Der Kopf. Heinrich Mann

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Название Der Kopf
Автор произведения Heinrich Mann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966511964



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saß und kaute an der Lippe. Er hielt die feinen Schultern gebeugt, die breite gelbe Stirn stand vorgeschoben, und er sah gramvoll aus. Terra auf seinem Sopha bebte im ganzen Gesicht vor Angriffslust. Seine schwarzen Augen brannten unter den Haaren, die tief in die Stirn wuchsen und von den Schläfen sich weit zurückzogen.

      Mangolf aber entschloß sich, zu lächeln, melancholisch und witzig. »Du glaubst, ich spiele ihnen ihre fromme Komödie? Ich führe sie an der Nase.« – Womit freilich nichts gesagt war. Nur der Abrechnung war ausgewichen. Statt dessen kam ein Vorstoß von Mangolf. »Weißt Du auch schon, daß Dein Vater seinen Buchhalter Schlüter festnehmen lassen wollte?«

      »Den Buchhalter im Hafenspeicher?«

      »Wegen sozialdemokratischer Propaganda. Der Mann hat sich gerade noch freigeschwindelt; er sollte machen, daß er fortkommt.«

      Mangolf blickte erwartungsvoll; aber Terra verriet nichts, als naives Erstaunen. Wie die Dinge im Munde der Welt ihre Gestalt änderten! Wie sie seinen Vater ansah! Sein Vater, der bedenkenreichste Mensch der Welt!

      »Quatte aber hat es für angezeigt gehalten, Wechsel zu fälschen«, sagte Mangolf hohnvoll. »Die bürgerliche Ehrsamkeit eines ganzen, alteingesessenen Familienklüngels dieser ehrwürdigen Stadt wird wieder einmal mit Erfolg in Frage gestellt durch Christian Leberecht Quatte.«

      Und Terra, schneidend: »Sie gehen zur Kirche, sie taufen sogar ihre Schiffe. Sie versacken in einem Geisteszustand, der links vom Nationalliberalismus nur mehr eine Art Unzucht sieht ...« Er sprach noch lange mit jener Empörung, die ihn in der Tiefe nur heiterer stimmte, – bis Mangolf einwendete, man sei hier reich, gesellschaftlich geschult, und mancher von hier ausgegangen, der weit gekommen sei. Diese Entschuldigung ließ der Patrizier Terra nicht gelten, er haßte die Stadt schlechthin – nicht mit dem Drang nach oben, der den Sohn des Agenten Mangolf quälte. Der Sohn des hochverehrten Mitbürgers Terra sagte: »Hier kannst Du nicht einmal mit viel Geld etwas werden.«

      »O doch.« Mangolf straffte sich. »Denke Dir, ich wäre in der Lage, als Führer einer großen Partei das Kontor des Getreidehauses Terra zu betreten und seinem Chef besonders inhaltreiche Auskünfte zu geben über das künftige Schicksal der alten Bismarckschen Schutzzölle.«

      »Was weiter?«

      »Heute helfen sich die bedrohten Firmen, wie sie können.« Blick auf Terra, der verständnislos blieb. »Oft mit interessanten Mitteln. Das Schiff des Konsuls Ermelin, das neulich unterging, war erst seit kurzem hoch versichert.«

      »Wenn ein Verbrechen dahinter stäke, könnte doch Ermelin nicht der Freund meines Vaters sein.«

      Hier nahm Mangolf die zusammengepreßten Lippen von einander, als gäbe er es auf.

      »Nun«, machte er harmlos. »Auch der Kaiser ist mit manchem befreundet. Man nennt nicht alles gleich Verbrechen.«

      Terra setzte sich zurecht, es ging los. »Darüber bin ich anderer Meinung. Jene Freundschaften prägen einen Mann. Heute, 1891, sehe ich kein zweites Land, wo es noch möglich wäre, das gesamte öffentliche Leben auf eine Privatangelegenheit zu stellen, nämlich auf den persönlichen Ringkampf Wilhelms des Zweiten mit der Sozialdemokratie.«

      Mangolf, voll höhnischer Anerkennung: »Er findet, die Sozialdemokratie widerspreche den göttlichen Lehren, soll heißen, seinen eigenen Interessen.«

      »Das Wort: ›Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich‹ – ist geradezu ein Jahrtausendwort, was falsches Denken betrifft.«

      »Alles wörtlich auffassen – wie ein schlechter Schauspieler, der alle Sätze gleich stark bringt: mein Großvater heilig, der himmlische Appell«, sagte Mangolf und sprach selbst wie ein Schauspieler. Terra fiel ein.

