12 Jahre als Sklave. Solomon Northup

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Название 12 Jahre als Sklave
Автор произведения Solomon Northup
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783847676683



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des Goldes wegen – diejenigen, welche diese Seiten lesen, werden dieselben Mittel besitzen, dies zu bestimmen wie ich selbst. Wenn sie unschuldig waren, so muss mein plötzliches Verschwinden wahrhaftig unerklärlich gewesen sein; aber wenn ich mir im Geiste all die begleitenden Umstände überlege, kann ich es mir niemals erlauben, ihnen gegenüber so nachsichtig zu sein.

      Als ich von ihnen das Geld erhalten hatte, welches sie im Überfluss zu besitzen schienen, rieten sie mir, in dieser Nacht nicht auf die Straße zu gehen, insofern ich mit den Gebräuchen der Stadt nicht vertraut war. Nachdem ich versprach, ihren Rat im Sinn zu behalten, verließ ich beide zusammen, und bald darauf wurde mir von einem farbigen Diener eine Schlafkammer im rückwärtigen Teil des Hotels im Erdgeschoß zugewiesen. Ich legte mich zur Ruhe nieder, dachte an Heim und Frau, und die Kinder, und die weite Entfernung, die zwischen uns lag, bis ich in Schlaf verfiel. Doch kein guter Engel des Erbarmens kam an mein Bett und forderte mich auf zu fliehen – keine Stimme der Gnade warnte mich im Traum vor den Prüfungen, die mir gerade bevorstanden.

      Am nächsten Tag gab es einen großen Festzug in Washington. Das Donnern von Kanonen und das Läuten der Glocken füllten die Luft, während viele Häuser mit Trauerfloren verschleiert waren, und die Straßen schwarz waren vor Menschen. Als der Tag voranschritt, trat die Prozession in Erscheinung, kam langsam die Avenue herab, Kutsche auf Kutsche in langer Abfolge, während Tausende und Abertausende zu Fuß nachfolgten – alle sich zum Klang melancholischer Musik bewegend. Sie trugen den Leichnam von Harrison zu Grabe.

      Ab dem frühen Morgen war ich immer in der Gesellschaft von Brown und Hamilton. Sie waren die einzigen Personen, die ich in Washington kannte. Wir standen zusammen, als der Trauerzug vorbeimarschierte. Ich erinnere mich deutlich, wie Fensterscheiben zerbrachen und klirrend zu Boden fielen, nach jedem Donnern der Kanone, die auf dem Friedhof abgefeuert wurde. Wir begaben uns zum Capitol und spazierten einige Zeit auf dem Gelände umher. Am Nachmittag gingen sie zum Haus des Präsidenten, und während all der Zeit behielten sie mich in ihrer Nähe und zeigten mir verschiedene Sehenswürdigkeiten. Bisher hatte ich noch nichts von dem Zirkus gesehen. Tatsächlich hatte ich inmitten der Aufregungen des Tages nur wenige Gedanken an ihn verschwendet, wenn überhaupt.

      Meine Freunde betraten mehrere Male während des Nachmittags Trinklokale und bestellten Schnaps. Sie besaßen jedoch keinesfalls die Angewohnheit, diesem übermäßig zu frönen, soweit ich sie kannte. Bei diesen Gelegenheiten schenkten sie, nachdem sie sich selbst bedient hatten, ein Glas ein und gaben es mir. Ich wurde nicht betrunken, wie man vielleicht aus dem, was sich anschließend zutrug, folgern könnte. Gegen Abend, und kurz nachdem ich eines dieser Getränke zu mir genommen hatte, begann ich einige höchst unangenehme Empfindungen durchzumachen. Ich fühlte mich äußerst unwohl. Mein Kopf begann zu schmerzen – ein tauber, schwerer Schmerz, unsagbar unangenehm. Beim Abendessen war ich ohne Appetit; der Anblick und der Geruch des Essens lösten bei mir Übelkeit aus. Ungefähr zur Dämmerung führte mich derselbe Diener in den Raum, den ich auch die vorige Nacht belegt hatte. Brown und Hamilton rieten mir, zu Bett zu gehen, bedauerten mich freundlich und brachten die Hoffnung zum Ausdruck, dass es mir am Morgen wieder besser gehen würde. Nachdem ich mich nur von Mantel und Stiefeln entledigt hatte, warf ich mich auf das Bett. Es war mir unmöglich zu schlafen. Der Schmerz in meinem Kopf wurde immer stärker, bis er fast unerträglich war. In kürzester Zeit wurde ich durstig. Meine Lippen waren ausgetrocknet. Ich konnte an nichts anderes denken als Wasser – an Seen und fließende Ströme, an Bäche, an denen ich mich gebückt hatte, um zu trinken, und an den tropfenden Eimer, der sich mit seinem kühlen und überlaufenden Nektar vom Grunde des Brunnens erhebt. Gegen Mitternacht, soweit ich es beurteilen kann, erhob ich mich, unfähig länger noch einen solch eindringlichen Durst zu ertragen. Ich war ein Fremder in diesem Haus und kannte die Zimmer nicht. Soweit ich erkennen konnte, war niemand mehr auf den Beinen. Aufs Geratewohl herumtastend, ich weiß nicht mehr woher eigentlich, fand ich zumindest den Weg zu einer Küche im Keller. Zwei oder drei farbige Diener waren dort unterwegs, von denen mir einer, eine Frau, zwei Gläser Wasser gab. Das verschaffte mir eine kurzfristige Linderung, doch als ich wieder mein Zimmer erreicht hatte, war dasselbe brennende Verlangen zu trinken, derselbe quälende Durst zurückgekehrt. Er war noch peinigender als zuvor, ebenso wie der ungezügelte Schmerz in meinem Kopf, wenn dies überhaupt möglich war. Ich war in schlimmer Not – litt entsetzliche Schmerzen! Ich schien an der Schwelle zum Irrsinn zu stehen! Die Erinnerung an jene Nacht furchtbaren Leids wird mich bis ins Grab verfolgen.

