Название | Der Gesellschaftsvertrag |
---|---|
Автор произведения | Jean-Jacques Rousseau |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783752916379 |
Dieser Irrtum hat sich nur aus den ungenauen Vorstellungen von der staatshoheitlichen Gewalt bilden können, indem man Dinge, die nur Ausflüsse dieser Gewalt waren, für Teile derselben hielt. So hat man beispielsweise Kriegserklärungen und Friedensabschlüsse für Akte der Staatshoheit angesehen, was sie keineswegs sind, da keiner dieser Akte ein Gesetz, sondern jeder lediglich eine Anwendung des Gesetzes, ein besonderer Akt ist, der die gesetzlichen Bestimmungen zur Geltung bringt, wie man klar einsehen wird, sobald der mit dem Worte Gesetz verbundene Begriff festgestellt ist.
Bei einer ähnlichen Prüfung der übrigen Einteilungen würde man finden, daß man sich jedesmal irrt, wenn man die Staatshoheit geteilt zu sehen glaubt, und daß die Rechte, die man für Teile dieser Staatshoheit hält, ihr sämtlich untergeordnet sind und stets einen höchsten Willen voraussetzen, der nur durch diese Rechte zur Ausführung gelangt.
Es läßt sich gar nicht sagen, eine wie große Dunkelheit dieser Mangel an Genauigkeit über die Feststellungen der Schriftsteller auf dem Gebiete des Staatsrechts verbreitet hat, wenn sie nach Maßgabe der von ihnen festgestellten Grundsätze sich über die gegenseitigen Rechte der Könige und Völker ein Urteil erlauben wollten. Aus dem dritten und vierten Kapitel im ersten Buche des von Grotius verfaßten Werkes kann man ersehen, wie sich dieser gelehrte Mann und sein Übersetzer in ihre Trugschlüsse verwickeln und verwirren, aus Furcht, im Hinblick auf ihre Anschauungen zu viel oder zu wenig zu sagen und Interessen zu verletzen, die miteinander in Einklang zu bringen ihre Aufgabe war. Nach Frankreich geflüchtet und mit seinem Vaterlande unzufrieden, will Grotius Ludwig XIII., dem er sein Werk gewidmet hat, den Hof machen und spart deshalb nichts, die Völker aller ihrer Rechte zu berauben, um mit möglichster Geschicklichkeit die Könige damit zu bekleiden. Das wäre auch vollkommen nach dem Geschmacke Barbeyracs gewesen, der seine Übersetzung dem Könige Georg I. von England widmete. Leider nötigte ihn jedoch die Vertreibung Jacobs II., die er Abdankung nennt, auf seiner Hut zu sein, Winkelzüge und Ausflüchte zu machen, um Wilhelm nicht als einen Thronräuber erscheinen zu lassen. Hätten sich diese beiden Schriftsteller die wahren Grundsätze zu eigen gemacht, so wären alle Widersprüche behoben gewesen und sie stets mit sich in Übereinstimmung geblieben; dann wären sie aber freilich in der traurigen Lage gewesen, die Wahrheit sagen zu müssen und sich nur um die Gunst des Volkes zu bemühen. Die Wahrheit führt nicht zu Glücksgütern, und das Volk verleiht weder Gesandtschaften, noch Lehrstühle, noch Gnadengelder.
3. Kapitel: Ob der allgemeine Wille irren kann
Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, daß der allgemeine Wille beständig der richtige ist und immer auf das allgemeine Beste abzielt; daraus folgt jedoch nicht, daß Volksbeschlüsse immer gleich richtig sind. Man will stets sein Bestes, sieht jedoch nicht immer ein, worin es besteht. Das Volk läßt sich nie bestechen, wohl aber oft hinter das Licht führen, und nur dann scheint es Böses zu wollen.
Oft ist ein großer Unterschied zwischen dem Willen aller und dem allgemeinen Willen; letzterer geht nur auf das allgemeine Beste aus, ersterer auf das Privatinteresse und ist nur eine Summe einzelner Willensmeinungen. Zieht man nun von diesen Willensmeinungen das Mehr und Minder, das sich gegenseitig aufhebt, ab, so bleibt als Differenzsumme der allgemeine Wille übrig.
Hätten bei der Beschlußfassung eines hinlänglich unterrichteten Volkes die Staatsbürger keine feste Verbindung untereinander, so würde aus der großen Anzahl kleiner Differenzen stets der allgemeine Wille hervorgehen, und der Beschluß wäre immer gut. Wenn sich indessen Parteien, wenn sich kleine Genossenschaften zum Nachteil der großen bilden, so wird der Wille jeder dieser Gesellschaften in Beziehung auf ihre Mitglieder ein allgemeiner und dem Staate gegenüber ein einzelner; man kann dann sagen, daß nicht mehr soviel Stimmberechtigte wie Menschen vorhanden sind, sondern nur so viele, wie es Vereinigungen gibt. Die Differenzen werden weniger zahlreich und führen zu einem weniger allgemeinen Ergebnis. Wenn endlich eine dieser Vereinigungen so groß ist, daß sie über alle anderen das Übergewicht davonträgt, so ist das Ergebnis nicht mehr eine Summe kleiner Differenzen, sondern eine einzige Differenz; dann gibt es keinen allgemeinen Willen mehr, und die Ansicht, die den Sieg davonträgt, ist trotzdem nur eine Privatansicht.
