Название | Das E-Commerce Buch |
---|---|
Автор произведения | Alexander Graf |
Жанр | Зарубежная деловая литература |
Серия | |
Издательство | Зарубежная деловая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783866415089 |
Hier macht es Amazon vor: Im Vergleich zu klassischen Longtail-Händlern wie Itunes oder Rhapsody, die nur Digitales verkaufen, will Amazon bekanntermaßen jedem im Netz wirklich alles anbieten – und braucht dafür in der physischen Welt eben viel Lagerraum. Dieser wird abseits der Großstädte in wirtschaftlich schwächeren Gebieten angesiedelt, wo die Mieten günstig sind, wo sich Bürgermeister über den Neuankömmling freuen und Genehmigungsverfahren wohlwollend begleiten und wo sich Arbeitskräfte finden, die bereit sind, am unteren Ende der Gehaltsskala zu arbeiten.
Allerdings lassen sich auch durch abseitige Standorte und schwache Arbeitsmärkte nur bis zu einer gewissen Grenze Kosten einsparen; vor allem in Deutschland, wo Amazon durch auf breiten gesellschaftlichen Konsens treffende Streiks lernen musste, dass das Wort „sozial“ nicht gänzlich aus dem Begriff „Marktwirtschaft“ verschwunden ist. Amazon kann es sich aber schon leisten, seiner Belegschaft höhere Löhne zu bezahlen und sie weniger zu drangsalieren und gleichzeitig sein Sortiment immer breiter und immer tiefer aufzustellen.
Denn neben den Produkten, mit denen Amazon selbst handelt, werden auch Waren dritter Händler über den Amazon-Marktplatz vermittelt. So zementiert Amazon seine Stellung als Laden, der ohne Ausnahme jedem alles anbietet: Auch Produkte, die man selbst nicht vorfinanziert und auf Lager hat, können im Online-Shop gesucht, gefunden und gekauft werden. Dafür kassiert Amazon eine Provision von bis zu 20 Prozent – und lagert die Probleme der Kapitalbindung und des Lagerns an die Händler aus.
Andere Online-Händler haben ebenfalls diesen Kniff zur kostenfreien Sortimentserweiterung entdeckt. Beim Otto-Versand zum Beispiel liegt nicht jedes Produkt, das auf otto.de zu finden und zu kaufen ist, beim Verkäufer Otto auf Lager. Über das sogenannte Dropshipping wird die abgegebene Bestellung direkt an den Hersteller oder Distributor des gekauften Artikels weitergeleitet. Dieser beliefert den Kunden dann direkt: Otto nimmt seine Marge und spart Lagerkosten. Je nach Vertrag mit dem individuellen Produkthersteller oder Distributor entstehen für den Versand auch keine Kapitalbindungskosten: Hier können nur Anbieter von bewährten Verkaufsschlagern den Online-Händler zur Vorfinanzierung zwingen. Doch die gesteigerte Auswahl auf Marktplätzen wie Amazon und Otto stellt auch hohe Anforderungen an die Filtermöglichkeiten. So ist es mit zunehmender Sortimentstiefe umso wichtiger, Kunden einen effizienten Weg zu den für sie relevanten Produkten zu bieten. Hier stoßen die „althergebrachten“ Filter inzwischen an ihre Grenzen: Das Verhältnis zwischen relevanten und nicht relevanten Ergebnissen gerät in Schieflage.
2.1.2Kundenorientierung
Von „Push“ zu „Pull“: Am richtigen Strang ziehen
Nicht jeder hat die Marktmacht eines Amazon oder eines Otto-Versands und die damit einhergehenden traumhaften Möglichkeiten, sein Sortiment ständig zu erweitern – teilweise auf Kosten anderer. Für den klassischen Beschaffer hört sich dies alles sogar eher nach einem Albtraum an: Er muss alles jedem anbieten. Und durch die Präsenz von Giganten wie Amazon, denen dies gelingt, haben sich die Kundenerwartungen gewaltig verschoben und eine Eigendynamik angenommen, in der die gesteigerte Verfügbarkeit zu einer Steigerung der Erwartungen führt.
Der Einkäufer kann nicht mehr die Ware, die er beschafft hat, in den Markt schieben (Push), sondern muss in der Beschaffung auf die Nachfrage im Markt reagieren (Pull).
Nicht der Einkäufer schiebt die Ware je nach Prognose in die Geschäfte, sondern der Kauf eines Produkts durch einen Kunden schickt einen Impuls die Lieferkette hinauf. Die Prognose der Hersteller steht nicht am Anfang, sondern am Ende des Kaufprozesses.