      Nachdem eine Stunde oder auch mehr seit meiner Rückkehr aus der Küche vergangen war, wurde mir bewusst, dass jemand mein Zimmer betrat. Es schienen mehrere zu sein – ein Durcheinander von Stimmen – aber wie viele, oder wer sie waren, kann ich nicht sagen. Ob Brown und Hamilton dabei waren, ist eine reine Annahme. Mit ziemlicher Sicherheit erinnere ich mich nur, dass mir gesagt wurde, es wäre notwendig zu einem Arzt zu gehen, um eine Medizin verschrieben zu bekommen, und dass ich, nachdem ich meine Stiefel angezogen hatte, ohne Mantel und Hut, ihnen durch eine lange Passage oder Gasse auf die offene Straße folgte. Sie zweigte im rechten Winkel von der Pennsylvania Avenue ab. Auf der gegenüberliegenden Seite brannte in einem Fenster ein Licht. Ich hatte den Eindruck, dass drei Personen bei mir waren, doch letzten Endes schien alles unbestimmt und vage, und wie die Erinnerung an einen schmerzhaften Traum. Wie ich auf jenes Licht zuging, welches, wie ich mir vorstellte, im Fenster eines Arztes leuchtete, und das scheinbar vor mir zurückwich, ist die letzte flimmernde Erinnerung, die ich mir noch ins Gedächtnis rufen kann. Von diesem Augenblick an war ich besinnungslos. Wie lange ich mich in jenem Zustand befand – ob nur in dieser Nacht, oder viele Tage und Nächte – weiß ich nicht; aber als mein Bewusstsein zurückkehrte, war ich allein, in völliger Dunkelheit und in Ketten.

      Der Schmerz in meinem Kopf hatte ein gewisses Maß nachgelassen, doch ich war sehr schwach und kraftlos. Ich saß auf einer niedrigen Pritsche aus groben Brettern, ohne Mantel oder Hut. Ich trug Handschellen. Um meine Knöchel befand sich auch ein Paar schwerer Fesseln. Ein Ende der Kette war an einem großen Ring auf dem Boden befestigt, das andere an den Fesseln um meine Knöchel. Ich versuchte vergeblich aufzustehen. Nachdem ich aus einer derart schmerzhaften Trance erwacht war, dauerte es einige Zeit, bis ich wieder meine Gedanken sammeln konnte. Wo war ich? Was hatten diese Ketten zu bedeuten? Wo waren Brown und Hamilton? Was hatte ich getan, um in solch einem Kerker gefangen zu sein? Ich konnte es nicht verstehen. Es gab eine Lücke über einen unbestimmten Zeitraum vor meinem Erwachen an diesem einsamen Ort, deren Ereignisse mir selbst bei äußerster Anstrengung meines Gedächtnisses nicht einfallen wollten. Ich lauschte angestrengt nach einem Signal oder Geräusch von Leben, aber nichts durchdrang die bedrückende Stille, außer dem Klirren meiner Ketten, wann immer ich mich auch zufällig bewegte. Ich sagte etwas, doch der Klang meiner Stimme erschreckte mich. Ich betastete meine Taschen, soweit es die Schellen erlaubten – tatsächlich weit genug, um sicher zu sein, dass ich nicht nur meiner Freiheit beraubt worden war, sondern auch mein Geld und mein Freiennachweis verschwunden waren! Dann begann sich in meinem Verstand zunächst düster und verwirrt der Gedanke zu bilden, dass ich entführt worden war. Aber das, so dachte ich, wäre unglaublich. Es musste eine Art Missverständnis gegeben haben – einen unglücklichen Fehler. Es konnte doch nicht sein, dass ein freier Bürger New Yorks, der niemandem ein Unrecht zugefügt noch irgendein Gesetz gebrochen hatte, derart unmenschlich behandelt wurde. Je länger ich jedoch meine Lage überdachte, desto sicherer wurde ich mir in meinem Verdacht. Es war wahrlich ein trostloser Gedanke. Ich spürte, dass bei Menschen in ihrer Gefühllosigkeit kein Vertrauen und keine Gnade zu finden war; und so empfahl ich mich dem Gott der Geknechteten, beugte meinen Kopf auf meine zusammengeketteten Hände und weinte höchst bitterlich.

       KAPITEL III.

      SCHMERZHAFTE ÜBERLEGUNGEN – JAMES H. BURCH – WILLIAMS’ SKLAVENPFERCH IN WASHINGTON – DER LAKAI RADBURN – ICH BEHARRE AUF MEINER FREIHEIT – DER ZORN DES HÄNDLERS – DAS PADDEL UND DIE NEUNSCHWÄNZIGE KATZE – DIE ZÜCHTIGUNG – NEUE BEKANNTE – RAY, WILLIAMS UND RANDALL – ANKUNFT DER KLEINEN EMILY UND IHRER MUTTER IM PFERCH – MÜTTERLICHER KUMMER – DIE GESCHICHTE ELIZAS.

      Etwa drei Stunden vergingen, während derer ich auf der niedrigen Pritsche sitzen blieb, in schmerzhafte Überlegungen versunken. Schließlich vernahm ich das Krähen eines Hahnes, und bald darauf drang ein fernes, polterndes Geräusch an meine Ohren, wie