Ein Mann will nach oben. Ханс Фаллада

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Название Ein Mann will nach oben
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753126357



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die Berechnung für die Fundamente, und zeichne die Pläne für den Schachtmeister!«

      »Sie wissen sehr gut«, sagte Karl Siebrecht, »daß ich das gar nicht zu können brauche. Keiner hat bei meiner Anstellung verlangt, daß ich selbständig berechnen und zeichnen soll ...«

      »Du kannst nicht zeichnen!« rief Herr Feistlein triumphierend. »Da mußt du eben den Laufjungen spielen!«

      »... aber ich habe bei meinem Vater so oft solche Zeichnungen gesehen, daß ich es vielleicht doch kann. Jedenfalls will ich es versuchen.« Er nahm dem verblüfften Herrn Feistlein den Grundriss einfach aus der Hand, überlegte einen Augenblick, machte dann noch eine kleine, nur eine winzige Spur spöttische Verbeugung und ging an sein Tischlein im Winkel, das er bisher nur zum Bleistiftspitzen und Paketemachen gebraucht hatte. Er zündete das Gas an.

      »Halt!« rief Herr Feistlein. »Du verdirbst mir die Zeichnung bloß, Karl!« Er fühlte viele Blicke auf sich. Fast verlegen sagte er: »Na, laßt ihn schon! Er wird einen schönen Bockmist anrichten, dieser Laufbursche!« Und er wandte sich zu seinem Zeichentisch. –

      Wenn der Oberingenieur Hartleben auch wortkarg war, so sah er doch viel. Möglicherweise hatte er aber auch seine Zuträger. Es konnte der reine Zufall sein, es konnte aber auch mit Vorbedacht geschehen, daß Herr Hartleben am nächsten Vormittag gerade am Tisch des jungen Siebrecht stehenblieb, erst weiterredete – er berichtete von neuen Bauplanungen des Chefs –, nun einen zerstreuten Blick auf diesen Tisch warf, dann seine Rede unterbrach und erstaunt rief: »I, ich glaube gar! Du machst ja wohl Zeichnungen für den Schachtmeister, Karl! – Herr Feistlein!«

      Herr Feistlein fuhr hoch und lief rot an. »Jawohl, Herr Hartleben! Jawohl! Ich habe dem Jungen – dieser Junge behauptet nämlich, er könnte einfach alles zeichnen ...« Karl Siebrecht sah den Herrn Feistlein fest an. Herr Feistlein verstummte. Eine grobe Stimme rief aus dem Hintergrunde »Oho! Oho!« und verstummte auch. »Schließlich ist er als Hilfszeichner eingestellt«, sagte Herr Feistlein schwach.

      Jemand säuselte vernehmlich: »Und holt Bier –!« Ein paar lachten los.

      Oberingenieur Hartleben hatte die Zeichnung in die Hand genommen. »Gar nicht so schlecht«, nickte er. »Aber – ist das nicht das Gelände, wo aufgefüllt werden muß, wo gar nicht ausgeschachtet wird? Wie, Herr Feistlein?«

      »Ich glaube. Ich erinnere mich momentan nicht genau. Es ist immerhin möglich, Herr Hartleben.«

      »Soso«, sagte der Oberingenieur. »Karl, gib diese Zeichnungen an Herrn Feistlein zurück.«

      Unter tiefem Schweigen der ganzen Zeichenstube trug Karl Siebrecht die Zeichnungen zu Herrn Feistlein. »Bitte sehr, Herr Feistlein!« sagte er.

      »Danke!« murmelte der. Er wollte nach den Zeichnungen fassen, besann sich und befahl, mit zwei Fingern zwischen Hals und Kragen, der ihn zu beengen schien: »Da, auf den Tisch!« Karl Siebrecht ging an seinen Platz zurück.

      »Von nun an, Karl«, sagte der Oberingenieur Hartleben, »bekommst du deine Arbeit von mir zugeteilt, und nur von mir, verstanden?«

      »Ja, Herr Oberingenieur.«

      Herr Hartleben nickte und fuhr in seinem Vortrag über die Bauplanungen des Herrn Kalubrigkeit fort.

      Von Stund an war Karl Siebrechts Stellung im Büro gesichert. Niemand kam mehr auf den Gedanken, ihm Stifte zum Anspitzen anzuvertrauen. Als einzige Erinnerung an überwundene Zeiten verblieb der Stube die Redensart »und holt Bier«. Immer, wenn nach jemandem gefragt wurde, rief ein Spaßvogel: »Und holt Bier!«

