Middlemarch. George Eliot

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Название Middlemarch
Автор произведения George Eliot
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752988956



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Alles in Allem bildete er den schärfsten Gegensatz zu Sir James Chettam, welcher ein echter Repräsentant der Gattung blühender, rotbärtiger Engländer war.

      »Ich studiere die Agrikulturchemie,« sagte der vortreffliche Baronet, »weil ich im Begriff stehe, die Bewirtschaftung eines meiner Pachthöfe selbst zu übernehmen, um zu sehen, ob ich nicht durch Herstellung einer Musterwirtschaft auf meine Pächter wirken kann. Halten Sie das für richtig, Fräulein Brooke?«

      »Sehr verkehrt, Chettam,« schaltete Herr Brooke ein. – »Ich halte es für ganz verkehrt, Ihre Elektrizität und mehr dergleichen Geschichten in Ihren Boden hinein zu praktizieren und einen Salon aus ihrem Kuhstall zu machen. Ich tue so etwas nicht. Ich habe mich seiner Zeit selbst sehr viel mit der Wissenschaft beschäftigt, aber ich habe eingesehen, daß die Sache nicht geht. Wenn man einmal mit dem Experimentieren anfängt, so ist gar kein Ende abzusehen. Nein, nein, achten Sie nur darauf, daß Ihre Gutsleute Ihr Stroh nicht verkaufen und was dergleichen mehr ist; und geben Sie ihnen Drainir-Röhren, wissen Sie. Aber mit Ihrer Musterwirtschaft ist es nichts, das ist das teuerste Spielzeug, das Sie sich anschaffen können; dafür können Sie sich eine Meute Hunde halten.«

      »Es ist aber doch sicherlich besser,« bemerkte Dorothea, »Geld für Versuche auszugeben, die man anstellt, um zu erproben, wie die Menschen den Boden, der sie Alle ernährt, am ergiebigsten machen können, als für Hunde und Pferde, die diesen Boden nur zerstampfen. Es ist keine Sünde, sich bei der Anstellung von Versuchen zum Wohle Aller arm zu machen.«

      Sie drückte sich energischer aus, als man es von einer so jungen Dame erwartet haben würde, aber Sir James hatte sich ja direkt an sie gewendet. Er tat das gewöhnlich, und sie hatte schon oft daran gedacht, daß sie ihn zu vielen guten Handlungen würde bewegen können, wenn er erst ihr Schwager wäre.

      Herr Casaubon heftete seine Blicke sehr fest auf Dorothea, während sie sprach, und schien sie auf's Neue zu beobachten.

      »Junge Damen verstehen nichts von Nationalökonomie, wissen Sie,« sagte Herr Brooke, indem er Herrn Casaubon zulächelte. »Ich erinnere mich noch sehr wohl der Zeit, wo wir Alle Adam Smith lasen, das ist ein Buch! Ich nahm seiner Zeit alle die neuen Ideen in mich auf, die menschliche Vervollkommnungsfähigkeit, wissen Sie. Aber Einige behaupten, daß die Geschichte einen Kreislauf beschreibe, eine Behauptung, für welche sich gewiß sehr viel sagen läßt. Ich habe mich selbst zu dieser Ansicht bekannt. Die menschliche Vernunft läßt uns wirklich gar zu leicht über das Ziel schießen, wirklich gar zu leicht. Ich habe mich auch seiner Zeit zu weit von ihr hinreißen lassen, aber ich sah ein, daß es damit nicht geht, ich zog die Zügel noch rechtzeitig an, aber nicht zu heftig. Ich bin immer ein Freund von ein wenig Theorie gewesen. Wir können die Ideen nicht entbehren, sonst würden wir uns bald wieder in die finsteren Zeitalter zurückversetzt sehen. Aber da wir einmal von Büchern reden. Da ist ›Southey's Krieg in Spanien‹. Ich lese das des Morgens. Kennen Sie Southey?«

      »Nein,« antwortete Herr Casaubon, welcher mit Herrn Brooke's sprudelndem Vortrag nicht Schritt zu halten vermochte und nur an das Buch dachte. »Es fehlt mir gerade jetzt an Muße für die Lektüre derartiger Bücher. Ich habe meine Augen letzthin bei der Entzifferung von alten Lettern sehr anstrengen müssen und suche jetzt einen Vorleser für die Abende, aber ich habe ein sehr empfindliches Ohr und würde es nicht ertragen können, mir mangelhaft vorlesen zu lassen. Das ist in mehr als einer Beziehung ein Unglück für mich; es macht auch, daß ich zu viel grüble und mich zu viel mit der Vergangenheit beschäftige. Mein Geist gleicht gewissermaßen dem abgestorbenen Geist eines Alten, der die Welt durchwandert und sie trotz aller Ruinen und verwirrenden Veränderungen zu rekonstruieren sucht, wie sie einstmals war. – Aber ich bin auf die äußerste Schonung meiner Sehkraft angewiesen.«

      Es war das erste Mal, daß Herr Casaubon sich etwas ausführlicher ausgesprochen hatte. Er drückte sich mit großer Präzision aus, wie wenn er aufgefordert wäre, öffentlich etwas zu konstatieren; seine wohlerwogene monotone Redeweise, welche er mit einer gleichmäßigen Kopfbewegung begleitete, frappierte um so mehr, als sie den schärfsten Gegensatz zu der unordentlich abspringenden Manier des guten Herrn Brooke bildete. Dorothea dachte bei sich, Herr Casaubon sei der interessanteste Mann, der ihr noch je vorgekommen, selbst Herrn Liret, einen Waadtländischen Geistlichen, welcher in Lausanne Vorlesungen über die Waldenser gehalten hatte, nicht ausgenommen. Eine vergangene Welt im Hinblick auf die höchsten Zwecke der Wahrheit zu rekonstruieren – das war eine Arbeit, bei welcher zugegen und, – wäre es auch nur durch das Halten der Lampe – behilflich sein zu dürfen, des höchsten Preises wert erschien.

