Название | Herr Groll und die Wölfe von Salzburg |
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Автор произведения | Erwin Riess |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783701362905 |
„Daß ich die Etikette mißachte, mag Ihnen zeigen, wie besorgt ich bin“, eröffnete Madame das Gespräch. Ich neigte den Kopf.
„Es gibt für das Nicht-Erscheinen meines Bekannten zwei mögliche Erklärungen, und beide sind für mich katastrophal“, fuhr sie fort. „Welche der beiden zutrifft und ob es nicht doch eine dritte Erklärung gibt – das müssen Sie, geschätzter Groll, herausfinden.“
Sie beugte sich vor und sprach mit verminderter Lautstärke weiter. Ihrer rauchigen Stimme war anzuhören, daß diese Frau gewohnt war, einen Großbetrieb zu leiten. „Sie müssen wissen, daß mich mit diesem Gentleman, der auf dem Anwesen seiner Eltern in den Cotswolds am Fluß Avon aufwuchs und in Oxford studierte, mittlerweile aber in Küssnacht am Vierwaldstättersee lebt, eine langjährige Beziehung verbindet, für die das Wort Zuneigung eine Untertreibung wäre.“ Und nach einer Pause setzte sie hinzu: „In den Maßen des Anstands natürlich, mein Bekannter ist verheiratet. Glücklich verheiratet. Kinder soll es auch geben. Wie viele, vergesse ich immer.“
Ich konzentrierte mich auf jedes Wort. Madame duldet es nicht, wenn ich in ihrer Gegenwart Notizen mache. Sie entnahm ihrer Handtasche ein hellbraunes Lederetui, öffnete es, schrieb mit ihrer Füllfeder einen Namen auf die Rückseite eines Strafmandats und schob es mir zu. Ich prägte mir den Namen ein: Liam Ferguson. Dann nahm sie das Mandat wieder an sich und steckte es in ihre Handtasche.
Nun hatte ich den Namen. Aber bei den Festspielen finden sich nicht wenige Besucher ein, für die Karten unter falschen Namen hinterlegt sind. Im Festspielbüro sind Dutzende Leute damit beschäftigt, die Bedürfnisse der betuchten Klientel zu bearbeiten. Für Sponsoren und deren Entourage galt das in verstärktem Maß. Nicht alle führenden Herren aus Hochfinanz und Politik verbringen die Festspieltage mit den Ehegattinnen. Sollten diese aber doch bei den Galavorführungen dabei sein, sehen die Geliebten die Vorstellungen eben bei der zweiten oder dritten Aufführung. Und irgendwann findet auch der gefragteste Vorstandsvorsitzende Zeit, sich mit seiner Favoritin in diskrete Innenstadthotels zurückzuziehen. Das Hotelpersonal verfügt über eine große Expertise im Organisieren von verschwiegenen Etablissements. Die Schwester meines Freundes Poschacher Toni arbeitet seit drei Jahrzehnten im Festspielbüro, ihr ist nichts Menschliches fremd. Ich würde mich also an sie wenden. Der von Madame so schmerzlich vermisste Herr wird wohl einen anderen Termin der Verabredung mit Madame vorgezogen haben, dachte ich. Ob geschäftlich oder privat, war offen. Andererseits beschlichen mich angesichts dieser ersten Arbeitshypothese sehr bald Zweifel.
„Ich lege für ihn die Hand ins Feuer, was Umgangsformen und Höflichkeit anlangt“, sprach Madame. „Selbst wenn etwas Unvorhersehbares dazwischengekommen wäre – er hätte sich gemeldet und sei es nur durch eine Kurznachricht“, nahm Madame meinen Einwand vorweg. „Ich befürchte das Schlimmste. Ach ja, ich vergaß hinzuzufügen, wo er logiert: Im Goldenen Hirsch, von der Blauen Gans, in der ich immer abzusteigen pflege, ist das nur einen Katzensprung entfernt.“ „Warum schicken Sie Ihren Herrn Kálmán nicht in den Hirschen? Er kann sich genauso gut wie ich nach Ihrem Bekannten erkundigen.“
„Kann er nicht“, wehrte Madame ab. „Die beiden kennen sich. Es wäre nicht gut, wenn er ihn sieht. Ich will nicht, daß mein Freund glaubt, ich spioniere ihm nach. Das haben wir in drei Jahrzehnten nicht gemacht, und ich habe keine Lust, am Rande des Alters damit zu beginnen.“
Ihre Selbsteinschätzung war originell. Ich weiß nicht, wie oft sie ihren 75. Geburtstag gefeiert hat. Sie sah mich eindringlich an. Und dann sagte sie in einer Mischung aus Befehl und Bitte: „Sie werden herausfinden, wo mein Freund sich aufhält.“ Mit einer Handbewegung schnitt sie meine Antwort ab. „Sparen Sie sich Ihre Einwände, sie werden nicht akzeptiert. Danke für das Gespräch. Wir treffen uns morgen im Mirabellgarten, beim Durchgang zum Mozarteum. 11 Uhr. Vormittag! Dann bekommen Sie einen Vorschuß. Vielleicht haben Sie ja schon erste Erkenntnisse vorzuweisen.“
Ich kannte den bei Elevinnen und Eleven des Mozarteums beliebten Rendezvous-Platz. Er war regensicher und schwer einzusehen, da nimmt man den Luftzug in Kauf.
