Brand und Mord. Die Britannien-Saga. Sven R. Kantelhardt

Читать онлайн.
Название Brand und Mord. Die Britannien-Saga
Автор произведения Sven R. Kantelhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862827725



Скачать книгу

kann uns ja nichts mehr passieren. Komm jetzt besser mit, wir müssen dem Hochkönig melden, was wir gefunden haben“, forderte er und zerrte Tallanus weiter den Hang zum Abus hinab.

      Sie fanden Vortigern inmitten seiner engsten Berater vor einem bunten Stoffhaufen, aus dem wohl demnächst sein prächtiges Zelt entstehen sollte. Vortimer, der bei seinem Vater stand, bedachte Ceretic mit einem finsteren Blick.

      „Die Sachsen werden immer stolzer“, schimpfte er, doch ein Stirnrunzeln seines Vaters ließ ihn verstummen.

      Was hatten die beiden nur?, fragte sich Tallanus. In den letzten Tagen war eine merkwürdige Kälte zwischen ihnen zu beobachten. Aber vielleicht war es nur die Anspannung, entschied er dann. Ihm ging es jedenfalls nicht besser. Er schluckte die bittere Galle herunter, die ihm immer noch aufstieß und räusperte sich.

      „Wir haben das alte Schlachtfeld besucht“, erstattete er mit krächzender Stimme Bericht. „Unsere gefallenen Krieger liegen auf der Walstatt. Geplündert und enthauptet.“

      Vortigern und sein Sohn wechselten einen kurzen Blick.

      „Und ich habe von einigen Ge… Vor ihrem Tod haben einige Pikten ausgesagt, dass sie von Prinz Koloman von Uerturio angeführt werden. Die Sachsen haben ihnen inzwischen aber den Garaus gemacht“, übernahm Ceretic den Bericht.

      „Das wissen wir doch bereits“, unterbrach ihn Vortimer augenrollend.

      Doch sein Vater nickte Ceretic aufmunternd zu. „Noch etwas?“, fragte er.

      „Der Prinz lagert mit dem Kern seines Heeres im Westen an der Nebenstraße, der Via Erminia, die den Abus auf Furten überwindet. Einige Pikten sind entkommen, weil die Sachsen zu wenig Riemen hatten, um gleichzeitig eine ausreichende Zahl von Kriegern über den Fluss zu setzen.“

      Dabei warf Ceretic Vortimer einen bösen Blick zu. Dieser errötete bis unter die Haarwurzeln. Tallanus sah verwirrt von einem zum anderen und auch Vortigern schien die Pointe entgangen zu sein. Da war doch etwas zwischen den beiden vorgefallen, entschied er.

      „Die geflohenen Pikten werden Koloman inzwischen von unserem Vormarsch in Kenntnis gesetzt haben. Insgesamt verfügt er über mehrere hundert oder sogar tausend Mann, aber das haben wir ja vor zwei Wochen bereits leidvoll erfahren. Wir sollten so schnell wie möglich nach Eboracum marschieren, um uns mit Ahearns Heer zu vereinigen“, beendete Ceretic seinen Bericht.

      Tallanus sah Ceretic entsetzt an. „Aber wir müssen doch unsere Toten christlich bestatten“, flehte er.

      Vortimer warf ihm einen vernichtenden Seitenblick zu. „Das dauert mindestens einen Tag und wenn Koloman sich beeilt, erreicht er uns in genau dieser Zeit oder schneidet uns den Weg nach Eboracum ab, secretarius.“ Das letzte Wort spie er aus als fürchte er, seinen Mund damit zu beschmutzen.

      Tallanus zuckte zusammen. Wie hatte er es wagen können, im Rat des Königs ungefragt seine Meinung zu äußern?

      „Es wird die Kampfmoral unserer Leute nicht fördern, wenn sie wissen, dass ihre Leichen nicht bestattet werden“, gab auch der alte Muirdoch zu bedenken.

      Vortigern blickte eine Weile stumm zwischen seinen Beratern hin und her. Dann räusperte er sich. „Die Pikten sind zweimal vor uns geflohen, sie werden es nicht wagen, uns ein drittes Mal auf offenem Felde anzugreifen. Und bei Ahearn um Hilfe zu betteln kommt nicht in Frage“, entschied er. „Ich bin der Hochkönig und komme, um Eboracum und die nördlichen Königreiche zu erretten, nicht um gemeinsam mit ihnen den Feind zu schlagen. Morgen begraben wir unsere gefallenen Krieger und Bischof Albanus wird eine Messe für sie feiern.“

      Ad Abum, Juni 441

      Ordulf

      Ordulf fuhr aus dem Schlaf hoch und wusste einen Moment nicht, wo er war. Die allzu lebendigen Bilder eines bluttriefenden Traumes verflüchtigten sich nur widerwillig und langsam. Er streckte seine Glieder. Alles tat weh und ein dicker Regentropfen fiel vom Zeltdach auf ihn herab. Die erlittene Gefahr und Angst, als sie sich nur von dem dünnen Lindenholz der eigenen Schilde gedeckt in den Hang drückten, wie Halvor die gefangenen Pikten erschlug, all dies hatte ihn mehr mitgenommen, als er es für möglich gehalten hätte. Im Kampf zu töten war etwas Natürliches, aber Wehrlose abzuschlachten? Tief atmete er die kühle Nachtluft. Im Osten graute bereits der Morgen. Dieser Tag würde genauso diesig beginnen, wie der letzte geendet hatte.