      Dann sahen alle Augen zu Karl Siebrecht hin. Er aber sah nicht hoch. Er hatte die angenehmste Arbeit, Herr Hartleben sorgte dafür, daß der Anfänger nicht in der öden Beschäftigung des Pausens steckenblieb. Auch das mußte getan werden, aber dazwischen gab es Zeichnungen, bei denen nachzudenken und etwas zu lernen war. Dann stand der Oberingenieur wohl auch einmal fünf Minuten am Tisch des Jungen und erklärte ihm mit ein paar Worten dies und jenes, oder sein Zeichenstift löste mit einigen raschen sicheren Strichen ein für unlösbar gehaltenes Problem. Manche merkten, daß der Oberingenieur auf eine stille, unmerkliche Art den Laufburschen auszeichnete, und sie gingen dazu über, Karl Siebrecht mit Sie anzureden, unter ihnen als erster der Pickelhering Wums. Herr Feistling redete den Karl Siebrecht nicht mit Sie an, er redete ihn, wenn es irgend zu vermeiden war, überhaupt nicht an. Es hatte wohl noch eine kleine Aussprache unter vier Augen zwischen dem Oberingenieur und seinem Diplomingenieur gegeben. Eine lange Zeit ging Herr Feistlein gedrückt umher, sein Gesicht blühte weniger, und er ließ nichts mehr von der Überlegenheit des Akademikers über die Besucher eines Technikums verlauten. Nein, Karl Siebrecht hatte auf der ganzen Linie gesiegt. Er war im Besitz einer gesicherten Stellung, die tägliche Kündigung war in eine vierzehntägige verwandelt, er lernte etwas und hatte die besten Aussichten auf ein langsam ansteigendes Gehalt. Aber freute ihn das? Es freute ihn gar nicht. Es machte ihn unruhig. Solange seine Stelle noch etwas Provisorisches, Behelfsmäßiges gehabt hatte, war sie zu ertragen gewesen, aber jetzt, da alles in feste, sichere Bahnen gelenkt war, kam ihm immer wieder der Gedanke: Das habe ich doch nicht gewollt! An der Art Vorwärtskommen ist mir doch nichts gelegen!

      Wenn er am Morgen seinen Weg aus der Wiesenstraße nach der Krausenstraße antrat, wenn er aus den engen, überfüllten, schmutzigen Arbeiterquartieren durch das verrußte Industrieviertel der Chausseestraße in den Geschäftstrubel der oberen Friedrichstraße kam und weiterging durch das reichbeschilderte Vergnügungsquartier bis in den Bezirk der Büros, wenn sich dies Tag für Tage wiederholte, die gleichen Läden, die gleichen Schilder, der gleiche mit Fuhrwerken und Autos brausende Verkehr, in dem er unbeachtet mitwimmelte – dann fühlte er, daß er jung war, daß er nicht so mitwimmeln durfte, daß er etwas anderes wollte. Manchmal blieb er stehen, als schüttelte es ihn, und er dachte: Nicht so! Nicht so! Nicht so!

      Und wenn er dann auf die Zeichenstube kam, und leise summend begrüßte ihn das Gas mit seinem süßlichen, weichen Geruch, und wenn er über sein Jackett die Überärmel zur Schonung streifte, und wenn er immer die gleichen Gesichter sah, den Herrn Feistlein und den pickligen Wums und den Bechert und den Karbe, und wenn er dann dachte, daß er im Frühling, im Sommer, heute übers Jahr die gleiche Stube, das gleiche Gas, die gleichen Ärmel, das gleiche Reißbrett seiner wartend finden würde – dann hätte er am liebsten kehrtgemacht, wäre auf die Straße gelaufen und hätte geschrien: Ich will Berlin erobern! Heh, Berlin, hier bin ich! Ich bin kein Stubenhocker und will nie einer werden! Los! Aber dann fühlte er den Blick des Herrn Feistlein auf sich, rasch nahm er den Zeichenstift in die Hand und dachte mit jungenhaftem Trotz: Nun gerade nicht! Dem tue ich den Gefallen noch lange nicht! Der würde ja denken, ich bin vor ihm ausgerissen. Das andere hat noch Zeit, das kann ich jeden Tag anfangen. Jetzt bleibe ich erst noch ein paar Wochen hier und ärgere den, bis er platzt. Nein, er konnte wirklich noch nicht fort – schon um des Herrn Feistlein willen nicht. Und dann hätte er die Rieke Busch auch so betrübt, wenn er diese vorzügliche Stellung aufgegeben hätte – gerade jetzt zur Weihnachtszeit.

      15. Bruder und Schwester

      Ja, Rieke Busch hatte eine so gute Zeit wie noch nie in ihrem Leben. Obwohl nun schon der Dezembermonat gekommen war, in dem die Maurer oft feiern müssen, ging der alte Busch noch alle Tage zur Arbeit. Meistens war Dreckwetter, und wenn es einmal fror, so fror es nur so wenig, daß es der Maurerei keinen Eintrag tat. Unter vier Grad Frost bleibt kein Maurer zu Haus. Auch der alte Busch nicht, der sonst nicht nur den Frost zum Anlass fürs Blaumachen nahm. Jeden Morgen ging er wortkarg und blicklos fort, und jeden Abend erwartete ihn daheim in der Wiesenstraße seine Schnapsflasche, aus der ihm die Rieke einschenkte; erst ganz nach Wunsch, später, als alles gut ging, schon zögernder, schließlich, als alles weiter gut ging, verdünnte sie den Schnaps mit Wasser und setzte dafür gestoßenen weißen Pfeffer hinzu, damit er auch scharf genug schmeckte. Das tat sie in aller Heimlichkeit, auch ihr Freund Karl erfuhr nichts davon. Das gab dann manchmal unruhige Nächte, lange Stunden mußte sie auf Vaters Schoß sitzen, die Arme um seinen Hals, ihm den Bart kraulend, und statt der Tochter die Frau sein – auch davon erfuhr Karl Siebrecht nichts. Denn am nächsten Morgen ging der Maurer Busch wie sonst zur Arbeit. Ihm war nichts anzusehen,