Название | Wolf unter Wölfen |
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Автор произведения | Ханс Фаллада |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753126494 |
Sie haben grad gesagt, meint Minna ganz ungerührt von dem Ausbruch, denn solche Ausbrüche sind tägliche Kost für sie, und die Gnädige ist ebenso schnell friedlich, wie sie wütend wird ... Sie haben grade gesagt, wenn man jemanden gerne hat, sagt man ihm auch mal was Unangenehmes. Da durfte ich Ihnen auch sagen, daß der Wolf nicht der Sohn von der Petra ist?
Und damit entschreitet Minna, das klirrende Tablett in den Händen, und zum Zeichen, daß sie nun erst einmal Ruhe ›in ihrer Küche‹ haben will, schlägt sie die Tür fest zu.
Frau Pagel versteht das auch und sie respektiert dies altgewohnte Zeichen der Getreuen. Sie ruft nur noch schnell hinterdrein: Schafskopf! Immer gleich beleidigt! Immer gleich wütend! Sie lacht vor sich hin, ihr Zorn ist verflogen. ›So eine alte Eule, bildet sich jetzt ein, Liebe besteht darin, dem andern Unangenehmes zu sagen!‹ Sie geht einmal im Zimmer hin und her, sie ist satt, denn der Zornausbruch kam erst, als sie schon genug gegessen hatte, und sie ist bester Stimmung, denn der kleine Streit hat sie erfrischt. Jetzt bleibt sie vor einem Schränkchen stehen, wählt bedachtsam eine lange schwarze Brasil, brennt sie lange und sorgfältig an und geht dann hinüber in ihres Mannes Zimmer.
6
An der Wohnungstür über dem bronzenen Klingelring (Löwenmaul) hängt ein angeschlagenes Namensschild aus Porzellan ›Edmund Pagel – Gesandtschaftsattaché‹. Frau Pagel marschiert bereits auf die Siebzig zu, es sieht danach nicht so aus, als hätte es ihr Mann im Leben sehr weit gebracht. Betagte Gesandtschaftsattachés sind ein rarer Artikel.
Übrigens hatte es Edmund Pagel so weit gebracht, wie es der tüchtigste Botschaftsrat und bevollmächtigte Gesandte nur bringen kann – nämlich auf den Friedhof. Wenn Frau Pagel in ihres Mannes Zimmer geht, so besucht sie nicht ihn, sondern was von ihm auf dieser Welt zurückblieb – und das hat seinen Ruf in der Welt, weit über die Wände des kleinen Heims hinaus.
Frau Pagel stößt die Fenster des Zimmers weit auf: Licht und Luft dringen aus den Gärten herein. Hier in dieser kleinen Straße, so nahe dem Verkehr, daß man abends die Hochbahn in den Bahnhof Nollendorfplatz einfahren und tags wie nachts die Autobusse rumpeln hört – hier ist ein weitläufiges Ineinandergeschiebe alter Gärten mit hohen Bäumen, verschollener Gärten, die sich seit den achtziger, neunziger Jahren kaum geändert haben. Es ist gut hier zu wohnen – für alternde Leute. Die Hochbahn mag donnern und der Dollar klettern – geruhig schaut die verwitwete Frau Pagel in die Gärten. Das Weinlaub ist emporgestiegen bis zu ihren Fenstern, drunten wächst alles immer weiter, blüht weiter, sät sich aus – die Rasenden, Hastigen, Ruhelosen drüben mit ihrem Gepolter und Betrieb wissen es nur nicht. Sie kann zuschauen und sich erinnern, sie braucht nicht zu hetzen, der Garten darf sie erinnern. Aber daß sie hier immer noch wohnen kann, daß sie nicht mit zu hasten braucht – das hat er gemacht, dessen Werk hier in diesem Zimmer ist.
Vor fünfundvierzig Jahren sahen sie sich zum erstenmal, liebten sich, heirateten sich später. Es gab nichts Strahlenderes, Fröhlicheres, Rascheres als ihn. Wenn sie zurückdenkt, ist ihr immer, als sei sie mit ihm bei hellem Wind durch Blütenstraßen gelaufen. Von den Mauern senkten sich die Zweige auf sie. Sie liefen schneller. Über der Spitze des häuserbestandenen Hügels wehte – zwischen zwei Zypressen – der Himmel wie ein Zelt ...
Wenn sie nur liefen, gleich würde sich der blauseidene Vorhang vor ihnen öffnen.
Ja, was so recht seines Wesens Zeichen war, das war seine Schnelle, die nichts von Hast hatte, die aus der Kraft kam, dem Wohlgefühl der völligen Gesundheit.
Sie kamen zu einer Wiese mit Herbstzeitlosen. Einen Augenblick hielten sie still auf dem festlichen grünen, lilagestirnten Teppich. Dann bückte sie sich zum Pflücken – doch sie hatte kaum zwanzig Blüten in der Hand, da kam er mit dem Strauß, leicht, rasch, ohne Eile, mit dem großen, fröhlichen Strauß.
