Название | Ein Mann will nach oben |
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Автор произведения | Ханс Фаллада |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753126357 |
Damit verschwand die kleine groteske Gestalt in einem dunklen Torweg, und Karl Siebrecht stand allein auf der Straße. Er setzte sich auf die Karre, ihn fror. Er bohrte die Hände in die Taschen und malte sich aus, wie schön es sein würde, nach diesem langen Tag endlich behaglich im Bett zu liegen. Freilich, wie würde sein Bett aussehen? Und was für ein Mensch würde der Bäcker sein, der so leicht umfiel, wenn Mädchen in Frage kamen? Dieses Kind Rieke Busch schien über alles im Leben Bescheid zu wissen, wie eine Alte. Sie sollte nur machen und schnell kommen – ihn fror jetzt sehr. Eine Gestalt hatte sich aus dem Häuserschatten gelöst und hatte schon eine Weile vor Karl Siebrecht gestanden. Nun sagte der junge, geisterhaft blasse Bursche: »Na, Mensch?«
»Ja?« fragte Karl Siebrecht, aus seinen Gedanken hochfahrend.
»Na –?« fragte der andere wieder.
»Guten Abend!« sagte Karl Siebrecht, der nicht wußte, welche Antwort von ihm erwartet wurde.
»Sore –?« fragte der, trat noch einen Schritt näher und legte eine Hand auf den Korb.
»Hände weg!« rief Karl Siebrecht scharf. Und als die Hand sofort zurückgezogen wurde, fragte er milder: »Was ist Sore?«
»Det weeßte nich? Na, Mensch! Jibste mir een Stäbchen, wenn ick dir sare, wat eene Sore ist?«
»Nein!« erklärte Karl Siebrecht entschieden. »Was ist denn ein Stäbchen?«
»So grün!« grinste der Bursche jetzt. »So grün und denn im November! Du kommst wohl grade vons Land?«
»Wirklich! Ich bin noch keine Stunde in Berlin!«
»Mensch!« sagte der Bengel fast fieberhaft, drängte sich dicht an Karl Siebrecht und flüsterte ihm ins Gesicht: »Sei helle, hau wieda ab. Hier is nischt los, nur Kohldampf und Frieren! Det wird een Winter, sare ick dir!«
»Keine Arbeit?« fragte Karl.
»Arbeet? Nich so ville hab ick letzte Woche vadient, wie ick Schwarzet unterm Daumennagel habe! Du rennst dir die Sohlen ab – aber nischt! Mensch!« sagte der Bursche und drängte sich noch näher. »Mach und schenk mir 'nen Jroschen! Ick habe nich mal so ville, det ick in de Palme nächtigen kann. Weeßte, wat de Palme is?«
»Ja, es ist mir erzählt worden.«
»Det letzte Nacht ha' ick in 'ne Sandkiste im Tiergarten jeschlafen. Mensch, und es is so kalt! Ick bin janz verklammt uff dem nassen Sande, ich war krumm wie 'n Affe. Eenen Jroschen nur, det ick eenmal wieder warm schlafen kann!«
Der Bursche, kaum zwei, drei Jahre älter als Karl Siebrecht, hatte so fieberhaft, so eindringlich geredet, daß es für den Jungen kein Zögern gab. Flüchtig hatte er daran gedacht, wie abfällig er sich eben noch seiner Schlafstelle erinnert hatte, und der hier hatte in einer Sandkiste geschlafen ... Er zog das Portemonnaie aus der Tasche. »Ich will dir gerne einen Groschen geben«, sagte Karl Siebrecht –
? und bekam im gleichen Augenblick einen Faustschlag in den Bauch, daß ihm der Atem verging, daß er sich zusammenkrümmen mußte. Das Portemonnaie wurde ihm aus der Hand gerissen. »Na, Mensch!« rief der Bursche triumphierend. Und ebenso schnell kläglich: »Laß mir los! Ick habe bloß Spaß jemacht! Ick jebe det Jeld wieda! Es war bloß Spaß! Rieke, Ernst –!«
Karl Siebrecht richtete sich ächzend wieder auf. Ja, da war die kleine Rieke Busch und ein junger, blasser Mensch mit einer ungeheuren Rabentolle bei ihr. Sie hielten den Burschen, der jammerte: »Warraftig, Rieke, et war bloß Spaß! Ick wer' doch nich eenen, den du kennst, fleddern! Laß mir loofen, bitte! Rieke, Ernst, sagt's nich meenem Ollen. Meen Olla haut mir zuschanden.«
»Und det soll er ooch!« sagte Rieke böse. »Jarnich genug kann der dir vertrimmen! Du faulet Aas – am Tage dir rumdrücken und nachts die Leute fleddern! Du jehörst uff den Alex, in de Plötze jehörste, nich bei uns Arbeeta!«
»Rieke, beste Rieke –« fing der Bursche wieder an.
