Название | Das Familiengeheimnis |
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Автор произведения | Peter Beuthner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738093650 |
„Mit Ihrer Hobbystunde verfolgen Sie offenbar das gleiche Ziel wie wir mit unserer gemeinsamen Morgengymnastik“, vermutete Frau Li.
„Im Prinzip, ja, sieht so aus“, erwiderte Ellen. „Aber so eine gemeinsame Morgengymnastik ließe sich bei uns hier in Europa nicht durchsetzen.“
„Bei uns ist es Tradition seit Urzeiten. Wenn Sie frühmorgens durch einen Park gehen, können Sie überall tanzende Menschen sehen oder solche, die ihre TaiChi- oder QiGong-Übungen machen. Das ist unter anderem auch ein Teil ihrer Gesundheitsvorsorge. Insofern ist das auch für die Kinder nichts Ungewöhnliches oder Neues; sie sind es schlichtweg gewöhnt von klein auf.“
„Schön für Sie, wirklich. Da haben Sie uns gegenüber schon einen Vorteil.“
„Und die Mittagspause ist bei uns zwei Stunden, damit die Kinder in Ruhe essen und sich anschließend noch etwas ausruhen können“, sagte Frau Li.
„Bei uns, wie gesagt, nur eine. Aber dafür ist die erste Stunde nach der Mittagspause wieder eine ‚Hobbystunde’ ohne Anspruch auf hochgeistige Konzentration“, antwortete Ellen und fuhr dann mit ihrer Erzählung fort:
„Die Vielfalt sowohl an Leistungs- als auch an Hobbykursen ist sehr groß, so daß die Orientierung für die Schüler zunächst nicht einfach ist, insbesondere bei denen – und das sind mit Abstand die meisten –, die noch gar keine Präferenzen haben. Deshalb beginnen alle Schulanfänger grundsätzlich erst einmal mit den sogenannten Pflichtkursen, zu denen neben der Muttersprache und Mathematik auch die erste Fremdsprache Englisch vom ersten Jahr an gehört. Sie haben aber von Anfang an die Möglichkeit, darüber hinaus weitere, frei gewählte Kurse zu besuchen. Außerdem sind alle Ausbilder gehalten, den Schülern möglichst viele Anregungen zu geben, deren Resonanz – sprich: Interessen – zu erforschen und ihnen dann konkrete Empfehlungen für weitere Fächerbelegungen zu geben. Auf diese Weise werden vielerlei Interessen geweckt; die Schule ist spannend und wird nicht als lästiges Übel empfunden. Die Bereitwilligkeit zum Lernen ist einfach da, und so gibt es auch für die Ausbilder eine größere Befriedigung und weiteren Ansporn, den Unterricht interessant zu gestalten.“
Frau Li schaute ein wenig nachdenklich drein. Vermutlich vollzog sie gedanklich Vergleiche zwischen dem gerade von Ellen Gehörten und den entsprechenden chinesischen Verhältnissen. Ellen machte deshalb eine kurze Pause bis sie feststellte, daß Frau Li wieder ihren Blick auf sie gerichtet hatte. Dann fuhr sie fort:
„Ein nicht unerheblicher Teil der Ausbildung findet am Computer statt. Das hat sehr große Vorteile: Der Lehrer muß nicht mehr mühsam alles an die Tafel schreiben, und die Schüler müssen nicht mehr dessen ‚Gekritzel’ zu entziffern versuchen. Sie müssen auch nicht mehr mit- beziehungsweise von der Tafel abschreiben, sie können sich voll und ganz auf das Gesprochene und die dazu mitgelieferte, anschauliche Bildschirmpräsentation konzentrieren. Sie können diese auch zu jedem späteren Zeitpunkt wieder aus dem Speicher abrufen und erneut durcharbeiten. Insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern ist der Computer eine sehr große Hilfe. So sind zum Beispiel chemische oder physikalische Versuche hervorragend nach didaktischen Gesichtspunkten aufbereitet und dargestellt. Aber auch im Bereich der Biologie, der Erdkunde, der Mathematik, der Geschichte und in anderen Fächern ist der Lehrstoff sehr anschaulich aufbereitet.
Jeder Schüler verfügt über einen tragbaren persönlichen Computer mit Sprach-Ein-/Ausgabe und integrierter Kamera und ist via Funkverbindung und WorldNet mit dem Schul-Computer vernetzt. Auch der Lehrer hat damit die Möglichkeit, Einzelverbindungen zu einem bestimmten Schüler oder sogenannte Konferenzverbindungen zu mehreren oder zu allen Schülern der Gruppe zu schalten. Diese Fähigkeit wird systematisch von Zeit zu Zeit zum interaktiven Fernunterricht genutzt, um auch mit dieser, im späteren Berufsleben sehr häufig angewendeten Arbeitsmethode Erfahrung zu sammeln. Und im Falle einer Erkrankung hat der Schüler damit die Möglichkeit, dem Unterricht trotzdem – vom Krankenbett aus – zu folgen.“
„Ist das auch in closed user groups bezüglich der Zugriffsrechte organisiert?“ wollte Frau Li wissen.
