Der Reichtagbrandprozess. Walter Brendel

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Название Der Reichtagbrandprozess
Автор произведения Walter Brendel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966512060



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Für verschiedene Terrordelikte wie auch für Brandstiftung wurde rückwirkend die Todesstrafe eingeführt. Diese Verordnung war gleichbedeutend mit dem Ende des Rechtsstaates in der bisherigen Form. Die Verordnung blieb bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft und war die Grundlage für ein Regime des permanenten Ausnahmezustandes.

      Aus taktischen Gründen sah die Regierung noch von einem formellen Verbot der KPD ab. Aber Adolf Hitler machte noch am 28. Februar unmissverständlich deutlich, dass jetzt rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD dringend geboten sei. Das erklärte Ziel war die völlige Vernichtung der Kommunisten. Daneben konnte die Notverordnung auch auf Sozialdemokraten und letztlich auf alle Gegner des Regimes angewandt werden.

      Die Notverordnung schuf die Grundlage zur Verhaftung nicht nur zahlreicher weiterer Funktionäre der Arbeiterparteien, sondern auch zahlreicher kritischer meist linker Intellektueller. Unter diesen waren noch am 28. Februar Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch, Max Hodann oder Hans Litten. Einige Tage später gelang der Polizei auch die Verhaftung des kommunistischen Parteivorsitzenden Ernst Thälmann.

      Der laufende Reichstagswahlkampf konnte von der NSDAP nach dem Brand in offen terroristische Bahnen gelenkt werden. Bis Mitte Mai 1933 wurden allein Preußen über 100.000 politische Gegner, die Mehrzahl Kommunisten, verhaftet und in provisorischen Konzentrationslager und Folterkeller gebracht. Am Wahltag zählte man 69 Tote und hunderte Verletzte allerdings nicht nur auf Seiten der Opposition sondern auch bei SA und NSDAP.

      Die nationalsozialistische Führung hätte gerne auf einen ordentlichen Prozess verzichtet. Aber dies war nicht möglich, da der Übergang zur Diktatur noch nicht abgeschlossen war. Hinzu kam der Druck des Auslandes. Dabei spielte die Exil-KPD eine starke Rolle. Allerdings wurde einen Monat nach dem Reichstagsbrand von der Reichsregierung mit einer Lex van der Lubbe das Strafmaß erhöht, so dass für Brandstiftung auch die Todesstrafe verhängt werden konnte.

      Die polizeilichen Ermittlungen und gerichtlichen Voruntersuchungen richteten sich neben Marinus van der Lubbe auch gegen den angeblichen Anstifter den deutschen Kommunisten Ernst Torgler und drei bulgarische Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Als Staatsschutzsache war der Fall eine Sache für das Reichsgericht in Leipzig. Insgesamt wurden bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse aus 32 Aktenbänden wurden in einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. In dieser Zeit versuchte die Regierung das Verfahren zu beeinflussen, so wurde der die Untersuchung leitende Richter durch einen Mann des Regimes ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der Beschuldigten ablehnte. Der Versuch von Dimitroff einen ausländischen Verteidiger hinzuzuziehen scheiterte, den Angeklagten wurden stattdessen einige Offizialverteidiger zugewiesen.

      Am 21. September 1933 wurde der Prozess vor dem IV. Strafsenat des Reichsgerichts eröffnet. Der vorsitzende Richter war Wilhelm Bünger ehemals Mitglied der DVP und Landesminister in Sachsen und kein Anhänger des neuen Regimes. Das Verfahren war in weiten Teilen geprägt von politischen Auseinandersetzungen. Dimitroff hatte sich in der Haft intensiv mit dem deutschen Strafrecht und –prozessordnung vertraut gemacht und lieferte sich als guter Rhetoriker heftige Redeschlachten mit den Vertretern der Anklage, versuchte die Belastungszeugen in Widersprüche zu verwickeln und stellte eine Vielzahl von Beweisanträgen. Durch die zahlreichen in- und ausländischen Pressevertreter konnte er sich seiner medialen Wirkung sicher sein. Die Richter sowohl von der Presse wie auch der Regierung kritisch beobachtet, erwiesen sich gegenüber Dimitroff als hilflos. Ihre einzige Waffe war dessen mehrfacher Ausschluss vom Verfahren. Bemerkenswert ist, dass einige Zeugen die als Inhaftierte in Konzentrationslagern unter Druck gegen die Angeklagten ausgesagt hatten, vor Gericht ihre Aussage widerriefen. Ein Gutachter kam zwar im Verlauf des Prozesses zu dem Urteil, dass van der Lubbe unmöglich der alleinige Täter sein könne. Insbesondere die ausländische Öffentlichkeit blieb aber skeptisch. Die Wende sollte der Auftritt von Joseph Goebbels und Hermann Göring bringen. Göring griff die Kommunisten scharf an, ließ sich aber von Dimitroff aus der Fassung bringen. Geschickter verhielt sich Goebbels aber auch ihm gelang es nicht den Eindruck eines nationalsozialistischen Schauprozesses zu entkräften.