Das Konzept des „Pull“ statt „Push“ ist in der industriellen Fertigung bekannt, wo es ebenfalls darum geht, in einer Fabrikhalle den beanspruchten Lagerraum auf ein Minimum zu reduzieren. In der Autoindustrie zog Toyota mithilfe des „Kanban“ genannten Pull-Systems in Sachen schlanke Produktion an seinen Konkurrenten vorbei. Perfektioniert hat diese Methode im stationären Einzelhandel als erstes die Kleidungskette Zara.
Fallbeispiel: Fast Fashion – von Zara zu Zalando
Zara hat um die Jahrtausendwende Supply-Chain-Management und kundenorientierte Beschaffung auf eine völlig neue Art zusammengeführt: Nicht nur wird jeder einzelne Kauf geloggt und direkt an die Zentrale übermittelt, sondern die gesamte Produktpalette wird nach Verkäufen ausgerichtet. Zara produziert schließlich selbst und kann in kürzester Zeit auf Verkaufshöhen bei gewissen Kleidungsstücken mit Mehrproduktion reagieren – und mit einer erhöhten Produktion bei ähnlichen oder passenden Stücken. Welche Vorteile dieses Vorgehen genau mitbringt, wird im Folgenden erläutert.
Zara-Geschäfte weltweit geben mehrfach in der Woche eine Bestellung in der Zentrale in Spanien ab und bekommen pünktlich neue Ware geliefert. Gekoppelt mit einem hohen Anteil an eigener Produktion eröffnet diese effiziente, rapide, zentral gesteuerte Lieferkette ganz neue Möglichkeiten: Zara kann beispielsweise Kleidungsstücke in geringer Stückzahl produzieren und zum Test ausliefern. Verkauft sich die neue Ware gut, wird die Produktion hochgestuft und die nächste Lieferung liegt bereits sechs Wochen später in den Regalen. Erst wenn sich ein Kleidungsstück zu einem Dauerbrenner entwickelt hat, wird es aus der lokalen Produktion neben der Konzernzentrale in Galizien nach Marokko oder in die Türkei ausgelagert, allein Basics wie T-Shirts oder Unterwäsche werden weiter weg in Asien produziert. Denn aus Konzernsicht kann über diese Entfernung auf den kapriziösen, modebewussten westlichen Konsumenten nicht reagiert werden. Und Zara hat entdeckt, dass diese Konsumenten durchaus Bereitschaft zeigen, für gerade in Mode gekommene Stücke eine höhere Summe zu zahlen, die die höheren Kosten der agilen, flexiblen Beschaffung abdeckt. So stören die Schwankungen der Mode und des Geschmacks das System von Zara keineswegs: Ohne solche Schwankungen hätte der Konzern einen teuren Beschaffungsapparat ohne jeglichen Marktvorteil.
Zugespitzt formuliert drängt sich die philosophische Frage auf, ob Zara damit auf Modetrends reagiert – oder diese selbst mit seiner Agilität mitentwickelt. Fest steht aber, dass dieses System so erfolgreich ist, dass H & M, Topshop, Forever 21 und einige andere Kleidungsketten mitgezogen sind: Obwohl sie nicht wie Zara selbst produzieren, wird die Produktion der Kleidung in immer engerer Abstimmung mit tatsächlichen Verkäufen gestaltet.
Zara feierte vor dem E-Commerce Erfolge im herkömmlichen Einzelhandel, tat dies aber mit Methoden, die auch für den Online-Handel richtungweisend sind:
Echtzeitauswertung, schnelle Logistiklösungen, zentral gesteuerte Agilität. Das sind alles technologiegestützte Werkzeuge, die in der DNA des Internets festgeschrieben sind.
Wo Zara zum Beispiel zunächst kleine Mengen an neuen Designs herstellt, um deren Verkauf auszuwerten, perfektionieren Google und Facebook ihre leistungsfähigen Algorithmen dadurch, dass neue Varianten erst als Beta-Version in kleinen Testgruppen eingesetzt werden. Was sich im kleinen Rahmen in der Praxis nicht bewährt, wird nicht großflächig umgesetzt: Es ist ein System fast ohne Risiko.
Und es ist ein System, das sich erst online mit voller Kraft entfaltet. Zara gelang im stationären Handel mit diesem Efficient-Consumer-Response-Ansatz so etwas wie eine Revolution. Zalando zeigt die weitere Evolution dieses Modells – und zwar in dem für das Internet charakteristischen Zeitraffer und mit dem für E-Commerce üblichen Hochdruck.
Denn: Damit dieses System aufgeht, muss ein Online-Händler wie Zalando sogar schneller zur Stelle sein als ein Hersteller wie Zara, der gefragte Ware teilweise Wochen vor seinen Konkurrenten anbietet. Bestellt ein Online-Händler zu knapp,