Название | Herzkalt |
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Автор произведения | Joachim Kath |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847659020 |
Ich fuhr nach New York zurück, genauer nach Greenwich Village, in die Nähe des Washington Square. Dort kannte ich ein kleines, auf Französisch getrimmtes Restaurant namens „Village Bistro“. In dieser Gegend wurde seit Jahren versucht, mit Bäumen und schmiedeeisernen Zäunen die Zeit festzuhalten und eine Atmosphäre künstlerischer Freiheit zu schaffen. Eine Oase gegen den grauen Beton der Grundstücksspekulanten, die Künstler und andere sensible, oft auch labile Menschen, magisch anzog.
Mein Plan war, hier Junkies zu finden, die noch nicht kriminalisiert waren. Rauschgiftsüchtige, die eben nicht zu den so genannten „Muggern“ gehörten, die jeden Tag eine alte Frau überfallen oder ein Autoradio samt Navi klauen, um sich ihre Tagesration Heroin beschaffen zu können. Jemanden also, dem man halbwegs würde vertrauen können und der trotzdem, für jeden Dealer erkennbar, süchtig war.
Die Idee war folgende: Wenn ich einem Abhängigen Geld für Drogen gab und dafür Informationen verlangte, war das sicherlich nicht besonders moralisch, aber auf jeden Fall für ihn ein lukratives Geschäft. Gut, es kommt auf die Höhe der Summe an, doch er riskierte auch nicht viel. Viel weniger jedenfalls in Vergleich zu dem, was Menschen sonst bereit sind zu tun, um an ihren Stoff zu kommen. Die einzige Gefahr bestand darin, dass der Dealer Verdacht schöpfen könnte. Deshalb stellte ich mir für diese Sache einen Typ vor, der ein intelligenter Einzelkämpfer ist und nicht einer Gruppe angehört, die auf den Gedanken kommen könnte, ihn zu verpfeifen oder mich zu überfallen.
Die Schwierigkeit bestand für mich darin, als ein in der Drogenszene Unkundiger eher zufällig auf jemanden zu treffen, der den skizzierten Vorstellungen einigermaßen entsprach. Ich musste ihm gewachsen bleiben, auch körperlich. Denn ein Abhängiger würde nicht zögern, jemanden zu erpressen oder auszurauben, vielleicht sogar zu ermorden, wenn er das Gefühl hätte, so an Kapital für seine Drogenkäufe zu kommen.
Ich saß also in dem Restaurant vor meiner mit Käse überbackenen Zwiebelsuppe und beobachtet genau, aber überhaupt nicht aus den Augenwinkeln, wie es bei solchen Gelegenheiten oft unzutreffend heißt, die Nebentische und den Eingang. Maler mit grünen und orange Farbklecksen und Bildhauer mit Steinstaub auf den Jeans, saßen stilgerecht vor ihren Pernods. Man sah Baskenmützen, die schwarz gewesen waren und jetzt diesen blaugrauen Speckglanz hatten. Fast alle Leute hatten Nikotonfinger von ihren filterlosen Zigaretten. Sie lebten das Klischee bis zur Selbstaufgabe. Es vergingen fast zwei Stunden.
„So muss es in Paris aussehen!“ dachte ich. Und gleichzeitig war ich mir sicher: Jedenfalls in der Vorstellung vieler Amerikaner. Wenn wir allerdings irgendwo auf der Welt hinkommen, sieht immer alles ganz anders aus als in unseren Hollywood-Filmen. Meistens weniger makellos. Diese Tatsache ärgert uns unbewusst und wir beginnen damit, es zu verwandeln. Sicherlich gibt es längst Hamburgers auf der Straße, deren Namen wir nicht richtig aussprechen können. Champs Elysee, so einfach ist das mit dem a und dem y nicht für uns. Mein Gott! Jane hatte sich so auf Paris gefreut. Auf das Original, das immer besser ist als die Kopie in Las Vegas. Aber auch teurer. Wer weiß, was sie bezahlen musste?
„Noch frei?“ fragte mich ein Junge im feinen englischen Tweedanzug und deute auf einen der Stühle an meinem Rundtischchen. Ohne die Antwort richtig abzuwarten setzte er sich und begann nervös, aber fast lautlos, mit den Fingerkuppen auf die Glasplatte zu trommeln. Mich störte es nicht sonderlich. Mon Dieu, war der Bengel zappelig. Mit einen Fuß schlug er den Takt zu einem Chanson, der aus der Musikbox dudelte. Seine Augen schienen einem Tennisball zu folgen.
„Waiting for somebody?“ fragte ich um ins Gespräch zu kommen.
