Название | Die Köln-Affäre |
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Автор произведения | Rolf D. Sabel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961361410 |
„Dann lassen Sie mal sehen, lieber Monsignore.“
Diefenstein holte die Aktentasche hervor und kramte eine Sammlung von Schriftstücken hervor, die nachlässig zusammengebunden waren. Ein kurzer Blick genügte mir, um zu zeigen, dass auch wieder der Lektor genügend Arbeit haben würde.
„Ich werde es mir ansehen und dann gerne weitergeben, wenn es so gut ist wie der erste Band. Aber jetzt sollten wir erst einmal etwas essen, oder?“
Diefenstein nickte nur und griff nach der Speisekarte.
Aus den Aufzeichnungen von Monsignore
Dr. Peter Diefenstein,
Pfarrer der Basilica St. Pantaleon – Band II
1. Kapitel
Köln/Domplatte
Dickes, bitteres Bier, schmutzige Gasthäuser, schmutzige, dicke Frauen und viel Speck. (aus dem Kölnbericht eines unbekannten englischen Reisenden, 17. Jahrhundert)
Aber das war vor mehr als zweihundert Jahren! Heute … Ein Schuss! Panisch flattern Tauben davon und suchen ihr Heil auf den nahen Dächern. Menschen schreien auf, blicken sich irritiert um. Der Mann, dem der Schuss gegolten hat, fällt wie vom Blitz getroffen um, sein Schädel explodiert. Blut und Gehirnfetzen verleihen dem Pflaster auf der Domplatte ein neues, bizarres Muster.
Aber wie konnte es dazu kommen?
Ein nahezu tropischer Sommer hatte die Domstadt an diesem frühen Augustabend fest im Griff. Karibik am Dom! Klimaerwärmung am Rhein! Globale Krise. Kennt jeder – fast jeder, wenn man von gewissen amerikanischen Amtsträgern absieht!
Schwüle, heiße Luft hatte sich wie ein Panzer über die Stadt gelegt, erschwerte die meisten sommerlichen Aktivitäten und machte das Atmen schwer. Die meisten Menschen trotteten in übler Laune dahin und warteten auf die Kühle des Abends, wenn sie dann käme.
Allerdings kündeten dunkle Wolken im Westen von einem aufziehenden Gewitter, das tatsächlich etwas Abkühlung bringen mochte und mancher Blick richtete sich zum Himmel, hoffnungsvoll oder furchtsam, je nach Stimmungslage. Wer konnte, verzog sich in die überfüllten Schwimmbäder, suchte die Kühle des umliegenden Grüngürtels auf oder lag zu Hause, die Füße in einen Eimer mit kaltem Wasser getaucht, in der Hand ein kühles Getränk, sorgsam darauf bedacht, im Einflussbereich des Ventilators zu bleiben.
Aber das waren naturgemäß nur wenige. Die, die das nicht konnten, und das waren die meisten, schleppten sich träge dahin, gingen in den Büros und Werkstätten lustlos ihrer Tätigkeit nach und sehnten sich nach dem Feierabend. Nur die meisten Schüler, die jauchzend in den Bädern rumtobten, teilten diese Sehnsucht nicht – sie hatten hitzefrei.
Die Gegend um den Kölner Dom dagegen war wie immer mit Touristen aus aller Welt überfüllt. Die Kölner überließen das Zentrum der Stadt zu dieser Zeit gerne kampflos den ausländischen Besuchern, die keine Wahl hatten. Sie waren an ihrem heutigen Ziel angekommen, und Wetter hin und Hitze her, jetzt galt es, das touristische Pflichtprogramm abzuwickeln, denn morgen war man schon auf der Kö in Düsseldorf, oder am Brandenburger Tor oder in einem der Märchenschlösser in Bayern oder …
Und so standen sie schnatternd vor der imposanten Kathedrale, machten mit langen Sticks ihre Selfies, tranken in den anliegenden Brauhäusern ungewohntes Bier aus seltsamen Gläsern und beobachteten mit verzückten Blicken die Ober in ihren blauen Schürzen, die für ihren rheinischen Charme gleichermaßen bekannt waren wie für ihre barsche Art.
Dä Köbes!
