Oliver Hell - Gottes Acker. Michael Wagner J.

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Название Oliver Hell - Gottes Acker
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847655312



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Er hatte jetzt noch eine Minute Zeit, bis er eingreifen konnte. Der Fahrer schonte den Jeep nicht. Sicher hatten sie Verspätung und er gab tüchtig Gas. Er kontrollierte das Gewehr.

      Perfekt.

      Noch dreihundert Meter. Er blickte durch das Visier. Der Fahrer grinste, weil ihn der Mann auf dem Rücksitz gegen die Schulter geschlagen hatte. Er sollte sicherlich das Tempo mäßigen. Der Scharfschütze hob den Kopf, schätzte die Entfernung und legte an.

      Der Mann auf dem Rücksitz kippte vom Jeep, ohne das seine beiden Freunde es bemerkt hätten. Als nächstes sackte der Beifahrer nach vorne und schlug hart gegen das Armaturenbrett. Viel zu überraschend für den Fahrer. Bevor er auch nur etwas bemerkte, traf ihn die nächste Kugel direkt in die Stirn. Er verriss das Lenkrad. Der Jeep bäumte sich sofort auf, hob über den rechten Kotflügel ab und überschlug sich wie in Zeitlupe gut ein Dutzend Mal. Der Scharfschütze konnte die krachenden Geräusche selbst aus der Entfernung gut hören. Doch dann war es still. Alles wurde von einer riesigen Staubwolke verdeckt. Der Schütze blieb solange in seiner Deckung, bis sich der Staub gelegt hatte. Er nahm langsam sein Fernglas heraus, justierte es scharf und suchte das Gelände ab. Der zerstörte Jeep lag auf der Seite. Die Motorhaube war herausgerissen und hatte sich einige Meter neben dem Wrack in den Boden gebohrt. Ein Reifen hatte sich selbständig gemacht und war beinahe zwanzig Meter weit gerollt.

      Selbst Teile des Motorblocks waren auf dem Wüstensand verteilt. Die beiden Männer lagen regungslos einige Meter daneben im Staub. Ebenso der, den er zuerst erwischt hatte. Keiner der Männer rührte sich noch. Es hätte ihn auch gewundert, hatte doch jeder von ihnen eine Kugel mitten in die Stirn bekommen.

      Langsam packte er seine Sachen zusammen, nahm das Gewehr auseinander und legte es sorgsam in das Futteral. Er steckte das Futteral zusätzlich noch in einen staubdichten Beutel. Dann packte er alles in den Rucksack, schulterte ihn und machte sich auf den Weg. Als er den kleinen Abhang hinunterstapfte, nahm er zwei Dinge zur Hand. Eine Pistole und seine Kamera, die er nutzte, um die Toten zu fotografieren. Ohne fotografischen Beweis gab es kein Geld. Die Waffe benötigte er nicht mehr. Drei Schüsse, drei Tote. So sollte es sein. So war es auch. Er machte gleich mehrere Bilder von den Leichen. Sicher war sicher. Als er fertig war, zog er sich sein Halstuch über den Mund. Ohne sich umzuschauen, ging er locker in die Richtung, aus der er auch gekommen war.

      *

      Mai 2013

      Maritim Hotel, Bonn

      Der Applaus brandete auf und kannte kein Ende. Die Besucher des Fachvortrages des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Bonn waren begeistert. Es handelte sich um ein fachkundiges Publikum. Wissenschaftler, Fachjournalisten, sogar einige Kollegen aus dem Ausland waren extra angereist.

      Alles Menschen, zu deren Dasein eine gesunde Skepsis und eine große Portion Abgeklärtheit gehörte. Doch was sie eben hier zu Ohren bekommen hatten, war nicht nur ein brillanter Vortrag eines genialen Redners gewesen. Er hatte sich sein Publikum zurecht gelegt und dann hatte er die Bombe platzen lassen. Es ging um eine neue Methode zur Phosphorrückgewinnung. Was für die meisten Laien wie böhmische Dörfer klingen mochte, war in Wahrheit eines der drängendsten Probleme der Menschheit. Die Phosphorreserven der Erde waren endlich, ebenso wie die Ressourcen an Erdöl. Nur war sich dessen jeder bewusst, der den Benzinpreis verfolgte. Die Phosphorkrise aber brodelte im Geheimen.

      Egal ob Pflanze, Tier oder Mensch – jeder lebende Organismus muss Phosphor zu sich nehmen, um zu wachsen. Ohne Phosphor ist kein Leben auf der Erde möglich. Außerdem ist Phosphor ein wichtiger Nährstoff für Pflanzen und deshalb ein Hauptbestandteil von Kunstdünger. Das chemische Element ist Trägersubstanz der Erbinformation und für den Energiestoffwechsel wichtig.

      In der Agrarwirtschaft setzen Landwirte daher phosphathaltige Düngemittel ein, um die Ernteerträge zu erhöhen. Auch in der Industrie ist Phosphor ein wichtiger Grundstoff. Seit Erfindung des Kunstdüngers zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich der Ertrag aus der Landwirtschaft stark erhöht. Das Wohl und Wehe kommender Generationen hängt also von der Ressource Phosphor ab. Doch die unter der Erde lagernden Phosphorreserven gehen spätestens in 200 bis 300 Jahren zur Neige.

