Название | Der Schatten ihres Hündchens |
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Автор произведения | Martin Frech |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847677338 |
Schon seit längerer Zeit diskutierten wir nicht mehr so oft, in den letzten Monaten sogar fast gar nicht mehr. Vielleicht lag es daran, dass Harry und Theo, meine Chefs, unbedingt in die Top 100 der deutschen Agenturen vorstoßen wollten und ich öfter als in den vorangegangenen Jahren bis spät abends blieb und manchmal sogar – aber selten, wirklich nur in Ausnahmefällen –, wie auch in der vorangegangenen Nacht geschehen, bis in die ersten Stunden des nächsten Tages hinein.
„Wie viele Liter Kaffee hast du heute Nacht getrunken?“, hatte mich Christine vor etwa einem viertel Jahr einmal gefragt, kurz nachdem ich morgens um halb sechs vorsichtig das Schlafzimmer betreten hatte und nach einem prüfenden Blick auf ihre Seite des Bettes davon überzeugt gewesen war, dass sie noch tief und fest schlafe, und ich hatte gesagt, ich wisse es nicht.
„Und wie viele Zigaretten hast du geraucht?“
Das wusste ich natürlich genauso wenig, und auch auf ihre letzte Frage: „Was glaubst du, wie lange du noch lebst, wenn du so weitermachst?“ konnte ich ihr keine zufriedenstellende Antwort geben.
Sie hatte sich inzwischen in ihrem Bett aufgesetzt und machte einen sehr wachen und sehr unzufriedenen Eindruck. Sie sagte, dass sie es als Zumutung ansehe, mit jemandem zusammenleben zu sollen, der nicht nur jeden Moment tot umfallen könne, sondern auch noch Lust an diesem „Spiel“, wie sie es nannte, empfinde. Sie sagte, meine Lebensführung sei nichts anderes als Russisches Roulette, und irgendwann werde mein Herz stehen bleiben, irgendwann nachts um halb drei oder um halb vier, während ich gerade einen idiotischen Slogan für eine neue idiotische Dauerwurst oder ein beschissenes Abführmittel formulierte. Ich sagte nicht, dass für idiotische Slogans Günter und Robert zuständig seien, und ich wies sie auch nicht darauf hin, dass sie gerade „beschissenes Abführmittel“ gesagt hatte – man muss sich diese Formulierung einmal auf der Zunge zergehen lassen! – und dass man so schnell nun auch wieder nicht tot umfalle. Aber ich hätte sie gerne gefragt, ob es ihr vielleicht lieber wäre, wenn ich, statt zu nächtlicher Stunde am Schreibtisch, morgens beim gemeinsamen Frühstück mit einem letzten Röcheln vom Stuhl sänke oder mich vielleicht sogar am Steuer meines Alfa von der Welt und von ihr verabschiedete – denn sie müsste natürlich dabei sein! –, sagen wir einmal, irgendwo auf der Küstenstraße zwischen Collioure und Port Bou, wo man stellenweise nicht allzu weit von der Fahrbahn abkommen muss, um sich einige Momente später und achtzig oder auch hundertzwanzig Meter tiefer im blauen Mittelmeer wiederzufinden.
Nach dem Wetterbericht machte ich das Weckerradio aus. Ich blieb noch einige Momente liegen, und dann hörte ich im Flur die Dielen knarren. Christine war also wieder da! Ich spürte die Freude darüber in mir hochsteigen und wollte schon aufstehen, um sie zu begrüßen, als mich der Gedanke daran, dass sie mich mit ihrer Abwesenheit und dem Zettel hatte ärgern wollen, zurückhielt. Sie sollte nicht sehen, dass ihr Nachhausekommen mir gute Gefühle machte! Ich wartete also noch einige Momente, bis ich glaubte, mich so weit beherrschen zu können, dass meine zur Schau gestellte coolness überzeugend sein würde, dann stand ich endgültig auf. Da nichts mehr zu hören war, nahm ich an, dass sie in ihrem Arbeitszimmer saß. Wenn sie hören würde, dass die Schlafzimmertür sich öffnete, würde sie sicher erwarten, dass ich gleich zu ihr hereinkäme. Sollte sie! Ich ging in die Küche, setzte Kaffeewasser auf, holte mehr oder weniger geräuschvoll Geschirr und Besteck aus dem Schrank und wartete meinerseits auf ihr Erscheinen. Aber auch sie tat mir den Gefallen nicht. Was sollte ich tun? Ich entschloss mich zu einem Kompromiss. Ich machte Kaffee für uns beide, und so könnte sie sich, wenn sie käme, gleich mit an den Tisch setzen und hätte gleichzeitig ein Zeichen dafür, dass ich an sie gedacht hatte, und ich könnte ja auch noch, je nachdem, wie ihr Gesichtsausdruck sein würde, sagen, dass ich sie nicht hätte stören wollen.
Sie ließ sich aber nicht blicken.
Ich aß eine Scheibe Toast mit Schinken, eine weitere mit Käse, schenkte mir Kaffee nach, rauchte zum Abschluss eine Zigarette und hatte schließlich keinen Grund mehr, noch länger in der Küche zu bleiben. Also gut. Ende des Spiels. Ich ging zu ihrem Arbeitszimmer, klopfte und trat, ohne ihre Antwort abzuwarten, ein.
Sie war nicht da.
Ich hatte in der Küche gehockt und auf sie gewartet, und sie war überhaupt nicht da! Ich kam mir vor wie ein Idiot. Trotzdem machte ich noch einen Schritt ins Zimmer und schaute hinter die Tür. Dabei kam ich mir noch mehr vor wie ein Idiot. Ich wusste, dass sie nicht dahinter stehen würde. Aber ich musste schauen. Natürlich stand sie nicht dahinter. Ich ging zu ihrem Schreibtisch. Der Computer war ausgeschaltet und der Monitor vollkommen kalt. Ich ließ ein letztes Mal meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Es gab keinen Gegenstand, hinter dem sie sich hätte verbergen können. Ich ging wieder hinaus.
Ich schaute im Wohnzimmer nach, in meinem Arbeitszimmer, im Bad und in der Gästetoilette.