Nach Amerika! Bd. 2. Gerstäcker Friedrich

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Название Nach Amerika! Bd. 2
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753136035



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gegen die Menschen, die einen armen Unglücklichen kalt und teilnahmlos verderben ließen, ohne sich viel um seine Schuld oder Unschuld zu kümmern, und dem Gemordeten kaum ein einsam verachtetes Plätzchen an der Kirchhofsmauer gönnten; von einem Gefühl des Hasses gegen den Mörder selbst, der frei und ledig, in Glück und Reichtum – der Beute seines Verbrechens – unter Gottes Sonne wandelte. Nur an Clara hing sie mit aller Liebe und Aufopferung, deren ihr warmes, weiches Herz fähig war, nur in Clara sah sie die Leidensschwester – nicht mehr die Gebieterin – die mit ihr noch stärker fast getroffen und geschlagen worden, und einem Schatten gleich lag eine dunkle Ahnung, der sie nicht Ausdruck und Form zu geben wußte, auf ihrer Seele, daß der Verstorbene in größerem Schmerz und Weh dahingeschieden, auch von i h r verkannt zu sein.

       «Und Sie glauben, daß Sie der Sache vorstehen könnten?» sagte Hamann endlich, wieder vor ihr stehenbleibend und ihr scharf und forschend ins Auge schauend.

       «Ich glaube es», sagte Hedwig, dem Blick fest begegnend.

       «Haben Sie Zeugnisse?»

       «Ja – hier.»

       Der Wirt überlas die Papiere und gab sie ihr zurück.

       «Ja, das klingt alles recht schön», sagte er, «aber ist weit von hier, und irgendein Torschreiber oder Bäcker kann das ebensogut geschrieben haben, aber… », setzte er rasch hinzu, als er sah, daß sich die Wangen des jungen Mädchens unter dem halben Verdacht tiefer färbten und sich ihre Gestalt höher emporrichtete, «aber das kann und wird auch wohl alles in Ordnung sein, nur darauf gehen können wir hier nicht, und müssen selber sehen und prüfen. Sind Sie das zufrieden?»

       «Ich will eine Woche auf Probe meinen Dienst antreten», sagte Hedwig, «wenn Ihnen das genügt.»

       «Das wäre gut», sagte Herr Hamann leise, mit dem Kopfe nickend, «und wieviel Lohn verlangen Sie?»

       «Keinen.»

       «Ich meine nicht für die Probewoche, sondern überhaupt.»

       «Keinen», sagte die Jungfrau fest und entschieden.

       «Keinen Lohn?» rief Herr Hamann, überrascht zur ihr aufschauend. «Und was sonst dafür? Denn um gar nichts kann ich mir doch nicht gut denken, daß Sie arbeiten wollen?»

       «Nein», sagte Hedwig mit leiserer Stimme als vorher, «ich verlange vielleicht mehr dafür, als Sie gesonnen sind, mir zu bewilligen, könnte aber auch nur unter der Bedingung die Stelle, die ich gewiß zu Ihrer Zufriedenheit ausfüllen würde, annehmen.»

       «Und das wäre?»

       «Ich habe eine kranke Schwester in der Stadt», sagte Hedwig, «das wenige, was wir mitgebracht, ist halb verzehrt, und ich suche deshalb einen Dienst, um uns beide zu erhalten, bis meine Schwester wieder zu Kräften gekommen ist. Alles, was ich bis dahin für meine Arbeit verlange, ist, daß sie mein Zimmer mit mir bewohnen, mein Lager mit mir teilen darf und die wenige Nahrung erhält, die ihr Körper verträgt.»

       «Eine Kranke ins Haus nehmen?» sagte Herr Hamann kopfschüttelnd. «Nein, Mamsell, das ist eine mißliche Sache, davon hat man nur Schererei und Kosten, und darauf k a n n ich mich nicht einlassen.»

       «Sie ist nicht mehr k r a n k », sagte Hedwig rasch, «nur noch schwach und erschöpft von schwerem, doch ü b e r s t a n d e n e m Leiden. Nur Ruhe bedarf sie, keiner Pflege mehr, auch verlange ich nicht, daß sie mit an der Wirtstafel ißt; das wenige, was sie braucht, würd’ ich ihr selber bringen.»

       «Wie heißen Sie?» frug Herr Hamann.

       «Hedwig.»

       «Und Ihre Schwester?»

       «Clara.»

       «Mit Zunamen?»

       «Loßenwerder», sagte Hedwig, und wie sie den Namen aussprach, färbten sich ihre Stirn und die Schläfe dunkelrot.

       «Clara Loßenwerder?» wiederholte Hamann.

       «Ich heiße H e d w i g ! » sagte das junge Mädchen, und eine eigene, ihr selbst unerklärliche Angst schoß ihr bei der Verbindung der beiden Namen durch das Herz.