      Einige Fachleute machten es sogar noch drängender, indem sie das Ende der Phosphorvorräte der Erde schon viel früher ansetzten. Einhundert Jahre sagten sie, dann sei alles abgebaut, was sich lohnen würde und was den technischen Aufwand rechtfertigte.

      Daher rückte seit einigen Jahren, spätestens seit Anfang des neuen Jahrtausends die Rückgewinnung des begehrten Stoffes in den Focus der Wissenschaft. Das Hauptaugenmerk lag hier auf der Rückgewinnung von Phosphor aus dem Klärschlamm der kommunalen Klärwerke. 1,6 bis zwei Gramm Phosphor scheidet jeder Mensch am Tag aus. Eine wichtige Ressource.

      Früher war der Nachschub von Phosphor kein Problem. Das Element bewegte sich in einem natürlichen Kreislauf. Pflanzen nahmen ihn aus dem Erdreich auf, Tiere und Menschen mit der Nahrung. Die Ausscheidungen landeten als Dünger wieder auf den Feldern, wo ihn die Pflanzen wieder nutzten. Heute ist dieser Zyklus gestört. Exkremente und Gülle sind stark mit Umweltgiften wie Schwermetallen und Antibiotika belastet. Sie kommen in die Kläranlage, und die Klärschlämme sind als Dünger nicht mehr geeignet. In der Regel werden sie getrocknet und verbrannt. Dabei wird auch der enthaltene Phosphor vernichtet. Eine fatale Entwicklung, denn die Ressource Phosphor ist auf der Erde begrenzt. Der enorme Hunger der Düngemittelindustrie wird größtenteils durch Phosphatabbau in Minen gedeckt.

      Deutschland selbst besitzt keine eigenen Phosphatvorkommen. Es ist damit zu einhundert Prozent abhängig von den Exporteuren. Vier Länder besitzen rund 80 Prozent an den weltweiten Phosphatgestein-Reserven: Marokko, China, Jordanien und Südafrika. Politisch kontrollierte China inzwischen den Phosphatmarkt. Und was noch weit schlimmer war: immer mehr Experten glaubten, dass die Vorkommen bald erschöpft sein könnten. Vor allem mit dem Hintergrund immer größer werdender Nahrungsmittelproduktionen in Asien. Wo über lange Zeiträume nur Reis angebaut wurde, verlangten die Konsumenten nun auch nach exklusiveren Nahrungsmitteln. Die Wissenschaftler sprachen von einer drohenden "Phosphorkrise", die die Menschheit schlimmer treffen könnte, als der Zusammenbruch der Ölversorgung.

      Der bekannte deutsche Wissenschaftler skizzierte ein weniger düsteres Bild. Doch machte er den Anwesenden klar, dass mit Hilfe seiner neuen Methode nicht nur das Problem der Rückgewinnung gelöst werden könnte, sondern dass sich damit ein neuer Absatzmarkt auftat, der die einzelnen Gemeinden autark machen konnte und ihnen zusätzliche Absatzmöglichkeiten darbot. Indem er mit bedachten, aber pointierten Worten seine spektakuläre, neue Theorie mit Leben gefüllt hatte, zauberte er langsam, aber stetig die Begeisterung in die Gesichter der Zuhörer. Immer wieder gab es ein Raunen im Publikum.

      „Meine Damen und Herren, ich bedanke mich sehr herzlich für ihre Aufmerksamkeit“, war sein Schlusssatz.

      Hinter dem schmalen Podium aus Holz stand Dr. Gernot Winkmüller und sortierte seine Blätter zusammen. Er war gerührt. Der Applaus hörte erst nach einer für ihn endlos erscheinenden Minute auf. Winkmüller nickte ins Publikum und wartete auf den Moment, die Bühne verlassen zu können. Er wollte auf keinen Fall unhöflich erscheinen.

      „Herr Doktor, würden Sie einige Fragen der Presse erlauben“, kam es aus der Menge der Zuhörer.

      Damit hatte er eigentlich nicht gerechnet, und es war auch nicht im Ablaufplan vorgesehen. Aber er konnte die Presse auf keinen Fall vor den Kopf stoßen.

      Er nickte. „Selbstverständlich, stellen Sie doch bitte ihre Fragen.“

      Einer der Journalisten stand auf und stellte sich vor. „Sie haben uns eben berichtet, dass diese Anlage, die sie entworfen haben, nicht viel größer ist als die Anlagen, die bereits in Offenburg getestet wurden. Doch soll diese Anlage einen viel höheren Effizienzgrad haben. Ist das nicht nur eine Theorie?“

      Winkmüller schüttelte den Kopf. „Eine Frage, die mir schon oft gestellt wurde, ist die Frage nach der Effizienz. Unsere Anlage kann im Vergleich mit der Pilot-Anlage der Kollegen von der ISWA, die circa 5000 Einwohnerwerte verarbeitet, auf der gleichen Fläche das Doppelte