Und die, die nicht nur drei Stunden durch die Stadt hetzten, sondern sie mit aufmerksamem Blick durchstreiften, nahmen eine Menge Dinge wahr. Sie nahmen mit Erstaunen wahr, dass schwule Pärchen hier völlig unbehelligt durch die Menge flanierten, dass neben wunderschönen Altbauten Neubauten von erschreckender Hässlichkeit standen, dass die Straßen vielfach recht schmutzig waren, dass Kölsch offenbar nicht nur ein Getränk, sondern auch eine Sprache war, dass die wenigen Einheimischen, mit denen sie manchmal in Kontakt kamen, eben komisch, aber mit liebenswürdigem Akzent sprachen und von überbordender, leider aber auch meist oberflächlicher Freundlichkeit waren, dass es so viele Einheimische aber auch gar nicht mehr gab, weil ein hoher Anteil der Menschen hier einen Migrationshintergrund zu haben schien. Dass es viele wunderschöne Kirchen gab, aber die meisten leer waren, dass die Kölner auch auf Beerdigungen schon mal Karnevalslieder sangen und Trauer deshalb hier auch schon mal schnell in Frohsinn überging.
Dass das Verkleiden und Absingen seltsamer Lieder zu einer bestimmten winterlichen Jahreszeit, neuerdings sogar im Sommer üblich war und die Straßen zu dieser Zeit voller feiernder Menschen waren, von denen allerdings viele total betrunken waren und sich auch nicht scheuten, an Kirchen und Denkmäler zu urinieren.
Und dass es zu dieser Zeit nur hier eine Jungfrau gab, die eindeutig männliche Geschlechtsmerkmale hatte, dass es auch einen bekannten Fußballverein gab, der aber schon deutlich bessere Zeiten gesehen hatte und dass das alles in einer Stadt möglich war, wofür eigentlich mehrere Städte nötig gewesen wären.
Das alles nahmen Touristen in Köln wahr, wenn sie nur lange genug da blieben.
Aber es waren ja nicht alle Touristen auf der Domplatte.
Der Mann, der mit eiligem Schritt über die Domplatte ging, jene Domplatte, die Silvester vor zwei Jahren Schauplatz unsäglicher Ausschreitungen gewesen war und im Bewusstsein der aufnahmewilligen Bevölkerung so vieles verändert hatte, gehörte zweifellos nicht zur Gattung der Touristen.
Er hatte keinen Stadtplan unter dem Arm, keine Wasserflasche in der Hand und keinen Rucksack auf dem Rücken. Er machte keine Selfies und fragte niemanden nach irgendwelchen Wegen. Ihn interessierten nicht die Pflastermaler und nicht die Bettler, die mit gekrümmten Händen und Mitleid heischendem Gesicht um den Dom herum saßen.
Er war etwa Mitte Dreißig, von durchschnittlicher Größe, mit vollem schwarzem Haar, einem markanten Gesicht und kräftiger Figur. Sein beigefarbiger Anzug passte genau und verhüllte diskret die Pistole P226 X-Six Classic, die er in einem Schulterhalfter trug. Er war nur wenige Schritte vom Domhotel entfernt, dem ältesten und prächtigsten Grandhotel Kölns aus dem Jahr 1893, das nach den Zerstörungen im Krieg vereinfacht wieder aufgebaut worden war, aber wegen erheblicher Baumängel, die bei einem Sanierungsversuch vor einigen Jahren aufgetaucht waren, nun schon seit Jahren geschlossen war. Hier in Köln dauert so etwas eben länger als geplant und übersteigt die veranschlagten Kosten gerne um das Dreifache. Aber das stört den Kölner an sich nicht, er lebt nach der Devise:
Et hätt noch immer jot jejange!
Aber dann passierte es.
Ein Schuss, laut hörbar, offenbar aus geringer Entfernung abgegeben. Er traf den Mann in den Hinterkopf, ließ seinen Schädel förmlich explodieren und verteilte Blut und Gehirnmasse in bizarren Mustern auf dem Pflaster. Ohne einen Laut sank der Mann zusammen, während die Menschen in seiner Nähe in Panik schreiend auseinander stoben und die beiden japanischen Touristinnen, die gerade das Hotel fotografieren wollten, in namenlosem Entsetzen die Hände vor den Mund schlugen.
Nur wenige Minuten später eilten die Beamten von der nahen Wache der Bundespolizei am Bahnhof herbei. Wenige Minuten später rasten drei Streifenwagen der Kölner Polizei auf die Domplatte, ihr zuckendes Blaulicht spiegelte sich in den zahllosen Fenstern des verlassenen Hotels, schien ihnen für kurze Zeit ein geisterhaftes Leben zu verleihen.
Die neuen Beamten lösten die Kollegen der Bundespolizei ab, die nur für den Bahnhofsbereich, nicht aber für die davor liegende Domplatte zuständig waren und kurze Zeit später hatte sich