Er nickte fast unmerklich und ohne mich anzusehen. Bald darauf kam ein hünenhafter Schwarzer mit Sonnenbrille und diesem bekannten schwarzen Trilby-Hut mit weißem Band herein, schaute sich kurz um und ging dann durch das Lokal zum Waschraum. Mein Nachbar, der das Eintreffen des Mannes mit sichtlicher Erleichterung registriert hatte, bewegte sich ebenfalls in Richtung Toilette. Ich drückte auf die Stopptaste meiner Armbanduhr. Nach exakten zweieinhalb Minuten kam er wieder und setzte sich auf seinen Platz. Kurz darauf verließ der Schwarze das Restaurant.
Ich setzte alles auf eine Karte und überwand meine Ängste.
„Wissen Sie, wo man hier Hasch bekommt?“ fragte ich leise. Ihn mit der Einstiegsdroge anzubaggern, erschien mir weniger direkt.
„An jeder Ecke“, sagte er mitleidig, „an jeder verdammten Ecke von ganz New York!“
„Und härtere Sachen?“ bohrte ich nach.
„Wenn Sie genug Geld haben, Sir“, sagte er höflich, „schickt man Ihnen das Zeug per Post!“
„Airmail oder normal?“ fragte ich lächelnd.
„Sie sind wohl ein Aufkäufer von der Polizei“, sagte er so wie man etwas sagt und nicht meint.
„Sehe ich so aus?“
„Nicht gerade, Sir. Sie sehen aus wie einer dieser Bürotypen, so einer von der Sorte, die alles besser weiß. Mein Alter hat eine ganze Horde von denen bei sich im Geschäft herumlaufen.“
„Was macht denn Ihr alter Herr?“
„Der verdient seine Kohlen in der Werbebranche! Cash wäscht so weiß, weißer geht’s nicht und so!“
„Ich mache auch so etwas Ähnliches!“
„Sehen Sie, habe ich doch gleich gewusst! Sie sind nicht von der Polizei. Die Bullen, die auf Junkiefang gehen, verkleiden sich immer wie echte Junkies nach ihrer Meinung aussehen. Daran erkennt man sie dann zehn Meilen gegen den Wind.“
„Sie sehen nicht wie ein Junkie aus!“
„Nein, noch nicht. Dazu bin ich erst zu kurz dabei.“
„Sie sehen aus wie ein Bursche aus wohlhabendem Hause!“
„Wenn man mal an der Nadel hängt, ist man schnell arm dran. Nur einmal probiert, weil man nicht feige sein wollte und auch weil man neugierig ist und sich Willenstärke zutraut, und schon haben sie einen.“
„Wer, sie …?“
„Die kleinen, dreckigen, oft selbst drogenabhängigen Dealer, die davon leben, sich ein paar Dutzend Milchkühe zu schaffen.“
„Meine einzige Tochter ist an einer Überdosis gestorben“, log ich. Genau genommen war das mein Alptraum und als ich ihn aussprach wurde er zur Realität. Ich erschrak und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Unsere Jane sollte sich auch einen goldenen Schuss gesetzt haben, genauso wie ihre Freundin Dorothy? Nein, das konnte gar nicht sein, niemals würde sie das freiwillig tun. Irgendjemand hatte sich schuldig gemacht, wenn es wirklich so wäre. Vielleicht auch ich, weil ich mich zu wenig um sie gekümmert hatte. Der Beruf, keine Zeit, andere Interessen. Doch es würde jemand geben, der die Hauptschuld an ihrem vermeintlichen Schicksal trug. Hoffentlich nicht ich, denn durch mein jetziges Engagement zur Klärung einer möglichen Tat könnte ich mich nicht reinwaschen. Ach was, Zweifel! Schuldgefühle sind nichts als neurotische Störungen, versuchte ich mich zu beruhigen. Weiter nichts as die Angst des Ichs vor dem Über-Ich.
„Und jetzt wollen Sie den Detektiv spielen!“ riss mich der junge Mann aus meinen Gedanken. „Liebender Vater sucht den Mörder seiner Tochter. Das ist definitiv zu spät. Die Tragik vieler Eltern. Immer sind sie das ganze Leben ordentlich und pünktlich gewesen. Oft sogar gläubig. Und wenn es wirklich darauf ankommt, verpassen sie den Zug der Zeit!“
„Können Sie mir helfen?“ wollte ich das Gespräch auf ein mir in die Karten spielendes Gleis bringen.
„Nee, kann ich nicht. Wo der Tod war, hilft kalte Rache wenig. Jeder muss sich in dieser Welt um sein eigenes Seelenheil bemühen.“ Grußlos stand er auf und verschwand.
Mein erster Versuch, jemanden zu finden, der