      Nach einem kurzen Frühstück aus Hafer und Wasser erschien Willerich und überbrachte den Tagesbefehl. „Die Britannier wollen ihre Toten von vor einigen Tagen begraben. Wir sollen Wache stehen und sie vor umherstreifenden Pikten schützen.“

      „Das wurde auch Zeit“, freute sich Ordulf. Sie waren mehrere Tage angestrengt marschiert und gestern dann der Flussübergang und das Scharmützel am Hang. Ein Tag der Ruhe würde ihnen guttun. Er entschied sich dafür, nur seinen leichten, unbeschlagenen Holzschild mit sich zu nehmen. Der gute Schild war am Vortag ohnehin ziemlich ramponiert worden und bedurfte dringend einiger Reparaturen. Wieder blickte er voll Stolz auf sein neues Langschwert und befestigte es neben dem Sax am Gürtel. Das Geräusch trabender Hufe ließ ihn aufschauen.

      „Hengist hat einigen Reitern befohlen, die Umgebung zu sichern, und uns rechtzeitig zu warnen, falls doch noch Pikten auftauchen“, berichtete ihm Thiadmar, als er Ordulfs erstaunten Blick auffing. Mit dem frischen Verband um den Kopf sah er zwar noch etwas blass, aber schon viel besser aus als am Vortag, befand Ordulf.

      „Wie viele Pikten wohl noch übrig sind?“, wunderte er sich, doch diesmal zuckte Thiadmar die Schultern. Offenbar war auch er überfragt. Wenn die Aussagen der Gefangenen stimmten, gab es jedenfalls noch mehr als genug.

      Bereits dicht hinter dem Lager trafen sie auf die ersten Zeugnisse der vergangenen Schlacht. Auf den Hügeln und in den morastigen Senken davor lagen zahllose Leichen. Sie waren allesamt ausgeplündert und entkleidet. Am schaurigsten war jedoch, dass von den Köpfen jede Spur fehlte. Nach zehn Tagen nassen Wetters war die Verwesung schon weit vorangeschritten. Im Wind wehte der süße Gestank von Tod und Zerfall. Krähen und Feldtiere hatten sich an den Kadavern gütlich getan. Weiter unten am Hang hatten die Pikten ein grausiges Holzgerüst aufgerichtet, auf dem sie ihre vornehmsten Feinde wie lebendig aufgerichtet hatten, nur nackt und kopflos wie ihre Kameraden.

      Die Sachsen nahmen auf einer Anhöhe, die nach Westen hin von einer sumpfigen Niederung begrenzt wurde, Aufstellung. Die Britannier machten sich hinter ihnen daran, Gräber auszuheben. Mehrere ihrer Priester – Ordulf erkannte sie inzwischen an den in der Stirn geschorenen Haaren – sprachen ihre Zauberformeln über den Toten und malten Kreuzzeichen in die Luft. Vermutlich wollten sie die Verstorbenen in ihre Gräber bannen, damit sie nicht als Untote ihr Unwesen trieben. Schaudernd stellte sich Ordulf vor, wie das ganze Heer ohne Köpfe in der Unterwelt leben mochte. Um sich wieder zu wärmen, drehte er sich den wenigen Sonnenstrahlen zu, die die trübe Wolkendecke durchbrachen.

      „Ich erzähl dir mal ein Rätsel“, wandte er sich schließlich Thiadmar zu. „Nach dem gestrigen Tage solltest du es leicht erraten:

Ich bin ein einsames Ding,voll eiserner Wunden
Geschlagen von Klingen,geschunden mit den Spuren von Kämpfen
Müde der Schwerter,oft sehe ich Schlachten
Harte Fehden,keinen Frieden habe ich.
Keine Hilfe wird mir erscheinen,in der Hitze der Schlacht.
Bis von der ErdeIch elend vergehe.
Die gehämmerten Schwertersie hauen und schlagen
scharf und hart-schneidigder Schmiedehammer-Werk.
Nicht verweilend in Städtenmuss ich folgen dem Streit
wo sich Feinde treffen.Niemals fand ich
in den Stättenwo Männer sich sammeln
einen der mit Kräuternheilt meinen Kummer.
Doch die Wunden der Schwerter durch tödliche Hiebewerden stets schwerer bei Tag und bei Nacht.