Название | Aufstand in Berlin |
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Автор произведения | Heinz-Joachim Simon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862826674 |
„Dann musst du ihnen auch vom heiligen Franz von Assisi erzählen, ja?“, forderte ihn Luischen enthusiastisch auf.
Singer fand auf einmal, dass ihr Gesicht nicht mehr gewöhnlich, sondern vom Inneren beseelt und sogar schön zu nennen war.
„Du musst erzählen, wie er alles hingab, alle seine Reichtümer verschenkte und Mönch wurde und wie die Menschen und Tiere zu ihm kamen und wie er Wunder vollbrachte“, fuhr sie begeistert fort.
„Sie ist ein großer Anhänger von Franz von Assisi“, erklärte Jonas mit verständnisvollem Lächeln.
„Aber Kirchen würden nicht mehr gebaut werden, denn alle wollen sich es ja gut sein lassen!“, sagte Singer provozierend und kam sich dabei ein wenig schurkisch vor.
„Und was für Kirchen gebaut werden würden!“, widersprach Jonas unwillig. „Kirchen wie die Sagrada Familia in Barcelona mit vielen Türmen und Bogen und großen Hallen, die andächtiges Staunen auslösen und an Gottes Allmacht denken lassen. Was man heute baut, zeigt doch nur, wie sehr man die Menschen verachtet. Es wird nicht gebaut, um sie zueinander zu bringen, sondern sie werden in Wohnsilos weg gesperrt. Nein, ich würde so bauen lassen wie die alten Sumerer. Türme mit breiten Treppen, auf denen man dem Licht entgegen steigen kann. Mit großen Terrassen der Begegnung, auf denen wir in wolkenlosen Nächten den Sternen nahe sind. Ein Feuer würde auf der Plattform brennen, so wie in dem alten Tempel zu Jerusalem. Auch ein Altar würde da sein und jeder könnte hingehen und dort beten. Egal, wie er seinen Gott nennt, Christus, Allah, Buddha, Shiva, Kali oder Ahura Mazda.“
„Aber wer würde die Mühe auf sich nehmen und die Steine schleppen, in deinem Arkadien?“, gab Singer zu bedenken. Es tat ihm leid, dem Alten in die Parade zu fahren.
Jonas stutzte und starrte einen Moment vor sich hin und warf Singer einen vorwurfsvollen Blick zu, um dann triumphierend zu rufen:
„Maschinen. Ich habe vor kurzem in einer Zeitung gelesen, dass es bald Roboter gibt, die die Hausarbeit übernehmen. Es gibt doch Roboter, die Autos bauen und selbst in den Häfen gibt es kaum noch Menschen, die die Arbeit verrichten, sondern computergesteuerte Lastenschlepper. Es sind doch auch Roboter denkbar, die für uns Steine behauen und aufeinander schichten. Unsere Türme würden ohne Schweiß und Tränen gebaut werden.“
„Und ich würde die Menschen auf den Terrassen herumführen und ihnen erzählen, wieviel tausend Steine aufeinander getürmt wurden“, erklärte Fränzchen eifrig.
„Du würdest ihnen die Wunder unseres Königreiches zeigen“, stimmte Jonas zu und schilderte weiter, wie paradiesisch es in dem Land zugehen würde, das nach den Wünschen der Berber entstand. Singer hörte von riesigen Palästen der Glückseligkeit, wo kostenlos Wein und Haschisch verteilt würde, von Straßen, die von Platanen gesäumt zu Plätzen führten, die der Begegnung dienten und wo Jonas Geschichten erzählte. Und Singer sah nun nicht mehr, wie schäbig Jonas‘ Mantel aussah, wie billig das Kleid wirkte, das Luise trug, sah nicht mehr die ausgebeulten Hosen und fleckigen Jacken der anderen. Er sah nun, was sie sahen. Sie waren Fürsten in ihrem Königreich und ihre Mäntel waren aus rotem Samt und goldbestickt. Sie waren die Edlen eines neuen Geschlechts, und die einzige Währung, die in ihrem Land zählte, war die Phantasie.
Es war bereits sieben Uhr, als Singer seine Verabredung mit Helen bei Preminger einfiel. Preminger war die größte Kunsthandlung der Stadt. Helen hatte sich seit einiger Zeit darauf verlegt Kunst zu sammeln, und die Wände ihres Hauses legten Zeugnis von ihrer neuen Leidenschaft ab. Furchtbare Bilder, wie Singer fand, aber Helen sagte, dass es geniale Bilder wären. Singer bekam nie heraus, was genial daran sein sollte, wenn Leinwände nur eine rote oder schwarze Fläche zeigten oder gelbe und grüne Kleckse. Doch er gestand ihr zu, dass sie von moderner Kunst mehr verstand als er.
