Название | Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten |
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Автор произведения | Gerstäcker Friedrich |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783753136059 |
„So lag er sechsunddreißig Stunden, bis er endlich ruhiger wurde oder seine Kräfte doch so aufgerieben hatte, um sich nicht weiter rühren zu können. Die Zwangsjacke wurde ihm dann allerdings wieder ausgezogen, aber Wochen vergingen doch noch, ehe ihn die Aerzte für so weit wieder hergestellt erklärten, die Anstalt verlassen zu können. Er reiste augenblicklich nach Hause, und seine Schwester, die indessen sein Haus verwaltet, fand ihn wohl noch niedergeschlagen und ernst, aber doch sonst ruhig und selbst gefaßt. Er erkundigte sich nach dem Begräbniß, wie es gehalten worden, und ob Mutier und Kind zusammen begraben wären, fragte, ob die Aerzte auch in der That jedes Mittel angewandt hätten, sich von dem wirklichen Tode der Hingeschiedenen zu überzeugen, und schien sich, als ihm alle diese Fragen genü-gend beantwortet worden, vollständig beruhigt zu haben.
„Er aß zu Mittag, trank seinen Kaffee und sagte dann seiner Schwester, daß er hinaus auf den Kirchhof gehen und die Gruft, in der sein Weib und Kind ruhten, besuchen wolle. Seine Schwester wollte ihn allerdings begleiten, aber er lehnte es ab. Er wünschte allein mit seinem Schmerz zu sein, und wenn er sich da draußen ordentlich ausgeweint, werde ihm schon bester und leichter werden."
„Es war im Januar und bitter kalt, und der Kirchhof lag etwa eine halbe Stunde von der Stadt entfernt. Mein Oheim hatte dort ein Erbbegräbniß, ein ziemlich tiefes und geräumiges Gewölbe mit einem eisernen Gitter darüber, in dem die Särge aus der Familie beigesetzt wurden. Den Schlüssel dazu trug er bei sich, die Kirchhofsthür selber war über Tag offen, denn der Todtengräbcr wohnte draußen in der Nähe. So verging der Nachmittag und es wurde Nacht, und mein Oheim kehrte nicht zurück. Seine Schwester ängstigte sich und wartete bis zu später Stunde auf ihn, doch /59/ umsonst. Mit Tagesanbruch aber, als er bis dahin immer noch nichts hatte von sich hören lassen, bat sie einen Mann aus dem Hause, hinaus zu gehen und sich bei dem Todtengräber nach dem Vermißten zu erkundigen. Großer, allmächtiger Gott! wie sollten sie ihn wieder finden! Der Todtengräber ging mit dem Boten zur Gruft, deren Thür nur angelehnt war, und der Anblick, der sich hier ihnen bot, muß fürchterlich gewesen sein, ließ aber auch nicht den geringsten Zweifel über das, was hier vorgefallen. Der Sargdeckel, unter dem meine Tante damals hinausgetragen worden, war abgeworfen, der Sarg leer, und in der einen Ecke des Gewölbes, die kleine Leiche des Kindes fest in das eigene Leichentuch gehüllt, wie um es gegen die furchtbare Kälte zu schützen, kauerte der erstarrte Körper der jedenfalls lebendig Beigesetzten. Bald nach dem Begräbniß mußte sie wieder zu sich gekommen sein und war nicht mehr im Stande gewesen, ihr Gefängniß - ihr Grab wieder zu verlassen. Nur vor dem Sarge war sie geflüchtet, so weit sie konnte, und dort hatte sie, das bleiche Haupt an die eisbedeckte Wand gelehnt, der Tod ereilt. Neben ihr aber, die Arme in wilder Verzweiflung um die erstarrten Glieder der Gattin und des Kindes geschlagen, lag mit durchschnittenen Adern angefroren an den Boden und die Leichen mit dem eigenen Blute - mein Oheim!"
„Allerbarmer!" rief Marie, „das ist ja fürchterlich!" Der Famulus aber fiel wieder in seine wilden, tollen Weisen ein, und nickte dazu, während er sich fast ganz dem Fenster zudrehte, in einem fort mit dem Kopfe, der auf dem langen Halse ordentlich hin und wieder schwankte.
„Entsetzlich ist es," fuhr Helene langsam fort, „wenn man sich in die Lage der Unglücklichen denkt. Sie war nur wieder zum Leben erwacht, um in grauenvollster Weise alle Schrecknisse des Todes noch einmal durchzumachen."
