Brand und Mord. Die Britannien-Saga. Sven R. Kantelhardt

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Название Brand und Mord. Die Britannien-Saga
Автор произведения Sven R. Kantelhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862827725



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      „Sollte ich nicht besser selbst an König Vortigerns Hof reisen? Oder wird er kommen und uns hier in Empfang nehmen?“

      „Ich glaube, es ist besser, wenn ihr hier auf meine Rückkehr wartet“, antwortete Ceretic rasch. „Wer weiß, was passiert, wenn wir vor Erreichen von Durovernum auf einen Trupp von Vortigerns Kriegern treffen. Und vielleicht weilt Vortigern gar nicht in Durovernum und wir müssen weiterziehen. Wer sollte dann während deiner Abwesenheit das Kommando führen?“ Außerdem soll Vortigern sehen, dass ich nicht nur sein Dolmetscher bin, sondern dass die erfolgreiche Anwerbung der Sachsen ganz allein mein Verdienst ist, fügte er in Gedanken hinzu. „Aber wenn du magst, sende einen oder zwei deiner Männer mit mir, um Vortigern ein paar echte Sachsen vorzustellen.“

      Damit gab sich Hengist zufrieden.

      Am nächsten Morgen standen zwei Krieger bereit. Zu seiner Freude erkannte Ceretic in dem einen den jungen Ordulf. Der andere war ein Veteran, der auf den Namen Gerolf hörte. Sein bereits ergrauender Bart bedeckte nur unzureichend ein feines Gewirr an Narben.

      „Könnt ihr reiten?“, fragte Ceretic. Die beiden sahen sich grinsend an und brachen dann in Gelächter aus. Ceretic biss sich auf die Lippe. Natürlich kannten beide die Geschichte, nach der er vom Pferd gefallen war, als er Ordulf vor dem Tod im Moor retten wollte. Die Frage hätte er sich sparen können. „Also los“, knurrte er verärgert.

      Ceretic führte die beiden Sachsen Richtung Nordwesten ins Zentrum der Insel. Zielstrebig folgte er einem alten Trampelpfad in den Wald hinein. Nach etwa einer halben Stunde verdichtete sich das Unterholz derart, dass auch am Tage ein grünliches Halbdunkel herrschte. Kurz bevor sie das andere Ufer erreichten, bedeutete Ceretic seinen Begleitern auf ihn zu warten. Er selbst suchte einen der ihm wohl bekannten Orte auf, an dem sich seine Landsleute bei Ankunft der Sachsen oder Pikten zu verstecken pflegten. Und tatsächlich traf er bald auf zwei alte Bekannte und einen Unbekannten.

      „Morgan, Gwydion! Wie schön euch zu sehen. Ist der Comarchus hier?“, begrüßte Ceretic sie.

      „Ceretic, bist du das wirklich? Wo hast du die ganze Zeit über gesteckt?“, fragte der Mann namens Morgan zurück. „Und was ist aus Malo und Tavish geworden? Sind sie mit dir zurückgekehrt?“ Dann zogen sich seine Augenbrauen plötzlich zusammen. „Und was machen diese ungläubigen Hunde bei dir? Wo sind sie jetzt? Wie bist du ihnen entkommen?“ Angstvoll blickte er in die Richtung, in der Ceretic die beiden Sachsen zurückgelassen hatte.

      „Das hat Zeit bis später, lass uns jetzt lieber schnell verschwinden, sie können jeden Moment hier auftauchen!“, drängte der dritte, Ceretic bisher unbekannte Mann und zog Gwydion am Ärmel. Fast hätte Ceretic während seiner Zeit unter den Sachsen vergessen, was deren Auftauchen hier in Britannien bedeutete. Die Menschen fürchteten diese Barbaren mehr als den Tod selbst.

      „Keine Bange. Die gehören zu mir. Die anderen am Strand übrigens auch. Malo und Tavish sind wohlauf, sie befinden sich im Lager und kommen zurück zu ihren Familien, sobald sie ihren Lohn empfangen haben. Die Sachsen werden euch nichts tun, wenn ihr ihnen nicht zu nahe kommt.“

      „Das ist allerdings die einzige Möglichkeit, zu verhindern, dass diese Teufel einem etwas antun. Man darf ihnen nicht zu nahe kommen.“ Gwydion lachte humorlos. „Aber leider sind sie hier auf unserer Insel gelandet, falls du das noch nicht bemerkt hast.“ Einen Moment zögerte er, dann erschien auf seiner Stirn eine scharfe Falte. „Du hast sie doch nicht etwa hergeführt?“, fragte er.

