesen Sie selbst! Die ersten vier Sätze sollten reichen, mehr als genug reichen.“

      Dr. Schneider klaubte das Manuskript vom Boden auf und las die ersten vier Sätze.

      „Mmhh“, stutzte er nachdenklich, während Hartmann zustimmend nickte: „Mmhh! Und – Ihre Meinung?“

      „Die Sätze kenne ich. Offensichtlich bedient sich der Autor kräftig bei anderen Schriftstellern.“

      Hartmann erhob sich von seinem Sessel und trat einen Schritt auf seinen Mitarbeiter zu.

      „Wissen Sie, Herr Doktor Schneider“, mühte sich Hartmann Ruhe zu bewahren, „dass sich Autoren manchmal bei Kollegen bedienen, wie Sie es nennen, ist bekannt. Dass sie sich Wendungen ausleihen oder Ideen stehlen, auch. Dass ein Plot, ein bestimmter Anlass, bisweilen auch eine ganze Geschichte kopiert wird, kennen wir. Aber dass ein Mensch so dreist ist, jeden der ersten vier Sätze und übrigens auch noch den letzten Satz aus einem bedeutenden Werk der Weltliteratur zu stehlen - das ist der Gipfel!“

      Schmollend ließ sich Hartmann in seinen Lesesessel fallen und richtete den Blick zum Fenster. Dr. Schneider nutzte den Augenblick der Stille, um in dem Manuskript weiter zu lesen. „Stimmt“, sagte er, „die nächsten Sätze sind ebenfalls anderen Werken entlehnt.“ Dabei machte er ein amüsiertes Gesicht. „Und das finden Sie auch noch lustig?“, wandte sich Hartmann wieder seinem Gesprächspartner zu.

      „Immerhin“, entgegnete Dr. Schneider schulterzuckend, „die Sätze scheinen auf den ersten Blick logisch aneinandergereiht und ergeben offensichtlich einen Sinn.“

      Mit dem vorsichtigen Eintritt einer von Hartmanns Sekretärinnen wurde das Gespräch unterbrochen. „Entschuldigung, Herr Hartmann, darf ich an den Termin mit Herrn Minister Hunscha um 18 Uhr erinnern?“

      „Ja“, nickte Hartmann seiner Mitarbeiterin zu, um sich dann wieder Dr. Schneider zuzuwenden: „Ich danke Ihnen für Ihr Verständnis und Ihre Einschätzung, lieber Doktor Schneider. Und nehmen Sie diesen Quatsch mit!“

      Dr. Schneider blickte kurz auf das Manuskript und dann zu seinem Boss: „Kann ich sonst noch was für Sie tun? Konnten Sie sich wieder ein wenig beruhigen?“.

      „Danke, Herr Doktor Schneider, wir sprechen morgen weiter“, entließ der Konzernchef seinen Mitarbeiter zu dessen Aufgaben zurück.

      Hartmann wusste, dass er sich nun nicht mehr mit diesem unerfreulichen Vorgang beschäftigen durfte, sondern sich auf das Treffen mit dem Chef des Bundeskanzleramtes vorzubereiten hatte. Diese ein- bis zweimal im Jahr verabredeten Besuche des Bundesministers für besondere Aufgaben hatte sich Hartmann im Laufe der Jahre verdient. Sein Rat war geschätzt bei den jeweiligen Regierungen der Bundesrepublik. Erich Hartmann hatte es verstanden, dem Ruf der Parteien auf eine Mitgliedschaft zu widerstehen und sich stattdessen mit Fachwissen und globalem Beziehungsmanagement den Nimbus eines weltweit anerkannten Wirtschaftsexperten zu sichern. Seine weltweiten Kontakte und Erfahrungen, die Macht seines Imperiums sowie seine strikte Neutralität hatten ihm im Laufe von Jahrzehnten zu Ansehen und Ruhm auch in Regierungskreisen verholfen. Hartmann selbst betrachtete den regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit Polikern als seine persönliche Bringschuld an ein Leben, das ihm eine gewisse Bildung und die Übernahme von Gestaltungsverantwortung ermöglicht hatte. Schon lange waren diese Treffen zu meist wirtschaftspolitischen Fragen des Landes mehr Arbeitsalltag als willkommene Abwechslung. Ein Mann wie er hatte eben diese gesellschaftspolitischen Pflichten zu erfüllen.

      Und so wich die Aufregung über das verwerfliche Manuskript der Konzentration auf den anstehenden Besuch. Pünktlich um 18 Uhr begrüßte Erich Hartmann seinen Gast und führte ihn in den kleinen Salon, einen in Teakholz gehalten Raum mit schweren Ledersesseln am Kamin.

      „Es freut mich wie immer, verehrter Herr Hartmann, Ihnen im Namen des Kanzleramtes die besten Grüße ausrichten zu dürfen“, begann der Minister das Gespräch. Höflich bedeutete Hartmann seinem Gegenüber Platz zu nehmen. „Nun“, fuhr der Kanzleramtschef fort, während er sich setzte, „ich bin beauftragt worden, drei wichtige die Republik betreffende Sachverhalte mit Ihnen zu erörtern.“

      Hunscha vermied es, wie immer in solchen Gesprächen, Ross und Reiter zu nennen. Namen wurden vermieden und persönliche Ämter meist so umschrieben, dass im Zweifelsfall faktisch nichts nachgewiesen werden könnte.

      Bevor Hartmann auf die Themen eingehen wollte, schaute er auf die bereitgestellten Getränke und fragte: „Darf Ihnen etwas zu trinken anbieten, Herr Hunscha? Tee, Kaffee, Wasser?“

      „Einen Kaffee, bitte, schwarz wie die Nacht“, antwortete der Gast. Hartmann goss seinem Gesprächspartner