      »Das Gottesgnadentum!«

      »Das ein romantischer Schwindel ist und nirgends eine kirchliche Stütze hat.«

      »Humanität aber hat er noch niemals anders ausgesprochen als in Verbindung mit falsch.«

      »Einzig die Sucht, die ganze Welt persönlich zu nehmen, kann einen Menschen dahin bringen, daß er anderen zumutet, sie sollen ihre Eltern niederschießen.«

      »Er glaubt auf dem Heer zu stehen. Im Grunde aber steht er auf Paradoxen. Wie lange können sie halten?« fragte Terra.

      Hier wiegte der junge Mangolf den Kopf. »Sehr lange«, sagte er nüchtern.

      Der junge Terra sagte feurig: »Es ist unmöglich, daß heute, 1891, die Vernunft lange ungerächt bleibt. Wer glaubt ihm eigentlich? Sie tun so, aus Furcht, aus Klugheit, aus Snobismus.«

      »Wer die Macht hat, dem glaubt man«, sagte Mangolf mit Überzeugung.

      »Dann darf es keine Macht geben!«

      »Sie ist aber da. Und jeder will sie mitgenießen.«

      Der einmütige Marsch der Geister brach ab, die Zwanzigjährigen maßen einander, herrisch der eine, der andere trotzig.

      »Du sinnst Verrat«, behauptete Terra. »Auch Du wirst Deine religiöse Komödie spielen – genau wie Dein Kaiser.«

      »Und wenn? Du schwörst auf die Vernunft. Aber das Unvernünftige sitzt in uns allen viel tiefer, und in der Welt bewirkt es viel mehr,« schloß Mangolf, erhitzt und krampfig. Terra, stark und kalt: »Ausreden für Heuchler!«

      »Flachkopf! Man kann Wechsel fälschen und doch aufrichtig beten. Ich berufe mich auf den Kaiser, Herrn Quatte und mich selbst.«

      »Sauber muß es aussehen in so einem.«

      »Ich verachte Deine Sauberkeit«, sagte Mangolf. »Das Wissen erwirbt sich erst in Abgründen, die nicht sauber sind. Was weißt Du vom Leiden.« Erhitzt und krampfig.

      Terra sah ihn dasitzen mit den verdächtigen Augen der schamvoll eitlen Geständnisse. Er lehnte ab, zu hören; stand auf und drehte sich aus Platzmangel um sich selbst. »Dein Leiden! Sprechen wir es einmal klar aus! Daß das Leben nicht das Händewaschen wert ist?«

      »Wer es durchschaut hat, muß es verachten«, sagte der zwanzigjährige Mangolf.

      »Und kennt die verführerische Anziehung des Nichts. Ich aber kenne sie nicht,« sagte der andere. »Verachte mich ruhig! Dein Leiden liegt auf der Hand. Es rührt daher, daß Du wider Dein besseres Wissen ein großer Streber bist.«

      »Werben um die Welt, wie um eine schlichte Hure – tiefe Wollust der Selbstverachtung.«

      »Auch noch Dich selbst? Du verachtest zu viel, es wird Dir schaden. Ich hasse lieber.« Terra stand stämmig da. »Ich hasse die Erfolge, zu denen Du Dein Gewissen erst überreden mußt. Die Lüge schwächt. Du wirst die Aufsicht verlieren über Deine vergewaltigte Vernunft, wirst Dich verrennen und schlecht enden.«

      »Mit Deiner unbefleckten Vernunft greife nur sogleich zum Revolver, früher oder später ist er Dir sicher.«

      Auch Mangolf stand. Sie sahen einander glühend an, prophetisch jeder erfüllt von der ganzen Wahrheit seines Lebens, und tödlich gespannt, zu kämpfen für seine Wahrheit.

      Dann trat einer zurück, so weit er konnte, und der andere strich sich über die Stirn. Sie sahen einander nicht mehr an, jeder wußte: »Ich habe ihm den Tod gewünscht.« Terra befreite sich zuerst, er lachte schwer auf. »Wären wir jetzt einfachere Naturen gewesen, wer weiß, wie dies geendet hätte.«

      Mangolf sagte mit einem tiefen Lächeln: »Dann wäre es nicht um den Geist, sondern um das Geld gegangen.«

      »Wie bei unseren beiden Urgroßvätern.«

      »Du weißt also davon«, sagte Mangolf verhalten. Er setzte sich an das Klavier. Terra stand erschüttert noch da.

      Als er auf seinen Sitz zurückgekehrt war, kam ihm unvermittelt die Frau in den Sinn – die Frau von drüben, mit der es noch heute Nacht in das Leben ging. Das Herz schlug ihm stark, er vernahm etwas wie die Lebensbrunst selbst und merkte, jener spiele Tristan.