      Ceretic musste schlucken. „Sie sind nicht zum Plündern gekommen. König Vortigern hat sie gerufen“, versuchte er abzulenken. „Deshalb muss ich die beiden auch so schnell wie möglich zum Hochkönig bringen. Weißt du, ob er sich derzeit in seinem Hof in Durovernum aufhält? Und könnt ihr uns über den Wantsum bringen?“

      Die sparsamen Erläuterungen Ceretics überzeugten die drei Britannier ganz offensichtlich nicht. Doch schließlich erklärte sich Morgan bereit, Ceretic und die beiden Sachsen über den Fluss zu rudern. „Aber in unser Versteck, zum Comarchus und den anderen, werden wir sie nicht führen, egal was du erzählst. Ich traue diesen Ungläubigen nicht einen Schritt weit. Du hast dich ja schon als Kind immer mit diesem Wulf abgegeben.“

      Das Misstrauen seiner alten Freunde traf Ceretic mehr, als er sich eingestehen wollte. Sie kannten ihn doch!

      Aber da fuhr Morgan schon fort: „Kommt gleich mit. Je schneller diese verteufelten Sachsen von unserem Ruohim verschwinden, desto besser!“

      Seine beiden Begleiter verschwanden allerdings noch schneller; dankbar, nicht auf die leibhaftigen Sachsen treffen zu müssen. Als Morgan Ceretic zu dem wartenden Ordulf und Gerolf folgte, fiel Ceretic auf, wie seinem alten Freund die Knie schlotterten. Er schüttelte den Kopf. Auch Sachsen waren nur Menschen aus Fleisch und Blut.

      „Doch noch ein Britannier!“, freute sich Ordulf, als sie die beiden Wartenden erreichten. „Ich dachte schon, wir wären allein auf der Insel.“

      Bei den Worten zuckte Morgan zusammen. Ceretic musste schmunzeln. Auch für seine Ohren hatte einmal alles Sächsische wie eine wüste Drohung geklungen.

      „Er freut sich, dich zu sehen“, übersetze er.

      „Das beruht nicht auf Gegenseitigkeit, kann ich dir versichern“, knurrte Morgan, aber er beruhigte sich doch so weit, dass sie ihren Weg fortsetzen konnten.

      Bald erreichten sie das Ufer des Wantsum. Ihnen gegenüber lag die Küste von Cantium. Morgan führte sie zu einem im Uferdickicht versteckten Ruderboot. Es handelte sich um eine kleine Curach. Ceretic und Morgan trugen das leichte Fahrzeug bis ans Wasser. Ceretic schmunzelte, als er sah, wie die Seeerprobten Sachsen das Fahrzeug kritisch beäugten, bevor sie umständlich einstiegen.

      „Eigentlich ist Ruohim eine Insel und der Wantsum kein Fluss, sondern ein Sund“, erläuterte er, als Morgan sie vom Land abstieß.

      „Merkwürdig. Man sieht gar keine Fischer“, wunderte sich Ordulf.

      Ceretic fand das alles andere als merkwürdig. Immerhin lagen auf der anderen Seite von Ruohim drei sächsische Langschiffe.

      Das kleine Ruderboot wurde von der hereinströmenden Flut nach Norden versetzt und erreichte das gegenüber liegende Ufer direkt unter den Ruinen des Kastells von Regulbium. Nachdem Ceretic und die beiden Sachsen ans Ufer gesprungen waren, wendete Morgan das Fahrzeug sofort und pullte mit ganzer Kraft in den Wantsum hinaus. Erst ein gutes Stück vom Ufer entfernt, wagte er, seine Schlagzahl zu verringern. Ordulf und Gerolf bestaunten derweil mit offenen Mündern die steinernen Ruinen des römischen Kastells. Die hohen Mauern aus grauem Stein wurden in regelmäßigen Abständen von roten Bändern aus Ziegeln unterbrochen.

      „So etwas haben die Römer errichtet?“, fragte Ordulf schließlich und Ceretic dachte daran, dass er vermutlich noch nie einen richtigen Felsen oder gar ein Steinhaus gesehen hatte.

      „Das und noch viel Größeres! Du wirst noch ganz anders staunen, wenn wir erst in Londinium sind. Komm jetzt.“ Er zog Ordulf am Ärmel hinter sich her.

      Bald erreichten sie die Mauern und Ordulf ließ es sich nicht nehmen, die steinernen Ruinen scheu zu betasten. „Hart wie Stein“, bemerkte er schließlich verwundert.

      Doch Ceretic wollte weiter. „Ja, ganz recht. Das ist Stein“, bestätigte er. „Vielleicht können wir im Dorf Pferde bekommen. Dann müssen wir nicht bis Durovernum laufen.“

      Rasch zog er den noch immer völlig faszinierten Ordulf über den Hügel. Nun war es Ceretic, der erschrocken inne hielt. Am Fuße des Hügels lagen verbrannte Trümmer, nur vereinzelte Häuser zeigten die Spuren notdürftiger Reparaturen, während die grauen Ruinen des Kastells stumm und ungerührt wie ehedem auf das so grausam veränderte Dorf blickten. Menschen und Vieh konnte Ceretic nirgends entdecken. Regulbium war nicht mehr.

      „Um Himmels Willen, wir kommen zu spät!“, jammerte er und rannte den Hügel hinab.

      Erst im Dorf schlossen Ordulf und Gerolf wieder zu ihm auf. Ceretic blickte hilflos zwischen den Trümmern einher, doch niemand zeigte sich.

      „Vielleicht