„Ja, natürlich“, antwortete Ellen. „Das ist eigentlich heutzutage generell der Fall, es sei denn, es handelt sich um Informationen von allgemeinem Interesse. Also, mit der heutigen Organisation und Funktion des WorldNet können wir wirklich alle sehr zufrieden sein. Das hat sich sehr gut entwickelt.“
„Das finde ich auch“, bestätigte Chan.
„Um noch mal auf die Unterrichtsstunden in der Schule zurückzukommen“, erzählte Ellen weiter, „so dienen die aber vor allem auch dem persönlichen Kennenlernen und der Kontaktpflege, dem Erwerben der sogenannten Sozialkompetenz, dem Training von Teamwork und der Bedeutung von Gruppendynamik, dem Erlernen von Vortragstechniken sowie der intensiven Diskussion bestimmter Fachthemen. Dieser Thematik wird – seiner herausragenden Bedeutung entsprechend – ein vergleichsweise großer Teil der Ausbildungszeit gewidmet. Die Welt ist so komplex geworden, die Informationsflut dermaßen groß und die Veränderungsgeschwindigkeit so rasant, daß ein Einzelner hier schnell auf sehr verlorenem Posten steht. Die Gesamtheit als Gemeinschaft ist gefordert.“
„Sehr richtig“, kommentierte Frau Li.
„Das ‚Pauken‘ früherer Jahre gibt’s nicht mehr“, erzählte Ellen weiter. „Die ganze Lehrmethodik ist darauf abgestellt, den Schülern selbständiges, logisches Denken und Handeln beizubringen, Zusammenhänge aufzuzeigen, Informationsquellen zu finden und richtig zu nutzen. Faktenwissen wird nicht mehr abgefragt. Man hat erkannt, daß es keinen Sinn macht, die Schüler mit Fakten ‚vollzustopfen‘, die sie nach der Prüfung meist doch nicht mehr brauchen und deshalb sehr schnell wieder vergessen. Viel wichtiger ist, zu wissen, wo man die Informationen findet, die man gerade braucht, und entsprechend schnell – zum Beispiel über das WorldNet – auf diese zugreifen zu können. Des weiteren ist wichtig, diese Informationen richtig zu verstehen, sie zu plausibilisieren und in den Gesamtkontext einordnen zu können. Genau das ist es, was die Schüler heute in jedem Fach lernen. Auch das Abfragen von Vokabeln in den Fremdsprachen gibt’s nicht mehr. Der Lehrer führt Gespräche – auch über den Computer – mit dem Schüler in der betreffenden Fremdsprache und erkennt so am besten die jeweiligen Stärken und Schwächen. Das Ziel ist das Verstehen der Fremdsprache und deren Beherrschung in Wort und Schrift. Dabei ist es irrelevant, ob der Schüler die eine oder andere Vokabel auswendig kennt. Das hört sich jetzt banal an, aber es hat unendlich lange gedauert, bis sich das in allen Köpfen durchgesetzt hat.“
„Hmm, glaube ich“, bemerkte Chan lakonisch.
„Und nur dadurch, daß die sture Paukerei abgeschafft ist, haben die Schüler ja überhaupt erst den Kopf frei für die heutzutage wesentlich umfangreicheren Wissensgebiete, können den größeren Anforderungen unserer Wissensgesellschaft eher gerecht werden und ihre Interessen viel besser entfalten.“
„Das sehe ich auch so“, stimmte Chan zu. „Man muß mit seinen begrenzten kognitiven Fähigkeiten sehr rationell umgehen, wenn man in der heutigen Leistungsgesellschaft bestehen will.“
„Genau. Man darf sich keinen unnützen Ballast aufladen. Aber, um den Gedanken noch kurz zu Ende zu führen: Wir haben weitere Schwerpunkte in der Ausbildung. Da sind beispielsweise Exkursionen und andere Gemeinschaftsunternehmungen zur Vertiefung der Sozialkontakte, Besichtigungsprogramme mit – dem ‚Intellekt’ der jeweiligen Gruppe entsprechend angepaßten – ausführlichen und anschaulichen Erläuterungen zum Erschließen neuer Wissensfelder sowie zum frühzeitigen Kennenlernen ‚der Praxis’, das heißt, bestimmter Berufsbilder, Firmen, Behörden, sozialer Einrichtungen, Vereine, et cetera, aber auch – in etwas fortgeschrittenerem Alter – mehrwöchige Praktika zum intensiveren Kennenlernen. Sie dienen vor allem auch der Orientierung