Ein schönerer Schluss. Bekim Sejranović

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Название Ein schönerer Schluss
Автор произведения Bekim Sejranović
Жанр Языкознание
Серия Transfer Bibliothek
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990371299



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Pettersen, mein Mentor, mochte mich, aber es hatte keinen Sinn. Ich wusste, dass ich bei der ersten Gelegenheit, sobald ich genügend Geld zusammenhätte, wieder verschwinden würde.

      Bis zum Herbst hielt ich es in Oslo irgendwie aus, zumeist den ganzen Tag arbeitend. Wenn es Arbeit gab, als Übersetzer, und wenn es keine gab, als Bauarbeiter. Im Herbst packte mich wieder die Unruhe, und so ging ich erneut weg, zuerst nach Kroatien, dann nach Bosnien. Ich dachte auch daran, wie es wäre, mich in die Save zu stürzen und einfach zu verschwinden, aber das ist nicht leicht. Dabei bin ich ausgerutscht und in den schlickigen Fluss gefallen.

       3.

      Damals, vor zwei Jahren, ließ ich die Save hinter mir. Ich ließ das Haus und die Straße und das Viertel hinter mir, in dem ich Kind gewesen bin, und mir selbst näher als zu irgendeinem Zeitpunkt danach. Ich ließ die zerfallenen Mauern hinter mir, die verdorrten Gärten, die Grabsteine und Gräber auf den ausgewaschenen Fluren.

      Nach meinem Sturz in die Save verspürte ich immerhin eine vage Hoffnung. Ein armseliges, schwaches Flämmchen begann in mir zu glimmen. Ich wusste noch nicht genau, was ich tun würde, auch nicht wie, aber für den Anfang streifte ich mir die nassen Sachen vom Leib und zog mich um, setzte mich in Großvaters „Grünen Heinrich“, unseren Zastava 101, und fuhr in Richtung Split. Den Grünen Heinrich hatte mir Großvater im Testament hinterlassen. Kurz vor Mostar blieb er stehen und wollte nicht mehr. Daraufhin ließ ich ihn stehen, die Schlüssel im Zündschloss, marschierte mit dem Rucksack auf dem Rücken die Straße hinunter und versuchte es per Anhalter. Natürlich hielt niemand. Auf dieser Straße fahren die Leute wie die Verrückten.

      III

       1.

      Vorm Morgengrauen werde ich plötzlich wach, nass vor Schweiß. Im ersten Moment begreife ich nicht, wo ich bin, mein Herz im Brustkorb hämmert feindlich. Die Reste des Traums tanzen noch ausgelassen in Großvaters Hütte, ich stehe rasch auf, ziehe den Vorhang weg, um etwas Helligkeit ins Zimmer zu lassen. Durchs Fenster dringt bleiches Licht, es reicht nicht aus, um die Schrecken des Traums zu verscheuchen.

      Der Traum: Ich bin ein böser Geist. Mich jagen drei gute Geister. Wir fliegen wie Kometen durch ein großes Gebäude, das mich an meine Grundschule erinnert, „Nationalheld Zaim Mušanović“. Sie jagen mich, wie wütende Jäger die Beute jagen, die ihnen schon viele Male um ein Haar entkommen ist. Ich weiß, wenn sie mich fangen, ist alles vorbei. Während wir wütend durch die langen Korridore fliegen, die Treppen rauf und runter, durch die bekannten Schulräume, drohen sie und sagen mir, was mich alles erwartet, wenn sie mich zu fassen kriegen, aber ich schneide nur Grimassen und beschimpfte sie mit allem, was mir einfällt. Einer folgt mir wie ein Pfeil zum geschlossenen Fenster; ich drehe abrupt ab und er knallt gegen die Scheibe. Ich öffne das Fenster, stoße den guten Geist hinaus, dann schließe ich es wieder und zische wie ein Geschoss durch die Aula, wo wir einmal neben dem Tito-Bild Ehrenwache gehalten haben. Die anderen beiden guten Geister krümmen sich vor Schmerz und Wut. Sie schreien und heulen, fluchen, speien Gift und Galle. Ich heiße sie alles Mögliche, aber ich spüre Angst in mir aufsteigen, Panik, die meinen immateriellen Körper überkommt, und plötzlich weiß ich, dass ihre Drohungen nicht leer sind, dass sie sich früher oder später bewahrheiten werden.

      Solche Wachträume suchen mich gewöhnlich heim, wenn ich aufhöre, Haschisch zu rauchen. An die zehn Jahre habe ich jeden Tag geraucht, mit kurzen Unterbrechungen. Manchmal habe ich aufgehört, weil ich keinen Nachschub kriegen konnte, und manchmal, um einen klaren Kopf zu kriegen. In den letzten Jahren habe ich, wann immer ich mit dem Rauchen aufgehört habe, nachts geschwitzt. Dieser Schweiß ist klebrig und hat einen süßsäuerlichen Geruch. Du träumst nicht, wenn du rauchst. Wenn du aufhörst, kommen die Träume zurück.

       2.

