Название | tali dignus amico |
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Автор произведения | Vicente Flores Militello |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Classica Monacensia |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783823301752 |
In epist. 1,7 geht es also zum einen um das Selbstverständnis der patroni, die einsehen müssen, dass sie in das Leben der clientes massiv eingreifen, und zum anderen um die Selbstverantwortung der clientes, die erkennen müssen, was für sie gut ist, um notfalls auch unangenehme Konsequenzen aus der Selbsterkenntnis zu ziehen. In beiden Fällen ist es ein Erkenntnisprozess, der multiperspektivische Reflexionen voraussetzt, wie sie Horaz sich und seinem Maecenas auch anhand der Fabeln und Erzählungen spielerisch ermöglicht. Damit erteilt er ihm gerade keine Absage, sondern signalisiert im Gegenteil Vertrauen, weil er ihn in seine Gedankenwelt einbezieht und zeigt, dass die Freundschaftsbeziehung einen wichtigen Teil seiner Reflexionen ausmacht und er darüber eben auch mit dem Freund in angemessener Offenheit, ohne die Hochachtung und die sozialen Unterschiede zu verletzen, sprechen möchte und kann.33 Damit wird die libertas, die Maecenas dem Horaz ermöglicht, als Ideal inszeniert.
ii) Klientelwesen als empfehlenswerter Weg: Episteln 1,17 und 1,18
Aus einer anderen Perspektive stellt der Horaz-Sprecher in den Episteln 1,17 und 1,18 ein Bild der clientela aus der Sicht des erfahrenen Klienten dar, der die für ihn unwiderlegbaren Vorteile des patronus-cliens-Verhältnisses hervorhebt. Dabei spielt Maecenas als Adressat keine Rolle mehr, er fungiert nur als implizite Referenzfigur, die für den potens amicus steht:1 Beide Episteln werden zwei verschiedenen jungen Männern gewidmet, Scaeva und Lollius,2 die offenbar selbst die Vorteile mächtiger Freunde nicht nur für ihre politische bzw. persönliche Karriere, sondern auch für ihr alltägliches Leben sinnvoll nutzen wollten.
1) Ein philosophisches regibus uti: Epistel 1,17
Horazepist. 1,17Epistel 1,17 leitet auf ungewöhnliche Weise den Adressaten Scaeva als Schüler und Horaz als Berater ein. Scaeva befindet sich offenbar in der Position eines cliens.1 Dabei wird ihm gleich zu Beginn schon ein ausreichendes Wissen bestätigt. Der Sprecher führt sich dagegen mit einem humorvolles Hypokoristikon als bescheidener Freund und beinahe inkompetenter Ratgeber ein (epist. 1,17,1‑5):Horazepist. 1,17,1-5
Quamvis, Scaeva, satis per te tibi consulis et scis, | |
quo tandem2 pacto deceat maioribus uti, | |
disce, docendus adhuc quae censet amiculus, ut si | |
caecus iter monstrare velit; tamen aspice, siquid | |
et nos, quod cures proprium fecisse, loquamur. | 5 |
Es wird also die Frage aufgeworfen, ob die Beziehung zu mächtigen Gönnern und das Leben als cliens, das als maioribus uti (2) umschrieben wird, wirklich das Richtige für Scaeva sind. Offenbar stellt sich Scaeva die Frage, ob eine solche Abhängigkeit den Verlust der inneren Freiheit bedeuten kann. Aus seiner Erfahrung heraus will Horaz daher in einem freundschaftlichen Gespräch die Gründe zu bedenken geben, aus denen eine solche Abhängigkeit auch positiv und sogar empfehlenswert sein kann.3 Formulierungen wie deceat (2) und proprium fecisse (5) signalisieren, dass es sich um eine moralphilosophische Bewertung handeln wird.
Zwei entgegengesetzte Möglichkeiten, wie eine glückliche Lebensführung zu erreichen sei, werden in der Epistel philosophierend besprochen. Dabei handelt es sich, meint der Sprecher, um eine persönliche Entscheidung, die zu Beginn getroffen werden muss: Einerseits sei ein ruhiges Leben im epikureischen Ideal des λάθε βιώσας zu finden, andererseits wirke sich das Ziel sozialen Aufstiegs für die Familie ebenso wie für den Betroffenen persönlich zunächst harmlos aus und bringe tatsächlich den erhofften Vorteil (epist. 1,17,6‑12):Horazepist. 1,17,6 12
si te grata quies et primam somnus in horam | |
delectat, si te pulvis strepitusque rotarum, | |
si laedit caupona, Ferentinum ire iubebo; | |
nam neque divitibus contingunt gaudia solis | |
nec vixit male, qui natus moriensque fefellit: | 10 |
si prodesse tuis pauloque benignius ipsum | |
te tractare voles, accedes siccus ad unctum. |
Den Ausgangspunkt bilden, wie etwa in carm. 2,18,Horazcarm. 2,18 die Lebensbedingungen als pauper. Einerseits wird derjenige pauper vorgestellt, der den Großstadtlärm nicht erträgt (6‑8): Topische Ruhe betonende Elemente wie grata quies oder primam somnus in horam werden damit Szenen entgegengesetzt, die für den Stadtlärm typisch sind, wie strepitus rotarum oder caupona. Als Lösung wird das unauffällige Landleben vorgeschlagen, das sich im Namen der entlegenen Landstadt Ferentinum niederschlägt.4 Dort ließe sich ein beinahe philosophisches bene vivere erreichen (per Litotes nec vixit male, 10), das ein unbemerktes Leben ermögliche. Dies stellt ein gaudium (9) dar, das nicht nur Reichen (die sich das leisten können) zustehe, sondern auch pauperes, die Ruhe suchen, betont der Sprecher nicht ohne Humor. Andererseits gibt es eben doch die Alternative eines pauper, der sich sozialen Aufstieg wünscht – und zwar nicht nur für sich, sondern auch aus Pflichtbewusstsein für seine Familie (11f.). Der Vorwurf des egozentrischen Verhaltens, der in dem Aufstiegsstreben liegen könnte, wird so von vornherein zurückgewiesen. Damit ist aber auch die Entscheidung für das klienteläre Verhältnis gefallen. Denn es wird klar ausgesagt, dass der Aufstieg ausschließlich durch die Beziehung zu einem mächtigen patronus möglich ist.5
Die Forderung, dass die patronus-cliens-Beziehung differenziert bewertet werden muss und nicht von vornherein als Unfreiheit und als moralisch unvertretbar abgelehnt werden darf, wird im Folgenden durch eine bekannte Anekdote noch einmal unterstrichen, bei der der Kyniker Diogenes ausnahmsweise einmal nicht das letzte Wort behält (epist. 1,17,13‑22):Horazepist. 1,17,13 22
‘si pranderet holus patienter, regibus uti | |
nollet Aristippus.’ ‘si sciret regibus uti, | |
fastidiret holus, qui me notat.’ utrius horum | 15 |
verba probes et facta, doce, vel iunior audi, | |
cur sit Aristippi potior sententia. namque | |
mordacem Cynicum sic eludebat, ut aiunt: | |
‘scurror ego ipse mihi, populo tu: rectius hoc et | |
splendidius multo est. equus ut me portet, alat rex, | 20 |
officium facio: tu poscis vilia – verum | |
dante minor, quamvis fers te nullius egentem.’ |
Ausgangspunkt der Anekdote ist ein Gespräch zwischen Diogenes, dem Kyniker,