»Halt's Maul! – Zähl's Jeld nach, Karl, stimmt's? Und een Kamel biste ooch, Karl, nach allem, wat ick dir jesagt habe, zeigste dem Lulatsch in der Nacht dein Jeld! Dir kann man ooch nich eene Minute alleene lassen, so een Dussel biste. Da is ja Tilda hella.«
»Er hat mich nur um einen Groschen für die Palme gebeten«, versuchte der sehr beschämte Karl Siebrecht sich zu entschuldigen. »Er hat mir erzählt, er hat im Tiergarten in einer Sandkiste schlafen müssen –«
Die beiden, Rieke und der Rabentollige, brachen in ein Gelächter aus, selbst der gefangene Verbrecher grinste schwach. »Und det jloobste?!« rief Rieke. »Dir können se wohl alles erzählen. Denn wirste nicht lange mehr Jeld haben, wenn de de Leute allens jloobst. Du fängst ja jut an, Karl. Weeßte, wer det is? Det is det Früchtchen von dem Schustameesta Krull in de Pankstraße, der is bei seinem Vata Lehrling ins letzte Jahr, der hat een Bett, bessa als du und ick, keene Sandkiste, du! Bloß, det is een fauler Knochen, der will und will nich arbeeten. Sein Vata hat ihn schon halbtot jeschlagen, aba det hilft nischt mehr. Ick jloobe, bei dir hilft nur noch die Plötze, wat?«
»Laß mir loofen, Rieke, dies eene Mal noch! Ick will ooch jewiß nich wieda ...« bettelte der Bursche.
»Natürlich willste wieda! Aba hau ab, Jott sei Dank biste nich mein Sohn. Ich brächte dir zurecht, ick sare dir –!« Und das kleine Wesen funkelte den langen Bengel so gefährlich an, daß er mit einem verlegenen Grinsen einen Schritt zurück trat. Gleich nutzte er die Gelegenheit und stürzte fort ins Dunkel. Sie sahen ihm alle drei einen Augenblick schweigend nach.
»Na ja, der Fritze Krull!« sagte Rieke dann. »Weg mit Schaden! Den schnappen se ooch ohne uns. – So, Karl, und det is der Ernst, von dem ick dir berichtet habe, Ernst Bremer, wat? Det is der Bäcker, een juter Junge, wie ick dir gesagt habe, bloß zu leicht. Hinter alle kleenen Mädchen her.«
Der Bäcker Ernst Bremer, der einen so weißen Teint hatte, als sei er mit Weizenmehl bestreut, lachte recht geschmeichelt: »Det jloobe ihr nich, Karl«, sagte er und gab dem Jungen die Hand. »So fett fiddelt Voß nich. Ha' ick dir schon süße Oogen gemacht, Rieke?«
»Na, weeßte!« antwortete Rieke im höchsten Ton. »Det wollte ick mir ooch sehr vabeten haben! Det wäre woll dein letzter Tag jewesen, wo de 'ne heile Fassage rumjetragen hast. – Und nu faß den Korb an, Karl. Ick dachte eijentlich, der Ernst soll de Körbe tragen, aba dir laß ick nich wieda alleene uff de Straße. Du mußt Berlin erst bessa kennenlernen. Det war 'ne Lehre wie 'ne Ohrfeige for dir.«
»Wir können ja beide die Körbe rauftragen, und du paßt auf«, schlug Karl Siebrecht, doch wieder sehr beschämt, vor.
»Na ja, wenn ihr det wollt, denn mal los! Ick reiße mir nich darum.«
Es ging über zwei, drei dunkle Höfe, einer schien immer enger, riechender, trostloser als der andere. Karl schauderte. Dann ging es eine enge Treppe hoch, eine so vertretene, beschmutzte Treppe mit so scheußlicher Luft, daß es unbegreiflich schien, wie die offene, zungenförmige blaue Gasflamme in dieser Luft überhaupt brennen konnte. Türen über Türen, Gänge über Gänge, Lärm, Sprechen, Poltern, Töpfegeklapper. Frauen, die schweigend und, wie es Karl Siebrecht vorkam, mit feindlichen Augen den Korb an sich vorbeiließen. Immer höher hinauf, immer höher. Und die Luft wurde immer schlimmer. »Wollen wa nich mal vapusten?« fragte der Bäcker. »Du bist det ja nich jewohnt!«
»Nein, laß man, es geht schon. Ist hier immer so schlechte Luft?«
»Ach, du meenst den Mief? Ja, det mieft hier immer, so'n Mief hält warm im Winta. Der hilft Presskohlen sparen.«