      In jenem Oktober vor zwei Jahren flog ich zurück nach Oslo. Im Flugzeug bemühte ich mich, den Menschen um mich herum nicht ins Gesicht zu sehen, nicht ihre Stimmen zu hören; mich interessieren ihre traurigen Geschichten nicht, wie sie den Urlaub verbracht haben, wie viel sie für ihre Unterbringung bezahlt haben, und wie viel für die Kalmare vom Grill in einer Konoba auf Hvar. Ich nehme ein Bier, öffne es und schütte die halbe Dose einem jungen Norweger über die Hose, der neben mir sitzt und sich bis eben noch begeistert mit seinem Mädchen unterhalten hat. Sie ist ungesund mager, mit Einlagen im BH und kleinen roten Pickeln im Gesicht, die sie erfolglos unter Puder zu verstecken versucht. Der junge Mann sieht mich überrascht an, dann böse. Er beginnt mit der Hand den Schaum von der Hose zu wischen und flucht laut im nordnorwegischen Dialekt. Ich schweige und sehe ihn an, wie der Mensch eine Nisse ansieht, die ihm einen halben Liter Blut abzapft, bevor sie sich in eine Laus verwandelt. Ich nehme einen Schluck Bier, dazu ein Valium, und drehe den Kopf zur anderen Seite.

      Bevor ich in die Seligkeit der Bewusstlosigkeit sinke, denke ich noch, dass es das Beste wäre, wenn das Flugzeug abstürzen würde, sobald ich eingeschlafen bin. Irgendwo in den Alpen, wenn möglich.

       3.

      Ich wache auf, bevor das Flugzeug auf dem Flughafen Gardermoen landet, fünfzig Kilometer von Oslo entfernt. Mich durchströmt eine Welle der Angst, deren wahre Quelle ich nicht kenne, die mir aber nur zu gut bekannt ist. Es war immer so: Diese Angst war immer da, diese Unzufriedenheit mit mir und dem Rest der Welt.

      Es war eigentlich tragikomisch. Wenn ich in Norwegen war, ging mir alles auf die Nerven: die norwegische Musik und ihre Musiker, die Literatur und ihre Schriftsteller, die Schlagzeilen der Zeitungen, die Fernsehnachrichten, die norwegische Sprache und alle Dialekte, die norwegische Geschichte, Geografie, Natur, Berge und Fjorde, die endlosen dunklen nordischen Winter, die endlosen Sommertage, die norwegischen Gesetze, die Regierung, der König, die Königin, Prinz und Prinzessin, die Menschen auf der Straße, langweilige, altkluge Knaben und eingebildete kleine Mädchen, frustrierte Mädchen mit aufgepumpten Backen und hochgeschnürten Titten, schwachbrüstige, komplexbeladene Jünglinge, um vom Fußball und von der Politik gar nicht zu reden.

      Gleichzeitig war alles, was mit dem Balkan zu tun hatte, quasi ideal: Die Menschen sind direkt, warmherzig, rebellisch, sie haben nicht diesen norwegischen Schafsgehorsam, dich engt nicht dieses Spinnennetz aus Vorschriften ein, es herrschen Trägheit, Lässigkeit und Chaos, eine fruchtbare Zigeunerei, die gerade so, wie sie ist, mit all ihren schlechten Seiten, einem menschlichen Wesen doch näher steht als eine metallisch kühle, perfekt organisierte und in jedem Detail pedantisch kontrollierte Gesellschaft. Chaos ist Leben, überlegte ich in einem meiner gemieteten Zimmerchen im Osten Oslos. Ich zündete mir einen Joint nach dem anderen an und kam zu dem Schluss: Das Chaos perfektionieren bedeutet, nach dem Nichts zu streben. Ich hörte balkanische, orientalische oder afrikanische Musik, las Bücher in „unserer“ Sprache, kaufte Zeitungen, verfolgte die Nachrichten.

      Es war viel Wahres an meinem Herumgefurze, aber es zwang mich niemand, in Norwegen zu bleiben. Ich konnte auf den Balkan zurückkehren. Und es war ja nicht so, dass ich es nicht versucht hätte, aber gerade in solchen Momenten hatte meine innere Maschine einen Verreiber. Wenn ich nach Kroatien, Bosnien, Serbien, Montenegro, Mazedonien fuhr, kriegte nach den ersten Wochen, in denen ich Freunde traf und auf ausgelassene Partys ging, alles ein anderes Aussehen. Das zerklüftete Norwegen ebenso wie der bergige Balkan. So erwachte ich eines Morgens in Rijeka, Split, Zagreb, Sarajevo, Mostar, Tuzla, Belgrad, Novi Sad, egal, zumeist verkatert, ausgepumpt, mit einem durch irgendeine Droge eingeschränkten Bewusstsein, und plötzlich stellte sich alles auf den Kopf. Mich überkam eine Mischung aus Ekel und Panik, ein Gefühl völligen Versagens. Nach zwei Wochen verzog ich mich in die Einsamkeit, hörte norwegische Musik, las Bücher auf Norwegisch, und wenn ich mich doch einmal betrank, fing ich an, über die Schönheit der norwegischen Natur zu philosophieren, über ihre elaborierte Kultur, ihre entwickelte Demokratie, den Klassenfrieden und all den anderen Kram.

      Der Schluss des Traums: Die beiden übrig gebliebenen guten Geister holen mich ein, ich spüre ihre Wut, ich höre ihr geiferndes Knurren, schon