Jeder stirbt für sich allein. Ханс Фаллада

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Название Jeder stirbt für sich allein
Автор произведения Ханс Фаллада
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753180564



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und allein rumlaufen, das langweilt mich! «

      Er fing nun an, genau zu schildern, was er alles schon gegen seine Hartleibigkeit getan hatte. Quangel hörte gar nicht hin. Ihn beschäftigten zwei Gedanken, und der eine verdrängte immer wieder den andern: dass er keinen Sohn mehr hatte und dass Anna gesagt hatte: Du und dein Führer. Quangel gab es sich zu: er hatte den Jungen nie geliebt, wie ein Vater seinen Sohn zu lieben hat. Von der Geburt an hatte er das Kind nur als Störer seiner Ruhe und seiner Beziehungen zu Anna empfunden. Wenn er jetzt doch Schmerz fühlte, so darum, weil er mit Unruhe an Anna dachte, wie sie diesen Tod aufnehmen, was dadurch alles geändert werden würde. Hatte doch Anna schon zu ihm gesagt: Du und dein Führer!

      Es stimmte nicht. Hitler war nicht sein Führer, oder doch nicht mehr sein Führer, als er Annas Führer war. Sie waren sich immer einig gewesen, als er mit seiner kleinen Tischlerwerkstatt verkracht war, dass der Führer den Karren aus dem Dreck gerissen hatte. Nach vier Jahren Arbeitslosigkeit war er 1934 Werkmeister in der großen Möbelfabrik geworden und brachte jetzt alle Wochen seine vierzig Mark nach Hause. Damit kamen sie gut aus.

      Aber in die Partei waren sie darum doch nicht getreten. Einmal reute sie der Parteibeitrag, man müsste schon so an allen Ecken und Enden bluten, für das WHW, für alle möglichen Sammlungen, für die Arbeitsfront. Ja, in der Arbeitsfront hatten sie ihm in der Fabrik auch ein Ämtchen aufgehuckt, und gerade das war der andere Grund, warum sie beide nicht in die Partei eingetreten waren. Denn er sah es bei jeder Gelegenheit, wie sie ständig einen Unterschied zwischen Volksgenossen und Parteigenossen machten. Auch der schlechteste Parteigenosse war denen noch mehr wert als der beste Volksgenosse. War man einmal in der Partei, so konnte man sich alles erlauben: so leicht passierte einem nichts. Das nannten sie Treue um Treue.

      Er aber, der Werkmeister Otto Quangel, war für Gerechtigkeit. Jeder Mensch war ihm ein Mensch, und ob er in der Partei drin war, das hatte damit gar nichts zu tun. Wenn er in der Werkstatt immer wieder erleben musste, dass dem einen ein kleiner Fehler am Werkstück schwer angekreidet wurde und dass der andere Pfusch über Pfusch abliefern durfte, so empörte ihn das stets von neuem. Er setzte die Zähne auf die Unterlippe und nagte wütend an ihr – wenn er's gekonnt hätte, er wäre auch diese Pöstchen in der DAF längst los gewesen!

       Die Anna wusste das gut, darum hätte sie das nie sagen dürfen, dies Wort: Du und dein Führer! Die Anna hatte nicht gemusst wie er. Gott ja, er verstand ihre Einfachheit, ihre Demut und wie sie nun so plötzlich anders geworden war. Zeit ihres Lebens war sie Dienstmädchen gewesen, erst auf dem Lande, dann hier in der Stadt, zeit ihres Lebens hatte sie Trab laufen müssen und war kommandiert worden. In ihrer Ehe hatte sie auch nicht viel zu sagen gehabt, nicht etwa, weil er sie viel kommandiert hätte, sondern weil sich um ihn, den Geldverdiener, nun einmal alles drehen musste.

      Aber nun ist der Tod von Ottochen gekommen, und mit Beunruhigung spürt Otto Quangel, wie tief sie davon aufgewühlt ist.

      Er sieht ihr krankes, gelblichweißes Gesicht vor sich, wieder hört er ihre Anklage, er ist jetzt zu einer ganz ungewohnten Stunde unterwegs, diesen Borkhausen an der Seite, heute Abend ist die Trudel bei ihnen, es wird Tränen geben, endloses Gerede – und er, Otto Quangel, liebt doch so sehr das Gleichmaß des Lebens, den immer gleichen Arbeitstag, der möglichst gar kein besonderes Ereignis bringt. Schon der Sonntag ist ihm fast eine Störung. Und nun soll alles eine Weile durcheinandergehen, und wahrscheinlich wird die Anna nie wieder die, die sie einst war.