Als der Dozent und ich den Weg nach Salzburg antraten, dämmerte es bereits. Zumindest den Eingang ins Blühnbachtal wollte ich meinem Begleiter aber doch zeigen. Auf mich übte dieses schroffe und düstere Tal seit meiner Kindheit eine unerklärliche Anziehung aus, es war aber nicht jene Art von Anziehung, wie sie pittoreske Sehnsuchtsorte ausüben, sondern es war eine seltsam angstbesetzte und verunsichernde Anziehung. Als wäre ich in einem früheren Leben vor dem zerklüfteten Taleinschnitt geflüchtet und hätte eine Aufgabe von existentiellem Gewicht zurückgelassen, eine Aufgabe, deren endgültige Erledigung noch ausstand.
Schräg gegenüber vom Haupteingang des Eisenwerks Weinberger zweigte in der Arbeitersiedlung Tenneck die Straße ins Blühnbachtal ab. Ich wollte schon abbiegen, da sah ich vor einer Tankstelle drei schwarze Mercedes-Geländewagen mit verdunkelten Fenstern. Großgewachsene Männer in schwarzen Uniformen drängten sich um das vordere Schlachtschiff; sie versuchten fieberhaft, dessen Scheiben und einen Kotflügel mit Spray und Tüchern zu reinigen. Ich bat den Dozenten, im Shop eine Notration für ein Abendessen zu holen. In großen Schritten eilte er zum Eingang, er wurde ihm von zwei Hünen verwehrt. Die beiden trugen Maschinenpistolen und machten sich gar nicht erst die Mühe, die Waffen zu verbergen. Der Dozent lief zum Wagen zurück und schwang sich auf den Beifahrersitz. Jetzt erst sah ich, daß vom vorderen Auto eine dunkle Flüssigkeit tropfte. Die zwei Uniformierten kamen auf uns zu, sie hatten ihre Maschinenpistolen im Anschlag. Den Motor starten, den Gang einlegen und den Renault auf der Bundesstraße beschleunigen war eins. Wir fuhren in Richtung Pass Lueg. Nach wenigen Kurven und einer Querung der gischtgrünen Salzach erreichten wir die Autobahnauffahrt. Erst als wir mehrere Tunnel passiert und bei Golling freies Land gewonnen hatten, verringerte ich die Geschwindigkeit und reihte mich in eine LKW-Schlange ein.
„Das waren russische Autokennzeichen!“, stieß der Dozent hervor.
„Wagnerianer“, erwiderte ich.
Der Dozent sah mich verdutzt an. „Aus Bayreuth?“
„Mitglieder der russischen Söldnertruppe Wagner, sie waren bei der Heimholung der Krim, im Donbass, in Syrien und Libyen im Einsatz. Daß die auch bei uns tätig werden, ist mir neu. Und das noch dazu im Blühnbachtal, dessen illustre Besitzer von den Salzburger Erzbischöfen über den Thronfolger Franz Ferdinand, den Hauptkriegsverbrecher Krupp und dessen Enkel bis zu einem kanadischen Milliardär aus einer Dynastie, die die extreme Rechte in den USA finanziert, reichen.“ „Der schwarze Panzer muß mit einem Rotwild kollidiert sein“, sagte der Dozent, als wir die Salzburger Alpenstraße stadteinwärts fuhren. Ich widersprach nicht. Wenn der Dozent einmal eine Erklärung für bestimmte Entwicklungen hatte, beruhigte sich sein Gemüt und es tat dabei wenig zur Sache, ob die Erklärung stimmte oder nicht.
Spätabends kamen wir in Salzburg an. Der Dozent wollte nicht im Mohren absteigen, weil seine Mutter dort gern ihren Freund in einem Extrazimmer traf. Woher er das wußte, fragte ich. Vom Chauffeur, sagte der Dozent. Daß Kálmán Madame auch als Sicherheitsmann diente, war mir schon seit langem klar. Ob die beiden mehr als das Arbeitsverhältnis verbinde, wisse er nicht zu sagen, so der Dozent. Als Mann müsse der stolze Ungar seine Meriten haben, für verständnisvolle Hobbyköche habe seine Mutter nur Verachtung empfunden. Er kenne sie als selbstbewußte Frau, die Mangel welcher Art auch immer verabscheue.
„‚Ich bin ja keine Sozialistin‘, pflegt sie zu sagen, ‚mit der Aussicht auf eine Mangelwirtschaft kann man mich nicht locken, ich lebe gern im Überfluß, noch dazu wo ich ihn mir redlich erarbeitet habe.‘ Die Ehe ist für sie eine Zweckgemeinschaft zur Vermögensverwaltung und zur Pflege gesellschaftlicher Netzwerke. Meine Schwester und ich sind Produkte der schwarzen Pädagogik unserer diversen Kinderfrauen, meine Mutter hat nie gewußt, ob ich die Unter- oder die Oberstufe besuche. Hauptsache, ich ging ins Theresianum. Und sie war klug genug, sich nur mit vermögenden und gebildeten Liebhabern einzulassen. Ihre Maxime lautet: ‚Sexualität ist zu wichtig, um sie von den Launen der Natur, sprich alternden Ehemännern mit Potenzproblemen, abhängig zu machen.‘“
„Ihre