Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall). Michael Wagner J.

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Название Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall)
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия Oliver Hell
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742742049



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       Bonn, Präsidium

      Nichts schien an diesem Abend richtig zu sein. Weder in der Stadt, die heute ihren ersten Sprengstoffanschlag erleben musste, noch im Bonner Präsidium. Oliver Hell sollte daheim in seinem Haus sitzen, einen schottischen Whisky trinken und sich auf den kommenden Urlaub freuen. Stattdessen lag er im Krankenhaus und kämpfte um sein Leben. Seiner Partnerin ging es ähnlich. Dementsprechend war die Stimmung im K11 bedrückt. Wendt und Klauk warteten wie auf heißen Kohlen auf einen Anruf von Christoph Hell. Doch der meldete sich nicht. Hansen drängte auf eine Pressekonferenz noch am Abend, doch sie erreichten Dausend und Grütters nicht. Im Internet schossen die Spekulationen hoch, die Spätausgabe einer Kölner Abendzeitung titelte: ‚Terroranschlag in Bonn!‘. In der Zeile darunter ‚War die Politik zu fahrlässig im Umgang mit den Bonner Salafisten?‘ Für die Presse war klar, dass der Anschlag einen terroristischen Hintergrund hatte. Etwas anderes kam nicht in Frage. Klauk lehnte sich in seinem Stuhl zurück, nahm die Brille ab und steckte den Brillenbügel in den Mund. Man sah ihm an, dass er etwas Wichtiges herausgefunden hatte.

      „Ich habe jetzt einige Informationen über Luana Oliveira zusammengestellt. Die Boutiquebesitzerin stammt aus Brasilien, genau genommen aus Porto Velho, einer Stadt in Westbrasilien an der Grenze zu Peru. Sie ist 36 Jahre alt, lebt seit fünf Jahren in Bonn und hat eine Ausbildung zur Übersetzerin gemacht – sie spricht fließend Englisch, Deutsch und Niederländisch. Porto Velho liegt an der sogenannten Kokainstraße. In Peru angebautes Kokain wird über die Grenze gebracht und von dort aus an die Ostküste Brasiliens weitertransportiert. Porto Velho ist so etwas wie der Verschiebebahnhof. Ihr Bruder ist ein Kollege bei der brasilianischen Polizei.“

      „Was willst du uns damit sagen? Dass die Bonner Salafisten Kontakt zu den Drogenhändlern in Brasilien haben?“, fragte Rosin skeptisch.

      „Keine Salafisten, Drogenhändler!“

      „Wie?“

      „Es war kein islamistisch motivierter Anschlag, sondern er galt Luana Oliveira.“

      „Blödsinn, das konstruierst du jetzt allein aus der Tatsache, dass sie aus einem brasilianischen Ort stammt, der an dieser Kokainstraße liegt und weil ihr Bruder ein Bulle ist? Ist das nicht ein bisschen schwach?“, meinte auch Wendt kritisch.

      „Ja, das meine ich. Oliveiras Bruder arbeitet bei der Drogenfahndung.“

      Wie zum Beweis hielt er den Kollegen sein Tablet mit der Akte der brasilianischen Polizei hin. Ihnen schaute ein gut aussehender Mann Anfang vierzig entgegen. Gütige Augen in einem bärtigen Gesicht. Rosin betrachtete den Drogenfahnder eingehend. Dann zuckte sie mit der Augenbraue und widmete sich wieder ihrer Arbeit.

      „Überzeugt mich nicht“, erwiderte Wendt scharf. Klauk setzte seine Brille wieder auf und stand auf, ging zum Fenster hinüber. Man konnte sehen, dass er Probleme mit der Kritik seiner Kollegen hatte.

      „Du willst, dass es islamistischer Terror war? Bist du ebenso verbohrt wie Dausend und Grütters? Was würde Hell jetzt sagen, wenn er hier wäre?“

      „Hell ist aber nicht hier, er liegt im Krankenhaus, weil er in eine Bombe dieser elenden Moslems gelaufen ist“, keifte Wendt los.

      „Salafisten, nicht Moslems. Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun“, pflichtete Rosin jetzt indirekt Klauk bei. Der warf ihr einen kurzen dankbaren Blick zu, dann baute er sich neben Wendts Schreibtisch auf.

      „Wir sollen laut Hansen in alle möglichen Richtungen ermitteln, unter der Hand natürlich. Wenn das LKA und der Staatsschutz von einem salafistisch motivierten Anschlag ausgehen, was hindert uns daran, einem anderen Ansatz zu folgen?“

      „Weil ich an diesen anderen Ansatz glauben muss, um ihm nachzugehen. Das ist nicht der Fall, also!“

      „Also was? Weil du stur und unflexibel bist, muss ich klein beigeben?“

      „Ich bin weder stur noch unflexibel“, polterte Wendt los, erhob sich von seinem Drehstuhl. Er und Klauk waren gleich groß, maßen beide über einen Meter neunzig. Jetzt berührten sich beinahe ihre Nasenspitzen.