      Er muss sich das alles noch einmal ganz genau überlegen, nur der Borkhausen hindert ihn daran. Jetzt sagt dieser Mann doch: »Sie sollen ja auch einen Feldpostbrief bekommen haben, und er soll nicht von Ihrem Otto geschrieben sein? «

      Quangel richtet den Blick seiner scharfen, dunklen Augen auf den andern und murmelt: »Schwätzer! « Weil er aber mit niemandem Streit bekommen will, selbst nicht mit solch einem Garnichts wie dem Rumsteher Borkhausen, setzt er halb widerwillig hinzu: »Die Leute schwatzen alle viel Zuviel! «

      Der Emil Borkhausen ist nicht beleidigt, den Borkhausen kann man so leicht nicht beleidigen, er stimmt eifrig zu: »Sie sagen's, wie's ist, Quangel! Warum kann die Kluge, die Briefschleiche, nicht das Maulwerk halten? Aber nein, gleich muss sie allen erzählen: Die Quangels haben einen Brief aus dem Felde mit Schreibmaschinenschrift bekommen! « Er macht eine kleine Pause, und dann fragt er mit einer ganz ungewohnten, halblauten, teilnehmenden Stimme: »Verwundet oder vermisst oder ...? «

      Er schweigt. Quangel aber – nach einer längeren Pause – antwortet nur indirekt: »Also Frankreich hat kapituliert? Na, das hätten die gut auch einen Tag früher machen können, dann lebte mein Otto noch ...«

      Borkhausen erwidert auffallend lebhaft: »Aber weil soundso viel Tausende den Heldentod gestorben sind, darum hat Frankreich sich doch so rasch ergeben. Darum bleiben so viele Millionen nun am Leben. Auf so 'n Opfer muss man stolz sein als Vater! «

      Quangel fragt: »Ihre sind alle noch zu klein, um ins Feld zu gehen, Nachbar? «

      Fast gekränkt meint Borkhausen: »Das wissen Sie doch, Quangel! Aber wenn sie alle auf einmal stürben, durch 'ne Bombe oder so was, da wäre ich nur stolz drauf. Glauben Sie mir das nicht, Quangel? «

       Aber der Werkmeister beantwortet diese Frage nicht, sondern denkt: Wenn ich schon kein rechter Vater bin und den Otto nicht so liebgehabt habe, wie ich musste – dir sind deine Gören einfach eine Last. Das glaube ich, dass du froh wärst, die durch eine Bombe alle auf einmal loszuwerden, unbesehen glaube ich dir das!

      Aber er spricht nichts derart, und der Borkhausen, der schon des Wartens auf eine Antwort überdrüssig geworden ist, sagt: »Denken Sie doch mal nach. Quangel, erst das Sudetenland und die Tschechoslowakei und Österreich und nu Polen und Frankreich – wir werden doch das reichste Volk von der Welt! Was zählen da ein paar hunderttausend Tote? Reich werden wir alle! «

      Ungewohnt rasch entgegnet Quangel: »Und was werden wir mit dem Reichtum anfangen? Kann ich ihn essen? Schlaf ich besser, wenn ich reich bin? Werde ich als reicher Mann nicht mehr in die Fabrik gehen, und was tu ich dann den ganzen Tag? Nee, Borkhausen, ich will nie reich werden und so schon bestimmt nicht. So ein Reichtum ist nicht einen Toten wert! «

      Da packt ihn Borkhausen am Arm, seine Augen flackern, er schüttelt den Quangel, während er eilig flüstert: »Wie kannst du so reden, Quangel? Du weißt doch, dass ich dich für so 'ne Meckerei ins KZ bringen kann? Du hast ja unserm Führer direkt gegen's Gesicht gesprochen! Wenn ich nun so einer wäre und meldete das...? «

      Quangel ist erschrocken über seine eigenen Worte. Diese Sache mit Otto und Anna muss ihn viel mehr aus dem Gleis geworfen haben, als er bisher gedacht hat, sonst hätte ihn seine angeborene, stets wachsame Vorsicht nicht so verlassen. Aber der andere bekommt von seinem Erschrecken nichts zu merken. Quangel befreit seinen Arm mit den starken Arbeitshänden von dem laschen Griff des andern und sagt dabei langsam und gleichgültig: »Was regen Sie sich denn so auf, Borkhausen? Was habe ich denn gesagt, dass Sie melden können? Ich bin traurig, weil mein Sohn Otto gefallen, ist und weil meine Frau nun vielen Kummer hat. Das können Sie melden, wenn Sie wollen, und wenn Sie wollen, dann tun Sie's! Ich geh gleich mit und unterschreibe, dass ich das gesagt hab! «

      Während Quangel aber so ungewohnt wortreich daherredet, denkt er innerlich: Ich will 'nen Besen fressen, wenn dieser Borkhausen nicht ein Spitzel ist! Wieder einer, vor dem man sich in Acht nehmen muss! Vor wem muss man sich nicht in Acht nehmen? Wie's mit der Anna werden wird, weiß ich auch nicht...

      Unterdes sind sie am Fabriktor angekommen. Wieder streckt Quangel dem Borkhausen nicht die Hand hin. Er sagt: »Na denn! « und will hineingehen.

      Aber Borkhausen hält ihn an der Joppe fest und flüstert: »Nachbar, was gewesen ist, darüber wollen wir nicht mehr sprechen. Ich bin kein Spitzel und will keinen ins Unglück bringen. Aber nun tu mir auch einen Gefallen: ich muss meiner Frau ein bisschen Geld für Lebensmittel geben und habe keinen Pfennig in der Tasche. Die Kinder haben heut noch nischt gegessen. Leih mir zehn Mark – am nächsten Freitag bekommst du sie bestimmt wieder – heilig wahr! «

       Der Quangel macht sich wieder wie vorhin von dem Griff des andern frei. Er denkt: Also so einer bist du, so verdienst du dein Geld! Und: Ich werde ihm nicht eine Mark geben, sonst denkt