Название | Staubfänger |
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Автор произведения | Lucie Faulerová |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783946120605 |
Seine Stimme klang, als würde man mit einem Teelöffel gegen eine Karamellkruste klopfen, und ich wollte, dass er mir für einen Moment direkt ins Ohr knuspert.
Ich fragte ihn: »Was, wohin?«
»Zur Esplanade.« Krach.
»Entschuldigen Sie bitte, können Sie das wiederholen? Die Verbindung ist irgendwie schlecht.«
»Sicherlich«, krach. »Zur Esplanade.«
»Können Sie mir das buchstabieren?«
»E, S, …«
»E wie Emil?«
»Ja, E wie Emil, S wie Samuel.«
Dann sagte er P wie Paula. L wie Ludwig. Krach krach.
Er sagte: »Wissen Sie, ich bin nicht aus Prag.« Und dann: »Das wäre lieb von Ihnen, ich bin schon ganz verzweifelt.«
»Wissen Sie, warum ich Ihnen das vorspiele?«, fragt mich meine Chefin.
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihm den Weg später richtig erklärt.«
»Haben Sie ihn wirklich nicht gehört? Ich verstand ihn sofort.«
»Entschuldigung, ich nicht. Sonst hätte ich ihn doch nicht gebeten, mir den Ort zu buchstabieren.«
Meine Chefin schaut etwas verwirrt, vielleicht hätte sie auch das Gesicht verzogen, wenn sie es könnte.
»Das Vorgehen war korrekt, oder?«
»Das Vorgehen war korrekt, doch dauerte das Gespräch zwei Minuten länger als nötig gewesen wäre.«
»Aber ich habe ihn nicht verstanden.«
Ein geschlossener Kopf. Sie macht eine abwinkende Geste. »Ich werde das nicht bewerten. Es war nicht schlecht, aber nächstes Mal hören Sie besser zu. Hm?« Zum Schluss fügt sie ein bisschen zwitscherndes Gezwitscher hinzu. Ich nicke.
»Gut, das ist alles.«
»Ich würde es gern noch einmal hören, wenn ich kann.«
Meine Chefin zieht überrascht die Augenbrauen zwei Stufen höher, dann lächelt sie mich an. »Damit müssen Sie sich nicht quälen, es geht doch um nichts.«
Ich werde mich nicht quälen.
»Ich weiß, aber trotzdem würde ich es gern noch einmal hören, wenn es nichts ausmacht.«
»Gut. Aber Sie wissen, es ist Freitag? Sie sollten nach Hause gehen.«
»Keine Angst«, ich nicke.
»Fahren Sie nicht wieder mit Ihrem Freund in den Böhmerwald?«, fragt sie mich, als sie aufsteht und sich die Handtasche, eine falsche Louis Vuitton, über ihren fleischigen Arm schiebt.
»Doch, doch, ich gehe gleich.«
»Gut. Sie haben nichts zu befürchten. Sie wissen ja«, dabei streckt sie das Kinn zur Pinnwand mit meinem Foto und zwinkert mir verschwörerisch zu. Ja, das weiß ich. Sie winkt mir zu und geht und ich werfe die zweite Granate über meine Schulter. Ich setze die Kopfhörer wieder auf. Er sagte: »Ich bin verzweifelt« und ich, nur ich konnte ihn aus dieser Verzweiflung befreien. Er sagte: »Das wäre lieb von Ihnen«, und ich lächelte über seine Verwirrtheit. Ich sollte los, ich fahre doch in den Böhmerwald. Verzweifelt, verzweifelt, verzweifelt.
Ja, das hätte ich fast vergessen. Ich klopfe mir gegen die Stirn, während ich die Kopfhörer abnehme. Ich lüge manchmal.
