Название | Aufstand in Berlin |
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Автор произведения | Heinz-Joachim Simon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862826674 |
Erregt ging Breitschmidt vor seinem Schreibtisch auf und ab. Er schüttelte dabei den Kopf und schnaufte, als bekäme er keine Luft.
„Ich sollte Sie auf der Stelle abberufen. Weiß Ihr Schwiegervater eigentlich, wie Sie denken? Was glauben Sie, was der sagen würde, wenn er Sie eben gehört hätte.“
„Wahrscheinlich hätte er das Gleiche gesagt wie Sie.“
„Na also! Alle entlassen, schneiden das überflüssige Fett ab. Wir haben nicht mehr die Wirtschaftswunderjahre, nicht einmal die Neunziger. Nur wenn wir …“
„Wenn wir uns dem ungehemmten Kapitalismus hingeben, werden wir die Gewinne maximieren können. Dabei waren die Gewinne der Industrieunternehmen nie höher.“
Breitschmidt blieb mit offenem Mund stehen.
„Aber nicht bei uns. Da gab es schon bessere Zeiten. Sagen Sie mal, ist mit Ihnen etwas passiert? Vielleicht sollten Sie mal eine Kur nehmen. Ungehemmter Kapitalismus, so etwas habe ich bisher nur von den Schmierfinken im Spiegel gelesen. Haben Sie den Unfug daher?“
„Es gibt noch ein paar Blätter, die sich trauen ihre Meinung zu sagen. Zugegeben, es werden immer weniger. Wer schwimmt schon gern gegen den Strom?“
„Mit Ihnen ist nicht zu reden. Also, Klartext: Sie legen mir bis Ende November einen Restrukturierungsplan vor oder ich werde Ihren Rücktritt erzwingen. Und hören Sie auf, so unqualifiziert daher zu reden. Ich werde über unser Gespräch Stillschweigen bewahren. Denn wenn der Inhalt publik würde, Ihre Tirade über ungebremsten Kapitalismus und Zukunft der Kinder, verlieren Sie Ihre letzte Reputation und die Aktienkurse stürzen ins Bodenlose.“
„Sie werden mich nicht so ohne weiteres los! Ich werde kämpfen!“, trotzte Singer, obwohl er nicht einmal sicher war, ob er dies wirklich noch wollte.
„Sie glauben, dass Michael Singer Sie weiterhin unterstützen wird? Dass Sie sich da mal nicht täuschen. Wenn ich Ihre Entlassung zur Bedingung mache, weil sonst der gesamte Aufsichtsrat zurücktritt, möchte ich mal sehen, ob er nicht weich wird. Aber, Sie können es sich ja noch überlegen. Noch haben Sie Zeit, das Steuer herumzureißen.“
Er trat an den Schreibtisch und setzte sich wieder und breitete die Arme aus und fuhr in versöhnlichem Ton fort: „Mann, Singer, verpfuschen Sie sich nicht Ihre Karriere. Schließlich waren Sie vor fünf Jahren einmal Wirtschaftsführer des Jahres. Ich mag Sie. Ich habe mich immer für Sie stark gemacht. Was soll dieser sozialistische Quatsch? Noch nie habe ich in einer Vorstandsetage derartiges gehört. Nehmen Sie doch Vernunft an. Die besten Namen in Deutschland handeln so.“
„Aber nicht alle. BMW zum Beispiel, um nur einen Namen herauszugreifen, entlässt keine Leute.“
„Aber produziert auch schon in den USA. Auch die werden hier noch abspecken. Das ist nur eine Frage der Zeit. Niemand tut das gern. Aber es muss sein, und Sie werden es auch tun, wenn Sie vernünftig sind. Es ehrt Sie, dass Sie
Skrupel haben, aber als Unternehmensführer wird man dafür bezahlt, und gut bezahlt, wie ich weiß, dass man Gewinne macht. Das allein zählt.“
„Das allein zählt nicht. Wir müssen auch an die Zukunft denken, an die Erhaltung des betrieblichen Friedens, an das Wohl der Mitarbeiter, an die Zukunft der Kinder. Auch sie sollen Arbeitsplätze hier in Deutschland vorfinden. Wo arbeiten eigentlich Ihre Söhne?“
„Was tut das zur Sache?“
„Wo arbeiten sie?“
„In London“, gab Breitschmidt unwillig zu und lief wieder rot an. „Genug mit dem Gerede! Sie legen mir bis November vor, wie viele Sie entlassen können und welche Pläne die Singerwerke in Übersee haben …..“ Er schwieg, schnaufte und starrte ihn wütend an.
