Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović

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Название Ein schönerer Schluss
Автор произведения Bekim Sejranović
Жанр Языкознание
Серия Transfer Bibliothek
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990371299



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ich fühle meine Kräfte nachlassen, vielleicht habe ich auch verdient, womit sie mir drohen, vielleicht würde ich sogar anhalten; aber dennoch würde ich gern wissen: weshalb? Das alles ist nur deshalb so schrecklich, weil ich nicht dahinterkomme, weshalb ich ein böser Geist bin und sie die guten, weshalb ich der Fliehende bin und sie die Verfolger, weshalb ich Angst habe und sie stark und hochmütig sind. Wir fliegen weiter, ich erkenne die Räume und das Gebäude nicht mehr, wir kommen ganz nach oben, ich fliege aufs Dach hinauf, dort ist ein großer Schornstein, und ich habe das Gefühl, dass ich mich hier vielleicht für einen Moment verstecken und ausruhen könnte. Ich husche unhörbar in ihn hinein, fliege durch dichtes rußiges Dunkel. Dann wache ich schweißgebadet auf.

      Voller Grauen begreife ich, dass diese Welt nur ein finsterer Schlot ist, in dem ich mich für einen Moment vor den Verfolgern verborgen halte.

      IV

       1.

      Ich erinnere mich, wie ich aus dem Flugzeug steige, dumpf vom Valium gehe ich gähnend durch die Passkontrolle. Über meine Wangen rinnen Tränen. Der Polizist grüßt freundlich, sieht in den roten norwegischen Pass, fragt, woher ich komme, ich antworte schleppend, durch die Nase. Er haut den Stempel auf eine freie Seite und sagt: – Willkommen zu Hause! – Ich sehe ihn verwundert an, auf seinem Gesicht suche ich nach Spuren von Sarkasmus, aber es ist aufrichtig und gerötet. Ich schlurfe weiter, nehme das Gepäck, einen alten blauen Rucksack, den ich vor langer Zeit einmal in der Wäscherei im Studentenheim in Oslo habe mitgehen lassen, und suche den Ausgang. An der Zollkontrolle stehen ein Polizist mit Hund, dessen Rasse ich nicht mit Sicherheit bestimmen kann, und eine Polizistin, jeder auf einer Seite des Durchgangs. Der Hund beschnuppert die Leute, wenn sie vorbeikommen. Als ich näher komme, wird er sichtlich aufgeregt, beginnt mit dem Schwanz zu wedeln und mich zu umkreisen. Ich denke doch, dass es sich um einen Labrador handelt. Die Polizistin fragt, ob ich mit ihr in einen Raum auf der rechten Seite kommen würde. Ich setze mich wortlos in Bewegung. Sie bittet mich, mein Gepäck auf den Tisch zu stellen und den kleinen und den großen Rucksack zu öffnen. Sie fragt mich, ob ich wisse, weshalb sie mich angehalten hat. Ich sage, ich weiß.

      – Weißt du, was das für ein Hund ist?

      – Ich weiß.

      – Weißt du, weshalb er auf dich reagiert hat?

      – Vielleicht, weil ich in diesem Rucksack bis vor Kurzem Gras gehabt habe – antworte ich gähnend.

      Sie scheint sich zu freuen, leise wiederholt sie meinen Satz Wort für Wort und fängt an, im kleinen Rucksack zu wühlen, den ich als Handgepäck mit an Bord hatte. Sie fragt, ob ich noch etwas davon bei mir habe.

      Ich sehe sie an und schweige. Sie wiederholt die Frage. Ich frage, ob ich ihr so dumm vorkomme.

      Dann muss ich alles aus beiden Rucksäcken herausnehmen, in der Hauptsache Schmutzwäsche und mehrere Bücher. Sie fragt mich, ob ich Haschisch rauche, ich sage, ja.

      – Du rauchst? – wiederholt sie und unterbricht für einen Moment ihre Suche im Necessaire.

      – Ich rauche – antworte ich und verspüre eine leichte, aber erfüllende Befriedigung, weil ich so verdammt cool bin. Ich weiß, dass das deshalb ist, weil mich das Valium aus dem Flugzeug noch aufrecht hält, und dass mein „Phlegma“ gespielt ist, aber das ist mir egal. Die Polizistin fragt mich, wann ich das letzte Mal geraucht habe.

      – Auf dem Flughafen in Split.

      Dann kommt der andere Polizist und führt mich in einen kleinen Nebenraum. Hier befiehlt er mir freundlich, mich auszuziehen. Ich ziehe mich ohne jede Scheu aus, für einen Moment denke ich, dass ich jetzt auch tanzen könnte.

      Der Polizist, daran gewöhnt, dass es den Leuten unangenehm ist, versucht ein Gespräch anzuknüpfen. Während er meine Jacke, Hose, Strümpfe, Schuhe untersucht, fragt er höflich, wohin ich gereist bin, was ich dort getan habe, was ich von Beruf bin und solche Sachen. Ich ziehe die Unterhose aus, halte sie ihm hin, ich bin völlig nackt. Ich sage, dass ich überhaupt keine Lust habe zu erzählen, und dass er seine Arbeit machen soll.