ZWEI
Es ist zwei Uhr früh, mein Arsch ist aus Holz, genauso wie der Parkettboden hier, auf dem ich schon seit einer Weile sitze. Sonst schlummere ich um diese Zeit meist voller Zufriedenheit in die Decke eingewickelt, und warte geduldig auf einen Albtraum. Aber heute kommt die Müdigkeit nicht. Die unendlich ruhige One-Woman-Show wird langsam langweilig und grenzt an Peinlichkeit, das unendlich ruhige Leben, ich, unendlich langweilig, über mich gibt es nichts zu erzählen, im Ernst, der Erzähler wartet mit verschränkten Händen oder schenkt mir Portwein nach, um meinen Abgang in den Limbus zu beschleunigen. Er langweilt sich. Mein Erzähler langweilt sich und ich habe Angst, dass er mich vielleicht verlässt, dass er vielleicht eine andere Anna findet, eine, die ihm nicht so viel Arbeit macht. Der Parkettboden knarrt, die Knochen knacken. Ba-dam tsss. Ein nervöses Husten und ein Knarzen der Sessel unter den Allerwertesten meiner zappelnden Zuschauer. Die Uhren wispern Sekunde für Sekunde, stoßen sich gegenseitig mit dem Ellbogen an und zeigen auf mich, sie synchronisieren einen Stummfilm für mich, im Fernsehen sind Köpfe, die sich öffnen. Versucht mal, ohne Ton fernzusehen. Ich möchte wetten, dass die Figuren auf dem Bildschirm dann etwas anderes sagen werden, ähnlich ist das auch umgekehrt, wenn ihr nur die Stimmen hört, ohne Bild, dann passieren in diesem Film auf einmal ganz andere Sachen. Die Leute, die mich anrufen, machen ganz verschiedene Sachen. Einige haben das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt und kochen dabei, und ich koche mit ihnen. Die Hühnerbrühe wird kräftiger, wenn man das Fleisch samt Knochen zuerst in den Backofen gibt oder in einer Pfanne anbrät. Aber ich habe keine Lust, mit ihnen eine Suppe zuzubereiten. Sie zwingen mich jedoch dazu. Sie brauchen mich. Ich bin ihre einzige Hoffnung auf eine ordentliche hausgemachte Brühe. Manche rufen mich auch über eine Freisprechanlage an und ich mache einen Ausflug mit ihnen. Von Velká Bíteš nach Znojmo kommen sie entweder über Brno oder über Hrotovice. Über Hrotovice ist es kürzer, über Brno ist es schneller. Solche normalen Sachen mache ich. Ich koche und backe und reise und schicke einen Eilboten, der einen Strauß Pfingstrosen bringt, und ich gehe zum Arzt und ins Kino und zum Friseur. Vielleicht war ich sogar schon mal ein Wochenende im Riesengebirge mit jemandem, mit dem ich davor schon mal Sushi gegessen hatte in diesem neuen Restaurant am Hauptplatz von Jičín. Wer weiß. Es gibt dutzende, hunderte, tausende Stimmen, die meisten fließen zusammen in zwei, drei universelle Töne. In einen verzerrten Ton, den mir elektronische Signale ins Ohr schicken. De facto schicken sie mir ihre tēle phōnē, also aus dem Griechischen: tēle bedeutet so viel wie fern, phōnē so viel wie Stimme. Und manchmal kriegt ihr so eine tēle phōnē nicht mehr aus dem Kopf.
Ich blicke auf den stummen Fernseher. Ein schwarzbebrillter Gauner spricht mit einem anderen Gauner, der seinen Kopf eingezogen hat. Ich synchronisiere sie, das Glas auf dem Bauch, den Kopf gegen die Wand gelehnt, bis dem ohne Hals eine Kugel durch den Kopf fliegt. Und mir fliegt eine Erinnerung durch den Kopf, die ich sofort (huschsch, das Klowasser strudelt) hinunterspüle. Doch als ich am Ventil ziehe und von der Kloschüssel runterspringe, ist alles immer noch da. Und ich bin fünf, sechs Jahre alt. Und genauso wie im Fernsehen läuft der Abspann, ich sehe einen Samstagvormittag oder Sonntagvormittag, als sich mein Vater vor den Fernseher gesetzt hat, um sich die Zeit bis zum Mittagessen zu vertreiben. Das weiß ich, denn meine Mutter war in der Küche und schälte Kartoffeln, auf dem Herd blubberte eine Suppe, aus dem Backrohr strömte der Geruch von Fleisch, oder auch nicht, oder es stank auch nach Erbsensuppe, je nachdem, ob der Monatslohn gerade überwiesen wurde oder nicht. Dana panschte entweder bei meiner Mutter herum und störte sie beim Kochen, oder sie spielte mit ihren Puppen. Sie hatte schon von klein an drei Puppen, mit denen sie ständig spielte, die sie fütterte und erzog, die sie ärgerte und kämmte, denen sie auf ihren Plastikhintern klopfte und die sie tröstete,