„Merkwürdig bleibt es aber doch," sagte Marie, „daß der Mann vorher den warnenden Traum gehabt. Großer Gott! die Frau lebendig begraben und der Gatte, der ihr zu Hülfe eilen will, in's Irrenhaus gesperrt und in die Zwangsjacke geworfen. Kein Wunder, daß sich der Unglückliche das Leben /60/ nahm, als er das Elend, den Jammer begriff - er muß da wirklich wahnsinnig geworden sein."
Die Töne der Violine wurden hier so furchtbar grell und laut, und klangen so wie Spott und Hohn zwischen die heraufbeschworenen Bilder des Entsetzens, daß die beiden Mädchen den Famulus bestürzt ansahen. Dem aber schienen mit der Erzählung ähnliche Saiten in seiner eigenen Erinnerung berührt zu sein. Jedenfalls hatte er die Gegenwart Anderer neben sich ganz vergessen. Das Gesicht dem Tische zudrehend, warf er das rechte Bein über das linke Knie und ging plötzlich, nach einem kurzen Vorspiel seines Instrumentes, dessen Töne jetzt in der That wie Worte klangen, in eine seiner barocksten Melodien über. Herüber und hinüber zuckten diese wie springende Gnomen und erreichten ihren Zweck wenn sie den gehabt, auch bald vollkommen; denn seine Zuhörerinnen wurden dadurch ordentlich gewaltsam von dem Schreckensbild abgezogen, das Helenens Erzählung vor ihrem innern Geist heraufbeschworen. Im Anfange lauschten sie nur dem sonderbaren, aber nie unmelodischen Gewirre von Tönen, und vergaßen endlich, was eigentlich diesen Sturm von Klängen hervorgerufen, in der Bewunderung über die erstaunliche Fertigkeit, ja, Kunst des Spielenden.
„Träume!" sang da plötzlich Schwiebus mit einer so wilden, heiser knarrenden Stimme, daß die Mädchen, wie sie ihr wenige Tacte gelauscht, und trotz der schaurigen Stimmung, in der sie sich noch vor wenigen Secunden befunden, kaum das Lachen unterdrücken konnten. Ueberrascht schauten sie dabei zu dem langen fahlen Gesichte des Singenden auf, der die wunderlichsten Grimassen dazu schnitt und den ungeschickten Oberkörper, wie um den Tact zu halten, den er auch zugleich mit dem rechten übergeworfenen Beine begleitete, von einer Seite zur andern warf.
„Träume! - Träume, sitzen am Bett, Die närrischen Burschen, und lachen, Wissen wohl, wie es da drüben steht. Wissen nicht, wie sie es machen. /61/
Tanzen, tanzen können sie wohl,
Werfen die schattigen Beine;
Kriechen in's Hirn wie der Has in den Kohl,
Dünken sich Herrn da alleine.
Plaudern können sie, geben nicht Ruh',
Haben schon Manchen betrogen.
Necken und quälen und - greift Ihr dann zu -
Hui! - sind sie blitzschnell entflogen."
„Aber ich habe ja gar nicht gewußt, daß Sie singen können, Schwiebus," lächelte Helene, als er die Strophen beendete und zum Schluß die neckische Melodie durch ein ganzes Chaos von Tönen führte.
„Kann ich auch nicht," sagte der Famulus trocken, „ich mache nur eine Art von Spectakel, den manche Menschen, die es eben nicht besser verstehen, für Gesang halten."
„Nun, schmeicheln thun Sie auch nicht," lachte Helene, „da ist wahrhaftig Ihr Rabe galanter. Der sagt doch jedesmal, wenn ich zu ihm hinüber komme: kluge Frau, kluge Frau!"
„Er wird es eben auch nicht bester verstehen," lächelte Marie, und der Famulus, der keinesfalls die Worte gehört hatte, nickte ganz in Gedanken mit dem Kopfe dazu. Die Mädchen mußten jetzt wirklich laut darüber lachen.
„Ja, ja," sagte aber der Famulus, ernsthaft dabei vor sich hinnickend - „lacht nur, lacht nur, so lange Ihr jung seid und keine weiteren Sorgen, keine Gedanken habt, die Euch quälen und peinigen dürfen. Die Zeit, wo das anders wird, kommt doch noch früh genug."
„Aber es braucht gar nicht anders zu werden, Herr Schwiebus," sagte Marie freundlich. „Wie vielen Menschen hat nicht Gott ein glücklich, friedlich Los beschieden, dem stillen Wasser gleich, das aus sanfter Ebene, unter Blumen hin der Ewigkeit entgegenquillt! Warum sollen wir das nicht auch