      „Seid ihr beiden eigentlich noch ganz klar? Kaum ist der Chef nicht da, macht ihr hier beide einen auf dicke Hose?“, rief Rosin von ihrem Stuhl aus. „Ihr gebt echt ein Bild des Jammers ab. Idiotisches Macho-Getue.“

      Wendt hasste es, wenn ihn jemand kritisierte, aber Rosins Einschätzung war völlig korrekt. Er hatte Angst um seinen Freund und Kollegen Hell. Diese Angst machte ihn anfällig für Fehler und für Ungerechtigkeiten. Er atmete tief ein und legte Klauk versöhnlich die Hand auf die Schulter. Alle Feindseligkeit war wieder aus seinem Blick gewichen.

      „Sorry, Sebi. Das Ganze ist wohl ein wenig zu viel für mich. Du hast eine mögliche Spur. Dausend und Grütters ermitteln in Richtung Salafisten, wir schauen uns Luana Oliveira genauer an. Lea, kannst du Kontakt zur brasilianischen Polizei aufnehmen und versuchen, mit ihrem Bruder zu sprechen?“ Lea nickte. „Wenn ich damit fertig bin, die Namen der Verletzten und Toten gegenzuchecken oder zuvor?“

      „Wir fahren jetzt ins Krankenhaus und sprechen mit Oliveira. Vielleicht hat sich danach das Telefonat erledigt. In welcher Klinik liegt sie?“

      „Im Johanniter-Krankenhaus in der Nähe der Rheinaue“, antwortete Rosin nach einem Blick auf die Opferliste.

      *

       Bonn, Venusbergkliniken

      Bei Bewusstsein. War sie das? Oder dauerte dieser schreckliche Albtraum immer noch an? Der Traum verfolgte sie, sie erblickte in Endlosschleife brennende Menschen, abgetrennte Gliedmaßen und der letzte Blick von Oliver, der sich ins Nichts zu verabschieden schien. War er noch am Leben? Doktor Franziska Leck schlug ihre Augen auf und sah nur Dunkelheit um sich herum. Wo war sie? Im Krankenhaus? Sie lauschte ins Dunkel. Jedenfalls schien sie noch zu leben. Ihr Atem ging flach. Sofort horchte sie in ihren Körper hinein, versuchte ihre Gliedmaßen zu bewegen, schlug die Bettdecke zur Seite und tastete hektisch ihren Bauch ab. Alles schien intakt zu sein. Sie streckte ihre Zehen und krümmte die Knie, zog sie an ihren Körper heran. Dabei spürte sie einen großen Verband auf ihrer Brust, sie tastete ihn ab, um sich eine Vorstellung zu machen, warum man ihn ihr angelegt hatte. Ihre medizinischen Kenntnisse beschränkten sich auf das, was Medikamenten- und Drogenmissbrauch im Körper eines Menschen anrichten konnten. Das gehörte zu ihrem Spezialgebiet als Profilerin, als ausgebildete Psychologin war die Innenwelt des Menschen ihr Betätigungsfeld. Der Verband lag recht locker auf ihren Brüsten. Ihre Hand glitt weiter an ihrem Hals entlang. Auch auf der Stirn spürte sie plötzlich etwas Ungewohntes. Etwas lag sehr fest auf ihrer Stirn. Erschrocken fuhr ihre Hand ins Haar, über ihr rechtes Ohr. Dort, wo sie sonst ihre blonden Locken ergriff, spürte sie eine kahlrasierte Stelle. Augenblicklich schnürte es ihr die Kehle zu. Sie musste schlucken, beinahe würgen. In Panik wuchtete sie ihre Beine über die Bettkante, versuchte aufzustehen. Wieso war es in diesem Raum so dunkel? Sie tastete sich vor, bis sie mit dem Knie gegen etwas Hartes stieß. Ein Stuhl, daneben ein Tisch. Ihre rechte Hand fuhr schnell über die Tischplatte, bis sie die Wand dahinter ertastete. Ihr Atem ging stoßweise, sie ließ die Hand über die Glasfasertapete gleiten, die so typisch für Krankenhauszimmer war, bis sie eine Wand erreichte. Kopflos tastete sie nach dem Lichtschalter, fand ihn und die sofort einsetzende Helligkeit schmerzte in ihren Augen. Sie blickte sich um: Ein Krankenzimmer, wie sie schon erwartet hatte, ein Einzelbett. Atemlos hastete sie weiter zu einer Tür zu ihrer Rechten, in der Hoffnung, dort das erwartete kleine Badezimmer zu finden. Sie riss die Tür auf, ihre Augen fanden den Lichtschalter neben der orangefarbenen Notfallschnur. Ohne lange nachzudenken schlug sie darauf und suchte sofort ihr Konterfei im Spiegel über dem schmalen Waschbecken. Was sie dort sah, raubte ihr gänzlich den Atem. Entsetzt fuhr ihre Hand an den Mund, um nicht loszuschreien. Trotzdem hörte sie ihren erstickten Schrei. Ihr Schädel schien komplett kahlrasiert, ihre Stirn und die Kopfhaut unter den Haarstoppeln waren fleckig braun verfärbt vom Desinfektionsmittel. Vom Stirnansatz bis fast in den Nacken trug sie einen großen Verband, an mehreren Stellen waren kleine Schnittwunden mit akkuraten Stichen vernäht. Das war es aber nicht, was ihr beinahe die Sinne schwinden ließ. Ihr linkes Auge war geschwollen