Название | Die Balken biegen sich doch nicht |
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Автор произведения | Günther Seiler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738050998 |
Von dieser guten Stimmung war heute aber partout nichts zu bemerken, der Regenblues machte am Tresen die große Runde. Die Thekengäste schauten sich eher ziemlich gelangweilt an und wären froh, wenn ein neuer Gast an den Tresen käme, an dem man sich so richtig reiben konnte. Nur dem Tüftler machte das Wetter überhaupt nichts aus. Er bekam von Engelbert seinen zweiten Grog und merkte es nicht einmal. Er langte automatisch zum Grogglas und wenn man dachte, er blickte in die Runde der Menschen an der Theke, war er mit seinen Gedanken Lichtjahre von ihnen entfernt. Das Thema, was wohl alle Insulaner bei schlechtem Wetter interessierte, war, ob die Fähre heute bei diesem Wetter führe oder nicht. Dabei wurde das Wort 'bei diesem' immer ganz besonders in der Betonung hochgezogen. Die Fähre war aber auch bei jedem Wetter ein Thema. Dieses Thema würde auf dem Festland naturgemäß keinen interessieren, aber wenn der Festländer erst hier eine Zeit wohnte, fragte er viel häufiger nach der Fahrmöglichkeit der Fähre als die Insulaner. Das hatte wohl mit der Urangst eines Menschen zu tun, von der Außenwelt ohne Nahrung abgeschlossen zu werden und langsam zu verdursten und zu verhungern. Sie sahen sich wohl schon in der misslichen Lage, wenn der Sturm abzog, auf allen Vieren am Strand kriechend, mit aufgeplatzten Lippen und schweren Lidern und ‚Wasser, Wasser‘ rufend. Sie fanden aber kein Gehör und der linke Arm wurde wie zu einem letzten Gruß mit allerletzter Kraft in die Luft gehalten und die gnadenlose sengende Sonne zeigte die Fata Morgana einer Stadt und danach fiel der Oberkörper mit einem Rums in den heißen Sand. Die Möwen warteten schon. Engelbert kannte das in all den Jahren an der Theke seiner Kneipe. Er pflegte dann immer mit seiner Bassstimme dröhnend in die Kneipe zu rufen: „Ist hier schon jemand auf der Insel verdurstet? Der möge sich bitte bei mir melden!“ Das brachte immerhin einige Lacher, bei einigen wohl auch verzweifelte. Engelbert verstand es aber stets, alle zu beruhigen. „Wir leben nun mal auf einer Insel und da kann es passieren, dass wir witterungsbedingt eine kurze Zeit, ich wiederhole, kurze Zeit vom Festland abgeschnitten sind. Wir haben genügend Vorräte auf der Insel und selbst der stärkste Frost kann uns nicht umwerfen. Wir werden dann mit Flugzeugen und Hubschraubern versorgt. Falls der Rum ausgehen sollte, eher habe ich aber einen Sechser im Lotto, nehme ich meine Schlittenhunde aus dem Stall und kutschiere selber nach Esens und hole Nachschub.“ Nun, aber unabhängig davon ist natürlich auf der Insel die Frage nach dem tideabhängigen Fahrplan der Fähre berechtigt. Es ist auch ein Eröffnungsgespräch bei fremden Gästen am Tresen. „Na, ob die Fähre wohl fährt?“ Schon hatte man vor dem zweiten Thema, „Wie wird das Wetter?“, einen Anknüpfungspunkt, der oft dergestalt ausgebaut wurde, dass der neue Gast einen Grog ausgab. Engelbert erklärte stolz seinen Tresengästen gerade die neuerworbene Saftpresse. Damit konnte er mit geschnittenen Äpfeln und Karotten einen herrlich sämigen Saft herstellen und als Energieträger anbieten. „Das trink man selber, damit dein Kamillentee im Magen nicht so alleine ist“, schüttelte sich der Stammgast Bruno Schmidt.
Engelbert wollte in der Erklärung seiner Wunderpresse gerade fortfahren, als sich die Kneipentür öffnete und wie ein nasser Pudel ein neuer Gast eintrat. „Nun kommt das Reibeisen, von dem die Tresenkameraden gerade redeten“, dachte Engelbert und brach seinen Verkaufsvortrag ab. Bruno Schmidt drehte sich um und sagte: „Mann, da kommt ja unser Reibeisen, jetzt wird es hier endlich lustig.“ Der Gast schüttelte den Regen ab, zog seinen Regenmantel umständlich aus und begrüßte die Gäste. Die Begrüßung bei ihm unbekannten Personen ging folgendermaßen ab: „Gestatten, mein Name ist Oberst außer Dienst, Hermann Schlünders, Bonn - Bad Godesberg, Hardthöhe.“ Dabei nickte er kurz und militärisch nach den Seiten hin und schlug mit einem Klacken seine Hacken zusammen. Bruno sagte immer: „Wer das nicht glaubt, muss es selber sehen. Der könnte auf dem Jahrmarkt auftreten.“ Einmal hatte ein Gast zum Oberst a. D. folgendes gesagt: „Ich war schon einmal in Bonn, aber den Stadtteil Hardthöhe kenne ich nicht.“ Daraufhin hatte der freundliche Herr Oberst a.D., der immer Korrekte, erwidert: „Die Hardthöhe ist das Verteidigungsministerium in Bonn.“ „Museum wäre besser“, hatte Bruno geantwortet. „Verteidigungsmuseum klingt doch viel besser, da wir uns neuerdings mit dem Ostblock gut verstehen.“ Schon wurden die heißesten politischen Theorien am Tresen leidenschaftlich diskutiert.
Der Oberst, wie er hier intern hieß, hatte für die Insulaner ein merkwürdiges, skurril anmutendes Hobby. Er war ein sogenannter Sondengänger. „Ein Sonderling bist du auch“, bemerkte ein Thekengast, als der Oberst von seinem Hobby berichtete. Der Oberst gehörte zu der merkwürdigen Kaste in unserem Land, deren Mitglieder mit einem Metalldetektor und mit einem Kopfhörer bewaffnet, frühmorgens oder kurz vor Sonnenuntergang, so als wären sie menschen- oder lichtscheu, wie böse Zungen sagten, loszogen und in einem gleichmäßigen Rhythmus das Suchgerät waagerecht vor sich langsam hin und her schwenkten. In der linken Hand hielten sie eine kleine Schaufel und in Abständen stutzten sie, prüften gezielt noch einmal die Stelle, bückten sich und fingen mit der Schaufel zu graben an. Ihre Ausbeute ließ sich jedes Mal sehen, sie fanden jede Menge an Münzen, Uhren, Ringe und vor allen Dingen Bierverschlüsse aus Metall und auch Schlüssel. Der Oberst hatte bereits einen Ring gefunden, der vom hiesigen Juwelier auf mehrere