Er glaubt wirklich, dass ich nachgeben werde, dachte Singer. Nun, Mühe hat er sich gegeben, mich unter Druck zu setzen. Es ist gar nicht so lange her, da hätte ich jetzt kapituliert. Ihm wurde in diesem Augenblick, in der Konfrontation mit Breitschmidt, bewusst, was aus ihm geworden war. Obwohl zur Unzeit, erinnerte er sich wieder an die Demonstration vor dem Schöneberger Rathaus, als ihn der Wasserwerfer traf. Damals glaubten sie wirklich, die Guten zu sein und selbst später, als ihm klar wurde, wie sehr sie manipuliert worden waren, blieb die Überzeugung, dass die Achtundsechziger Deutschland zum Positiven verändert hatten. Ihn schauderte, wenn er an die muffige Atmosphäre Ende der Fünfziger dachte, an das immer noch wirkende Gift der braunen Epoche in den Köpfen der Menschen. Aber den Kompass hatte er nach dem Studium aus den Augen verloren und Karriere gemacht, was mit seinem Namen und Hintergrund nicht schwer gewesen war. Verdammt leicht hast du es gehabt und nun bist du zum ersten Mal mit der Wirklichkeit konfrontiert und musst dich entscheiden, dachte er und stellte fest, dass er ihr nicht ausweichen konnte.
„Sie haben mich also verstanden? Fünfzigtausend sollten es wenigstens sein, die Sie freistellen. Und Sie werden sehen, wie die Aktie in die Höhe schießt!“, hörte er Manitu schwer atmend sagen.
Singer fürchtete, Entscheidendes verpasst zu haben und ärgerte sich über sich selbst. Auch diese Unkonzentriertheit wäre ihm früher nie passiert.
„Übrigens, kann Ihnen Ihr Schwiegervater nicht bei der Suche nach den richtigen Produktionsstandorten helfen?“
Manitu beugte sich über Singers Schreibtisch und seine Stimme wurde nun beschwörend und kollegial.
„Der Konsul. Er hat doch Beziehungen in der ganzen Welt. Damals, bei dem Riesenauftrag der amerikanischen Automobilindustrie, hat er Ihnen doch auch geholfen. Ich mag Sie, Singer. Sie und Ihre liebe Frau. Ich erinnere mich noch gern an unser letztes Beisammensein. Es war ein zauberhafter Abend. Sollten wir mal bei mir wiederholen. Ich würde es menschlich sehr bedauern, wenn wir zueinander in Konfrontation stünden.“
Nun versucht er es auf die sanfte Tour, dachte Singer. Was ist er doch für ein Scheißkerl und du bist auf dem besten Weg so zu werden wie er.
„Ich glaube nicht, dass er mir helfen wird.“
Manitus Gesicht zeigte Betroffenheit. „Warum nicht?“
Singer hatte nicht vor ihm zu erzählen, wie demütigend es war, auf die Unterstützung von Helens Vater angewiesen zu sein, und dass dies ein Streitpunkt zwischen ihm und Helen war. Deshalb erzählte er Breitschmidt, dass er in letzter Zeit nicht sehr gut mit seinem Schwiegervater zurechtkäme, und das war ja auch nicht so falsch.
„Singer, mit einem Mann wie dem Konsul verdirbt man es sich doch nicht!“ rief Breitschmidt erschrocken. „Ihr Schwiegervater ist wichtig für Sie, für die Singerwerke, für uns alle!“
Die Art und Weise, wie er reagierte, ließ erkennen, dass er fest damit gerechnet hatte, dass sein Schwiegervater ihn letztendlich überzeugen würde. Er muss selbst ganz schön unter Druck stehen, wenn er jede Unterstützung einkalkuliert, überlegte Singer. Ich habe Manitu im Nacken und Manitu seinen Bankenaufsichtsrat, der sich mit besseren Kursen der Singerwerke ein gutes Geschäft erhofft. So funktionierte das System.
„Nun, es ist Ihr Problem, wenn Sie Ihre Beziehungen nicht nutzen!“, sagte Breitschmidt kalt. „Aber Sie werden mir den Restrukturierungsplan präsentieren. Wenigstens Fünfzig–tausend, daran werde ich Sie messen.“
„Nein!“, entgegnete Singer und richtete sich auf.
Manitu war einen Augenblick lang verblüfft. Die Faust auf dem Schreibtisch öffnete sich und schloss sich wie unter Krämpfen. „Was soll das heißen? Was sagen Sie da?“
„Nein. So lange ich Vorsitzender bin, wird sich die Mitarbeiterzahl der Singerwerke nur durch natürliche Abgänge verringern.“
Einen Augenblick war es still. Im Nebenzimmer waren die Schritte seiner Sekretärin zu hören. Durch das offene Fenster kamen die Geräusche der vorbeifahrenden Lastwagen und Busse. Es war die Zeit, wo die Wirte die Schirme aufspannten und die Stühle vor ihre Lokale stellten.
Manitu keuchte asthmatisch. „Ich habe