„Ich muss leider gehen!“ sagte er bedauernd zu Jonas.
„Warum? Es ist doch ein schöner Abend und wir haben ein gutes Gespräch.“
„Ich bin verabredet.“
„Schade … Aber wenn du es versprochen hast, dann musst du gehen“, antwortete der Weißbärtige lakonisch.
„Es war sehr schön. Dort wo ich hingehe, wird es sicher nicht so interessant sein.“
„Warum versprichst du dann, dorthin zu kommen?“
„Ich gehöre nicht zu eurem Königreich“, scherzte Singer.
„Aber vielleicht bist du auf dem Weg zu uns!“ gab der Weißbärtige zurück und schüttelte herzlich Singers Hand.
Ihre gefühlvollen Abschiedsworte taten ihm wohl. Er kannte sie kaum und in den Augen der Menschen, die er auf der Vernissage antreffen würde, waren sie nur Gescheiterte und Abschaum. Doch ihm war, als hätte er mit Freunden zusammen gesessen.
„Vielleicht komme ich nachher noch einmal vorbei.“
Jonas nickte zustimmend. „Gut. Aber dann komm ins Nikolaiviertel, ins Georgsbräu. Die brauen ihr Bier selbst. Es ist gutes Bier. Nach elf Uhr schlagen wir dort heute unsere Zelte auf.“
„Dann ist dort euer Königreich.“
„Ja. Dann schleppen wir es dorthin.“
Singer legte das Geld für die Hähnchen und den Wein auf den Tisch, winkte den neuen Freunden noch einmal zu und ging hinaus. Es war kühl geworden und er fror ein wenig. Wehmütig dachte er daran, wie froh und glücklich er sich noch vor wenigen Augenblicken gefühlt hatte. Er ging schneller und je weiter er sich von Szandors Bierstube entfernte, desto mehr fror er. Singer nahm sich fest vor, später zu Jonas und seinen Freunden zurückzukehren. Manitu würde sagen, dass du ein Spinner bist, dachte er glücklich.
4
„Schön, dass Sie doch noch kommen konnten.“
Singer schüttelte die Hand eines sehr jung aussehenden älteren Mannes mit blond gefärbten Haaren und etwas Rouge auf den Wangen. Der Typ, der im Kino den schwulen Hausfreund der verwöhnten Millionärsgattin spielt. Natürlich trug er einen Cashmere–Pullover, zwar nicht gelb, aber immerhin, und ein Tweedjackett im etwas veralteten Landhausstil. Wo kriegen die solche Sachen noch her? wunderte sich Singer. Er mochte den Mann nicht und war sich eigentlich sicher, dass ihn sein Gegenüber auch nicht mochte. Aber sie waren nun einmal gute Kunden, und Eduard war der Geschäftsführer der Galerie und deswegen aus Geschäftsinteresse sehr freundlich zu Singer.
Fürsorglich, als könne Singer den Weg nicht finden, begleitete er ihn in die große Ausstellungshalle, die wie immer bei den Vernissagen der Premingers gut besucht war. Er sah sich um. Es drängten sich wieder die gleichen Menschen hier, die auch sonst da zu sein pflegten. Wer in Berlin etwas mit Kunst zu tun hatte oder es für wichtig hielt, dies vorzugeben, war anwesend. Auch ein paar bekannte Politiker, sowohl von der Regierungspartei als auch von der Opposition.
Die Frauen sahen wie prächtige Flamingos aus, kurz bevor die Dämmerung kommt und das samtene Blau sie verhüllt. Jedenfalls erschienen sie Singer so melancholisch, gelangweilt und traurig. Sie waren schön und waren hier, um gesehen zu werden, und unter ihnen waren einige ansehenswerte Frauen. Wenn sie wie Flamingos nur still dastehen und sich bewundern lassen würden, wären sie vollkommen. Aber sie redeten, hörten nicht auf davon zu sprechen, wie außergewöhnlich, einmalig und sensationell die Arbeiten des Künstlers seien und blickten dabei abschätzend um sich, bereit einer Beute nachzuspüren. Sie waren immer noch auf der Jagd, obwohl bei einigen die Zeit dafür längst vorbei war.
Singer wurde sofort von einer Blondine in ein Gespräch gezogen. Obwohl er keine Ahnung hatte, worüber die Frau sprach, blieb ihm nichts anderes übrig als zuzuhören, sie anzustarren und zu nicken und ja oder nein zu sagen. In der Regel waren sie damit zufrieden.
Im Hintergrund spielte eine Jazzcombo und der Saxophonist gab sich Mühe einigermaßen wie Charlie Parker zu klingen. Die Platten auf dem Büffet sahen aus wie zerstörte und geplünderte Kriegsschiffe. Singer hatte keinen Hunger.
„Ihre Frau ist dort drüben“, sagte