Um eine klare Darlegung des allgemeinen Willens zu erhalten, ist es deshalb von Wichtigkeit, daß es im Staate möglichst keine besonderen Gesellschaften geben und jeder Staatsbürger nur für seine eigene Überzeugung eintreten soll. Deshalb war die auf diesem Grundsatze beruhende Einrichtung des großen Lykurg so einzig in ihrer Art und so erhaben. Gibt es nun solche besondere Gesellschaften, so muß man ihre Anzahl vermehren und ihrer Ungleichheit vorbeugen, wie Solon, Numa und Servius Tullius taten. Diese Vorsichtsmaßregeln können es einzig und allein bewirken, daß der allgemeine Wille immer klar ersichtlich ist, und das Volk sich nicht irrt.
4. Kapitel: Grenzen der Hoheitsmacht
Wenn der Staat oder das Gemeinwesen nur eine moralische Person ist, deren Leben in der Verbindung ihrer Glieder besteht, und wenn seine wichtigste Sorge auf seine eigene Erhaltung gerichtet ist, so hat er eine allgemeine und zwingende Kraft nötig, um jeden Teil auf die dem Ganzen zweckmäßigste Weise zu bewegen und nutzbar zu machen. Wie die Natur jeden Menschen mit einer unumschränkten Macht über alle seine Glieder ausstattet, so stattet auch der Gesellschaftsvertrag den Staatskörper mit einer unumschränkten Macht über all die seinigen aus, und ebendiese vom allgemeinen Willen geleitete Macht wird, wie bereits erwähnt, Staatshoheit genannt.
Außer der Person des Staates haben wir jedoch auch die einzelnen Personen, die jene bilden und deren Leben und Freiheit naturgemäß von ihr unabhängig sind, zu betrachten. Es gilt also, die gegenseitigen Rechte der Staatsbürger und des Staatsoberhauptes sowie die Pflichten, welche erstere in ihrer Eigenschaft als Untertanen zu erfüllen haben, von dem natürlichen Rechte, dessen sie als Menschen genießen müssen, genau zu unterscheiden.
Man gesteht zu, daß durch den Gesellschaftsvertrag jeder von seiner Macht, seinem Vermögen und seiner Freiheit nur den Teil veräußert, den das Gemeinwesen nötig hat; aber man muß auch zugestehen, daß das Staatsoberhaupt allein die Notwendigkeit des abzutretenden Teils bestimmen darf.
Alle Dienste, die der Staatsbürger dem Staate zu leisten vermag, ist er ihm schuldig, sobald das Staatsoberhaupt sie verlangt; dagegen kann das Staatsoberhaupt von seiner Seite aus die Untertanen mit keiner dem Gemeinwesen unnützen Fessel belasten, ja, es kann es nicht einmal wollen, denn nach dem Gesetze der Vernunft geschieht ebensowenig wie nach dem Gesetze der Natur etwas ohne Ursache.
Die Verbindlichkeiten, die uns an den Gesellschaftskörper knüpfen, sind nur deswegen verpflichtender Natur, weil sie gegenseitig sind, und ihr Wesen ist der Art, daß man bei ihrer Erfüllung nicht für andere arbeiten kann, ohne auch für sich zu arbeiten. Weshalb ist der allgemeine Wille immer richtig, und weshalb wollen alle stets das Glück eines jeden unter sich, wenn nicht um deswillen, weil es niemand gibt, der nicht das Wort »jeder« sich aneignet und nicht an sich selber denkt, so oft er für alle stimmt? Darin liegt der Beweis, daß die Rechtsgleichheit und die dadurch hervorgerufene Vorstellung von Gerechtigkeit aus dem Vorzuge, den jeder sich selbst beilegt, und folglich aus der menschlichen Natur entspringen; daß der allgemeine Wille, soll er in Wahrheit bestehen, es sowohl im Hinblick auf seinen Gegenstand wie auf sein Wesen sein muß; daß er, um auf alle Anwendung finden zu können, auch von allen ausgehen muß, und daß er seine natürliche Richtigkeit verliert, sobald er es nur mit einem einzelnen bestimmten Gegenstande zu tun hat, weil wir bei der Beurteilung einer uns fremden Angelegenheit uns von keinem wahren Grundsatze der Billigkeit leiten lassen.
Sobald es sich bei einem durch eine frühere allgemeine Übereinkunft noch nicht geregelten