       «Ja, ja, Hedwig», wiederholte Herr Hamann, sie wieder dabei betrachtend, als ob er ihr mit dem Blick bis in das innerste Herz hineinsehen wollte. «Nun, ich will Ihnen einmal etwas sagen – Ihr Gesicht gefällt mir, obgleich man danach nicht recht gehen kann und durch eine hübsche Firma oft genug hinter’s Licht geführt wird; aber – wir können’s ja einmal miteinander versuchen. Ich brauche zwar eine derartige Wirtschafterin gerade jetzt nicht mehr so unumgänglich nötig, und würde auch nur wenig Lohn geben können. Vielleicht, wenn wir einander zusagen, ließe sich’s aber auch auf die Art einrichten, erst müssen wir jedoch beide wissen, woran wir miteinander sind, wären Sie das zufrieden?»

       «Ich habe nicht mehr verlangt», sagte Hedwig.

       «Gut, dann können Sie heute noch einziehen, wenn Sie wollen – aber die Schwester bringen Sie mir noch nicht ins Haus», setzte er rasch hinzu, «es ist das mit kranken Leuten eine eigene Sache.»

       «Aber darf ich sie in der Woche jeden Tag wenigstens einmal besuchen?» frug Hedwig.

       «Zwischen dem Mittag- und Abendessen ist nicht viel Zeit», sagte Herr Hamann, «aber die Abende n a c h dem Essen können Sie benutzen, wie Sie wollen – also, wann kommen Sie?»

       «Noch heute Mittag finde ich mich ein», sagte Hedwig, «und hoffe recht von Herzen, daß sie mit mir zufrieden sein werden.»

       Sie verließ nach kurzem Abschiedsgruß, aber Trost und Hoffnung im Herzen, das Gemach, während Herr Hamann sich aus der bis jetzt noch nicht berührten Karaffe ein volles Glas Wein einschenkte, und dann, wieder vollkommen zufrieden mit sich selber, seinen Spaziergang im Zimmer aufnahm.

       Für die Besetzung einer solchen Stelle hatte er schon gefürchtet, ziemlich beträchtlichen Lohn zahlen zu müssen, denn er konnte sich eine Person dazu nicht aus dem Haufen der Auswanderer heraussuchen, und jetzt war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie durch ein ganz junges, hübsches Mädchen, was ihm jedenfalls eine Menge Kostgänger ins Haus ziehen würde, und für wenig mehr als nichts, für die doppelte Kost von ein paar Frauen, die überdies nicht viel aßen und gar nichts tranken, bekommen konnte.

      VIERTES KAPITEL

      Verschiedene Beschäftigungen.

       Vor der Tür des deutschen Wirtshauses in –Street standen die armen Oldenburger, jeder ein kleines Bündel unter dem Arm, und schauten trübselig und trostlos die Straße hinauf und hinab, die nach Norden und Süden hin in die Welt, die weite Welt hinausführte. Und immer noch hatten sie nur erst deren Schwelle betreten, immer noch hoben sie zögernd den Fuß, und wagten ihn nicht niederzusetzen, weil er nicht gleich den altgewohnten Boden unter sich fühlte. Während der eine seufzte und den Kopf hängenließ, kratzte sich der andere mit der rechten Hand hinter dem Ohr und zerrieb einen halbgemurmelten Fluch zwischen den fest übereinander gedrückten Zähnen.

       «In Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren», sagt da plötzlich eine wohlbekannte Stimme ein nur zu wohlbekanntes, aber schon lange nicht mehr angestimmtes Lied, «in den Kuts-chen mit Sammet und mit Se-i-de!» Und als sie sich, eben nicht freudig überrascht, nach dem Sänger umdrehten, rasselte gerade der kleine, wunderliche Karren Maulbeeres, von diesem geschoben, an ihnen vorüber, und der Dampf aus der kleinen, schmutzigen Pfeife zog in zusammengedrängten kurzen Kräuselwolken, regelmäßig auspuffend wie von einer Diminutiv-Lokomotive53, hinter ihm drein. Übrigens tat er gar nicht, als ob er die Oldenburger sähe, und war auch schon an ihnen vorbei, als ihn der Ruf des einen – «Herr Maulbeere!» – erreichte und anhalten machte.

       Es ist ein eigentümliches Gefühl, nach einer gewissen Zeit wieder mit früheren Reisegefährten zusammenzutreffen, von denen es sich dabei wunderbarerweise gleich bleibt, ob man sie gern gehabt unterwegs, oder vielleicht die ganze Reise über gar nicht mit ihnen verkehrt hat. Was da unterwegs auch vorgefallen sein mag, wie man übereinander gedacht und sich vielleicht ganz besonders danach gesehnt