      Das Urteil, zudem keine Revision möglich war, erging am 23. Dezember 1933. Danach wurden die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff freigesprochen. Der Angeklagte Lubbe wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tod und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Der Freispruch der kommunistischen Angeklagten erfolgte dabei aus Mangel an Beweisen. Die These von der kommunistischen Verantwortung wurde allerdings aufrechterhalten. Das Urteil wurde im Ausland mit Erleichterung, von der nationalsozialistischen Presse mit Entrüstung aufgenommen. Marinus van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 durch die Guillotine hingerichtet.

      In London wurde 1933 eine „Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung des Reichstagsbrandes“ eingerichtet, als deren Vorsitzender Denis Nowell Pritt fungierte. Außerdem gab es im Ausland einen Gegenprozess.

      Wenn die Unabhängigkeit des Gerichts auch bereits deutlich eingeschränkt war, zeigte das Urteil, dass die Kontrolle des Regimes noch nicht vollständig gesichert war. Der Prozess wurde eine Haupttriebkraft zur Schaffung eines außerordentlichen Strafrechts. Dazu gehörte nicht zuletzt die Einrichtung des Volksgerichtshofes.

      Es gab insgesamt drei Theorien zu den Hintergründen des Brandes:

      1. Die Nationalsozialisten sprachen von einem „kommunistischen Aufstand“, zu dem der Brand des Reichstags das Fanal gewesen sein soll.

      2. Kommunisten, aber auch Demokraten vermuteten schon frühzeitig, dass die Nationalsozialisten selbst den Brand gelegt hätten, um einen Vorwand für die Verfolgungen zu haben.

      3. Schließlich gibt es die These von der Alleintäterschaft des am Tatort aufgefundenen Marinus van der Lubbe.

      Am Abend des 27. Februar 1933, vier Wochen nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland übernommen haben, steigt der holländische Maurer Marinus van der Lubbe in das Berliner Reichstagsgebäude ein und setzt zunächst die Restaurationsräume und dann den Plenarsaal in Brand. Nach seiner Verhaftung erklärt er, aus politischen Motiven gehandelt zu haben, bestreitet aber die Existenz von Mitwissern oder Helfershelfern. Obwohl auch Polizei und Feuerwehr keinerlei Beweise dafür erbringen können, dass außer Lubbe noch weitere Brandstifter im Reichstag gewesen sind, beschuldigen die Nationalsozialisten die KPD, den Reichstag angesteckt zu haben. Sie lassen den KPD-Fraktionschef Torgler und später die drei Bulgaren Dimitroff, Popoff und Taneff verhaften, um sie der Mittäterschaft am Reichstagsbrand anzuklagen. Die Kommunisten wiederum beschuldigen die NS-Führung der Brandstiftung, denn, so argumentieren sie, die Nazis brauchten einen Vorwand, um die KPD verbieten zu können. Die These der Kommunisten fand Eingang in die Geschichtsbücher.

      Während Göring und Goebbels sich darauf verließen, dass Polizei und Justiz genügend Beweise für die Schuld der KPD am Reichstagsbrand zusammentragen würden, holten die Kommunisten zum Gegenschlag aus und organisierten einen weltweiten Propagandafeldzug gegen die neuen Herren Deutschlands. Der Drahtzieher dieser Aktion war Willi Münzenberg, Chef der kommunistischen Zentrale für Agitation und Propaganda {"Agitprop") in Paris. Ohne dass sein Name jemals in Erscheinung trat; gab Willi Münzenberg in der französischen Hauptstadt eine Flut von Broschüren und Emigrantenzeitschriften heraus, die von ihm dirigiert und finanziert wurden.

      Kernstück seines publizistischen Kampfes gegen Hitler aber waren, die "Braunbücher" I und II, zwei dickleibige, geschickt aufgemachte Bände von 382 und 462 Seiten, die in Auflagen von mehreren hunderttausend Exemplaren in allen Weltsprachen verbreitet wurden. In Deutschland kursierten sie getarnt als Liederbücher oder Reclam-Bände.

      Der Titel des ersten Braunbuches lautete: "Braunbuch über den Reichstagsbrand und Hitler-Terror, Vorwort von Lord Marley"; der des zweiten: "Braunbuch II - Dimitroff contra Göring, Enthüllungen über die wahren Brandstifter". Für diese Braunbücher und ähnliche Publikationen hatte Münzenberg in Paris eigens einen Verlag gegründet, die "Editions du Carrefour".

      Die beiden Braunbücher können heute noch als Standardbeispiele moderner Propagandakunst gelten. Nahezu alles, was an Argumenten