      – Okay? – setze ich von oben herab hinzu.

      – Okay – gibt er ruhig zur Antwort.

      Er sieht mir in den Mund, unter die Achseln, und am Schluss bleibt nur noch, dass er mir den Finger in den Anus schiebt. Aber ich sehe, dass er es sich im letzten Moment anders überlegt und es sein lässt.

      – Auch besser für dich – denke ich boshaft. – Da würde ich auch nicht reinsehen wollen.

       2.

      Die Tür öffnet sich mit einem grellen elektronischen Ton, ich gehe hindurch. Ich überschreite die grüne Linie auf dem Boden und betrete Norwegen. Da vorn ist ein Haufen Menschen, die auf jemanden warten. Ein Mädchen überholt mich, ein junger Mann kommt mit einem Blumenstrauß an, sie läuft ihm in die Arme, sie küssen sich nicht. Sie stehen nur lange umarmt da, er flüstert ihr etwas ins Ohr. Ich stehe da, den einen Rucksack auf dem Rücken, den anderen in der linken Hand, spähe umher, als würde ich jemanden suchen, der auf mich wartet.

      – Norwegen … – denke ich und gehe langsam weiter. Ein kleinerer schnauzbärtiger Mann hält ein Stück Papier in der Hand, auf dem „Helena“ steht. In der anderen Hand hält er ein norwegisches Fähnchen.

      Ich gehe ganz langsam, ich erwarte etwas, einen Ansturm von Gefühlen, Erinnerungen, ich erwarte, dass jemand meinen Namen ruft, mich an die Schulter fasst … Ich bleibe stehen und drehe mich um … Nichts. Sogar die Stimmen in meinem Kopf sind verstummt. Ich sehe die Menschen um mich herum, wie sie gehen, wie sie ihr Gepäck ziehen, wie andere sie freudig erwarten, ich sehe, wie sie reden, den Mund zu einem Lächeln verziehen, glückstrahlend mit den Armen winken. Alles wird langsamer, die Stimmen werden tiefer, ich drehe mich um mich selbst, ich merke, wie die Stimmen zum entfernten Nachhall werden, wie sie irgendwo im Hinterkopf verschwinden, meine Beine werden weich, der schwarze Marmorboden scheint sich in den Save-Schlick zu verwandeln, ich fange an, mich ganz verloren um mich selbst zu drehen, wie ein Wels in der Reuse, ich höre, wie eine der Stimmen irgendwo aus dem Rückenmark kommt, wie sie voller Hohn von den in Norwegen vergeudeten Jahren spricht, wie sie lacht und ein Zigeunerlied singt, höhnisch und provokant. Ich versuche sie zu ersticken, aber sie singt und macht sich nichts draus, ich würde am liebsten in Ohnmacht fallen, ich drehe mich langsam weiter, ein älteres Paar geht vorüber und sieht mir in die Augen, das sehe ich deutlich, die Knie beginnen zu wanken, ich sehe den Schnauzbart mit dem Fähnchen, eine große Blondine geht auf ihn zu, eine Russin vielleicht, er reicht ihr das Fähnchen, sie nimmt es und weiß offenbar nicht, was sie damit soll, aber auch nicht, was mit ihm, vielleicht sollte ich selbst auch ein Stück Papier nehmen und „Helena“ draufschreiben und warten. Ich denke: Norwegen …

      Ich spüre kaltes Wasser im Gesicht, jemand besprengt meine Wangen, langsam komme ich zu mir. Über mir nicken ein paar Köpfe bedeutungsvoll, zufrieden, dass sie Zeuge eines „nicht alltäglichen“ Ereignisses sind, glücklich, endlich etwas erlebt zu haben. Ich ergreife die Hand, die mich besprengt, sie gehört der älteren Verkäuferin in dem Kiosk, vor dem ich zusammengebrochen bin. Auf ihrer linken Brust hat sie ein Namensschild, auf dem steht: Cathrine. Cathrine ist eine Blondine, sie hat die Frisur von Ljupka Dimitrovska und murmelt besorgt etwas im südnorwegischen Dialekt. Zuerst denke ich, dass sie mir etwas sagen will, aber dann beugt sie sich vor, schlenzt ihre Brüste über meine Nase, besprengt meine Wangen, und ich kapiere, dass sie mit sich selbst spricht. Ich schiebe ihre Hand weg, und das Einzige, was ich herausbringe, ist:

      – Zucker, geben Sie mir etwas Zucker …

      Sie erhebt sich, geht zu ihrem Kiosk und nimmt eine Cola aus dem Kühlschrank.

      Nachdem ich etwas von dem gezuckerten Sprudelwasser getrunken habe, stehe ich auf, und die Menschen um mich herum gehen auseinander. Die Vorstellung ist zu Ende. Cathrine kehrt hinter das Pult in ihrem Kiosk zurück, ein Mann wartet schon ungeduldig, er will seine