      Dieser erhebende Gedanke brachte sie auch über den Verdruss hinweg, den es ihr bereitete, mit ihrer Unwissenheit in der Nationalökonomie, dieser unergründlichen Wissenschaft, welche wie ein Auslöscher auf ihr ganzes geistiges Bewusstsein wirkte, geneckt zu werden.

      »Sie reiten gern, Fräulein Brooke,« sagte Sir James gleich darauf, bei einer sich darbietenden Gelegenheit. »Ich hatte gehofft, Sie würden auch an dem Vergnügen der Jagd Geschmack finden. Wollen Sie mir nicht erlauben, Ihnen meinen Braunen zu schicken, um ihn einmal zu versuchen? Er ist darauf trainiert, von Damen geritten zu werden. Vorigen Sonnabend sah ich Sie die Anhöhe auf einem Gaule hinanreiten, der Ihrer nicht würdig war. Mein Reitknecht kann Ihnen den Corydon jeden Tag herbringen, wenn Sie nur die Güte haben wollen, die Zeit zu bestimmen.«

      »Ich danke Ihnen, Sie sind sehr gütig. Aber ich will das Reiten ganz aufgeben. Ich will gar nicht mehr reiten,« erwiderte Dorothea, die sich zu diesem brüsken Entschluss durch einen kleinen Verdruss darüber gedrängt fühlte, daß Sir James es versuchte, ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, während sie dieselbe ganz Herrn Casaubon zuzuwenden wünschte.

      »Nein, das wäre zu hart,« entgegnete Sir James in einem Tone des Vorwurfs, der von einem lebhaften Interesse zeugte. »Ihre Schwester gefällt sich in Selbstquälerei, nicht wahr?« fuhr er fort, indem er sich an Celia wandte, welche an seiner rechten Seite saß.

      »Ich glaube ja,« antwortete Celia, mit allerliebstem Erröten ängstlich besorgt, nichts zu sagen, was ihrer Schwester nicht angenehm sein möchte. »Sie liebt es, Dinge aufzugeben.«

      »Wenn das wahr wäre, Celia, so wäre ja mein Aufgeben eine Nachgiebigkeit gegen mich selbst und keine Selbstquälerei. Aber es kann sehr gute Gründe geben, sich zu entschließen, etwas sehr Angenehmes nicht zu tun,« sagte Dorothea.

      Zu gleicher Zeit sprach auch Herr Brooke; aber Herr Casaubon war augenscheinlich ganz in die Beobachtung Dorotheen's vertieft, was dieser keineswegs entging.

      »Vollkommen richtig,« erwiderte Sir James auf die letzte, Bemerkung Dorotheen's. »Sie geben die Dinge aus edlen und großen Motiven auf.«

      »Nein, das ist doch nicht ganz richtig. Das habe ich keineswegs von mir behauptet,« entgegnete Dorothea errötend.

      Anders als Celia errötete sie nur selten und nur, wenn sie entzückt oder zornig war. In diesem Augenblick war sie entrüstet über Sir James' zudringliche Verbindlichkeit. Warum machte er nicht Celien den Hof und ließ sie in Ruhe Herrn Casaubon zuhören? – Wenn dieser gelehrte Mann nur selbst reden wollte, anstatt sich von ihrem Onkel etwas vorreden zu lassen, der ihm eben jetzt auseinander setzte, daß man sich bei dem Worte: »Reformation« etwas oder nichts zu denken habe, daß er selbst zwar mit Leib und Seele Protestant, daß aber der Katholizismus eine Tatsache sei und daß, wenn es sich frage, ob Jemand Recht tue, einen Acker seines Landes für eine römisch-katholische Kapelle zu verweigern, man bedenken müsse, daß alle Menschen des Zügels der Religion, welche genau genommen die Furcht vor dem Jenseits bedeute, bedürften.

      »Ich habe mich auch einmal sehr ernst mit Theologie beschäftigt,« sagte Herr Brooke, wie wenn er sich über den Erwerb der eben kundgegebenen tiefen Einsicht von dem Wesen der Religion, ausweisen wollte. »Ich bin so ziemlich über die Lehren aller theologischen Schulen unterrichtet. Ich habe Wilberforce in seiner besten Zeit gekannt. Kennen Sie Wilberforce?«

      Herr Casaubon verneinte die Frage.

      »Nun Wilbersorce war vielleicht kein großer Denker, aber wenn ich je ins Parlament eintreten sollte, wie ich es zu tun gebeten worden bin, würde ich, wie Wilberforce es seinerzeit tat, meinen Platz auf der Seite der Unabhängigen einnehmen