Der Nachlass. Werner Hetzschold

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Название Der Nachlass
Автор произведения Werner Hetzschold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752924022



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      Werner Hetzschold

      Der Nachlass

      Aus den Aufzeichnungen meines Großvaters

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Erster Teil

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       1

       2

       3

       4

       5

       6

      Zweiter Teil

       Impressum neobooks

      Erster Teil

       Impressum

      ©HeRaS Verlag, Rainer Schulz, Berlin 2020

      www.herasverlag.de

      Layout Buchdeckel Rainer Schulz

      1

      Der Großvater hatte Nikolai gebeten, dass er den Nachlass regelt, wenn es so weit ist. Nikolai hatte zugestimmt. Nur zu gut war ihm das gespannte Verhältnis seines Vaters Andreas mit dem Großvater bekannt. In den Augen des Vaters war der Großvater Thomas zeit seines Lebens ein Eigenbrötler gewesen, der nie hätte heiraten sollen oder gar für eine Familie hätte verantwortlich sein müssen. Und nach dem Tod der Großmutter hatte sich der Großvater völlig zurückgezogen, wollte keinen aus der Sippe mehr sehen. Lediglich der Enkel Nikolai bildete eine Ausnahme. Warum? Auf diese Frage wusste niemand eine Antwort. Der Großvater hatte auch seinen Enkel Nikolai als Universalerben eingesetzt. Niemand aus der Sippe war darüber erstaunt. Keiner war darüber böse. Was konnte schon der Alte vererben? Außer Unmengen von Büchern, die keiner lesen wollte, von Nikolai vielleicht einmal abgesehen. Er ähnelte sehr seinem Großvater, und Vater Andreas bereitete diese Entwicklung ernsthafte Sorgen. Er war glücklich darüber, dass der Sohn auf Lehramt studierte und nicht ein Studium aufgenommen hatte, dass keine Zukunft bot, weil der erworbene Abschluss ohne praktischen Nutzen war. Andreas war ein Pragmatiker, stand mit beiden Beinen fest im Leben, war promovierter Ingenieur und verdiente gutes Geld.

      Nun war der Großvater gestorben. Andreas fühlte sich erleichtert. Auch dessen Geschwister. Als der Großvater unter der Erde war, fühlten sich dessen Kinder alle erleichtert. Sie hatten schon befürchtet, dass ihr Vater eines Tages in ein Pflegeheim umziehen müsste und hatten Angst, wie sie diesen gravierenden Einschnitt dem Alten beibringen sollten. Jeder der Kinder versuchte diesen Gedanken zu verdrängen. Jeder schob dem anderen den schwarzen Peter zu, versprach, sich finanziell an dieser Zäsur zu beteiligen. Nur sollte eben alles anders kommen. Der Alte war in seinen Nikolai vernarrt, und alle anderen waren darüber froh, bis auf Andreas. Er vertrat die Ansicht, dass seinem Sohn der Umgang mit dem Alten nicht gut täte, dass der Alte ihn zu sehr beeinflussen könnte, nur konnte er dagegen nichts tun. Der Sohn war alt genug, um selbst alle Entscheidungen treffen zu können.

      Nikolai sitzt allein in der Wohnung von Großvater Thomas Boronsky, wie dieser noch wenige Tage zuvor. Völlig unerwartet hatte der Großvater sich verabschiedet, nachdem er dem Enkel immer wieder mitgeteilt hatte, wo er was zu suchen hat. Nur den Enkel weihte der Alte ein. Nur er allein sollte wissen, wo was zu finden ist. Zeit Lebens hatte der Alte allem und jedem misstraut. Er war immer ein Fremder geblieben, ganz gleich, wo er gelebt hatte auf diesem Planeten. Nie hatte er irgendeinem Menschen erlaubt, sich Zugang in sein Inneres zu verschaffen, nicht einmal seiner geliebten Frau. Sie war pragmatisch gewesen. Zum Glück hatten die Kinder ihre Gene geerbt und nicht die ihres Vaters.

      Nikolai denkt nach. Reichlich Zeit hat er, um die Wohnung aufzulösen. Der Großvater hat an alles gedacht. Den Nachlass prüfen und eine Auswahl treffen, nimmt Zeit in Anspruch. Der Enkel sichtet die Papiere. Er ist vor Tagen schon auf Aktenordner gestoßen, die ihn interessieren, weil sie Manuskripte enthalten, die der Großvater mit Hilfe des Computers erstellt hat. Niemand kennt diese Manuskripte, ahnt ihre Existenz. Großvater, der alles Alte sammelte, war vom Neuen begeistert, wenn es für ihn von Nutzen war. Und eine solche nützliche Erfindung war der Computer. Er hatte schon früh seine Schreibmaschine gegen einen Computer eingetauscht. Nikolai öffnet den Aktendeckel, liest:

      Thomas schlägt die Augen auf. Er liegt in seinem Bett, das neben dem Bett seiner Mutter steht. Zwischen dem Bett seiner Mutter und dem seiner Schwester Gisela befindet sich ein schmaler Gang. Neben dem Bett seiner Schwester befindet sich eine weiß getünchte Wand mit einem blassgelben Blumenmuster. Der kleine Junge lässt seine Augen durch das Zimmer wandern. Sie verweilen bei dem Bild über dem Bett seiner Schwester. Das Bild gefällt Thomas, weil das Mädchen auf dem Bild ihm gefällt. Das Mädchen hat große, dunkle Augen, die zugleich traurig und schön sind. In den Händen hält das Mädchen einen Strauß bunter Sommerblumen, die Thomas auf den Feldern gesehen hat, bevor diese abgeerntet werden. Weiter wandern seine Augen zu den großen, schweren Schränken, die sehr alt sein müssen. In dem Holz sind winzig kleine Löcher, auch hat es viele Schrammen und Kratzer. Diese Schränke bergen viele Geheimnisse. Aus ihren Schlössern sind die Schlüssel entfernt worden. Fest verschlossen sind die Türen. Auf den Schränken stapeln sich die Kartons, unter den Schränken und Betten verstauben sie. Auch in den Kartons werden Geheimnisse aufbewahrt. Vater und Mutter haben verboten, sie zu öffnen. Seine Augen setzen ihre Reise fort, wandern zum Fenster, zum kleinen Schrank, der früher einmal ein Waschtisch gewesen sein soll. Jetzt beherbergt er Eimer und Wischtücher. Auf seiner kleinen Tischplatte breitet sich das Paradies aus. Dort soll es viele Pflanzen und Blumen geben, sagen die Eltern. Und auch viele Tiere!

      Auch Mäuse?!

      Auch Mäuse. Das hatten die Eltern gesagt, jedes Mal, wenn sie Thomas nach dem Paradies befragte.

      Seither weiß Thomas, dass er im Paradies lebt.

      „Jetzt musst du aber aufstehen! Die Sonne scheint, und du liegst im Bett und träumst vor dich hin!“ Die Stimme der Mutter klingt gar nicht freundlich.

      „Ich muss erst um elf in der Schule sein!“, verteidigt sich Thomas.

      „Deine große