Wie machst du das? fragte sie atemlos.
Ich weiß nicht, sagte er. Es ist mir immer, als sei ich ganz leicht, wehe mit dem Wind.
Der Vorhang rauscht. Ein halbes Jahr ist vorbei, sie sind nun schon eine Weile verheiratet, die junge Frau hört in ihrem Schlaf einen klagenden Ruf. Sie wacht auf. Ihr junger Mann sitzt im Bett, er sieht völlig verändert aus, dies Gesicht kennt sie noch nicht.
Bist du es –? fragt sie so leise, als fürchte sie, durch ihre Worte könne der Traum Wahrheit werden.
Der fremdvertraute Mann neben ihr versucht zu lächeln, ein verlegenes, um Verzeihung bittendes Lächeln. Entschuldige, wenn ich dich gestört habe. Es ist so seltsam, ich verstehe es nicht. Mir ist wirklich angst. Und nach einer langen Pause, während er sie zweifelnd ansieht: Ich kann nicht aufstehen ...
Du kannst nicht aufstehen? fragt sie ungläubig. Es ist so unwirklich, ein Scherz, Unsinn von ihm, schlechter Unsinn natürlich. So etwas gibt es ja gar nicht, daß man plötzlich nicht aufstehen kann.
Ja, sagt er langsam und scheint es auch nicht zu glauben. Mir ist so, als hätte ich keine Beine mehr. Jedenfalls fühle ich sie nicht mehr.
Unsinn! ruft sie und springt auf. Du hast dich erkältet, oder sie sind dir eingeschlafen. Warte nur, ich helfe dir ...
Aber noch während sie dies sagt, noch während sie um die Betten zu ihm geht, dringt ein eisiges Gefühl in sie ... Noch während sie spricht, fühlt sie: Es ist wahr, es ist wahr, es ist wahr ...
Fühlt sie –? Noch die alte Frau am Fenster macht eine wütende Schulterbewegung. Wie kann sie das Unmögliche fühlen?! Der Schnellste, der Fröhlichste, der Lebendigste – und nicht gehen können, nicht einmal stehen können! Unmöglich, das zu fühlen.
Aber die Eiseskälte bleibt in ihr, es ist, als atme sie die Kälte mit der Lebensluft immer tiefer in sich ein. Das Herz will sich wehren, aber es wird auch schon kalt, der Eispanzer legt sich enger darum.
Edmund! ruft sie beschwörend. Wach auf! Steh auf!
Ich kann nicht, murmelt er.
Er konnte es wirklich nicht. So wie er an jenem Morgen im Bett gesessen, so saß er nun tagaus, tagein, Jahr um Jahr, da – im Bett, im Rollstuhl, in einem Liegestuhl ... saß da, völlig gesund, ganz ohne Schmerzen, nur: er konnte nicht gehen. Das Leben, das so flammend begonnen, das hurtige, rasche, leuchtende Leben, das lachende Glücksleben, blaue Seidenzelte und Blüten – vorbei! Vorbei! Einmal und nicht wieder. Warum nicht wieder –? Keine Antwort. Ach, Herre, Herre, warum denn –? Wenn es aber sein mußte, warum dann so plötzlich –? Warum ohne alle Warnung, ohne Übergang –? Glücklich in den Schlaf geglitten – und elend erwacht, unermeßlich elend!
Oh, sie fand sich nicht damit ab, keinesfalls fand sie sich damit ab! Alle zwanzig Jahre, die dies dauerte, fand sie sich nicht darein. Als er schon längst jede Hoffnung aufgegeben hatte, schleppte sie ihn immer noch von Arzt zu Arzt. An Meldungen von einer Wunderheilung, an einer Zeitungsnotiz entzündete sich ihr Hoffen. Nacheinander glaubte sie an Bäder, Bestrahlungen, Packungen, Massagen, Medikamente – wundertätige Heilige. Sie wollte daran glauben, sie tat es.
Laß es doch, lächelte er. Vielleicht ist es gerade gut so.
Das möchtest du! rief sie zornig. Dich darein finden – demütig, was?! Das wäre bequem! Demut mag für die Übermütigen, die Glücklichen gut sein, die einen Zügel brauchen. Ich halte es mit den Alten, die um ihr Glück mit den Göttern kämpften.
Aber ich bin glücklich, sagte er freundlich.
Doch sie wollte dies Glück nicht. Sie verachtete es, es erfüllte sie mit Zorn. Sie hatte einen Gesandtschaftsattaché geheiratet, einen tätigen Mann, Mensch im Umgang mit Menschen, einen künftigen Botschafter. An der Tür aber hing ein Schild ›Edmund Pagel – Gesandtschaftsattaché‹ und dabei blieb es! Sie ließ kein neues machen: ›Pagel – Kunstmaler‹? Nein, sie hatte keinen Farbenreiber und Kleckser geheiratet.
Ja,