Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero González

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Название Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur
Автор произведения Manuel Caballero González
Жанр Документальная литература
Серия Classica Monacensia
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300045



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III 562–563OvidMet. III 562–563 oder Agave in Met. III 713OvidMet. III 713 berichten. Ovid ist der einzige Autor, der die von Athamas gesehenen Tiere als eine Löwin mit ihren zwei Jungen identifiziert hat. Das bedeutet, dass Athamas nicht nur Learchos mit einem Tier verwechselt, sondern auch seine Mutter und seinen jüngeren Bruder, was die spätere Verfolgung von Ino und Melikertes rechtfertigen würde. Zum ersten Mal in der griechischen und lateinischen Literatur werden Ino und ihre Kinder mit einer Löwin und ihren Jungen verglichen193. In Bezug auf dieses Bild könnte man sich auf das berühmte Frg. 1a Kannicht / SnellTragica AdespotaFrg. 1a Kannicht / Snell von Adespota: βρυαζούσης λεαίνης und Lac.Pl. Stat.ThebLactantius PlacidusStat.Theb. I 230. I 230 stützen; es erklärt, der Aiolide leonem se putaui occideret, obwohl es eigentlich sein Sohn war194.

      Der Ausdruck uisa est mihi (514) ist, wie Anderson sagt, „a nice example of ironically ambivalent Latin“195: Als Passiv bedeutet es, dass Athamas sie wirklich gesehen hat; mit der Bedeutung ‚So habe ich es gesehen‘ = ‚Es sieht so aus‘ wurde dem Leser ein Hinweis darauf gegeben, was wirklich passiert war. Wenn man aber den Text eingehend analysiert, bemerkt man eine gewisse Ungereimheit in Ovids Versen: Wenn sich die Auswirkung des Arzneitranks unmittelbar (protinus) ereignete, wie konnte Athamas dann sagen, dass er kurz vorher (modo) eine Löwin mit ihren Jungen gesehen hatte?

      Dann folgt die Jagdszene. Der Leser erinnert sich sofort an einen sehr ähnlichen Kontext für Aktaion und Pentheus mit seinem tragischen Ergebnis. Aber Athamas verfolgt diesesmal nicht Learchos, sondern Ino; der Grund dafür ist offensichtlich: Learchos kann noch nicht laufen, er ist ein schutzloses Kleinkind. Erwähnenswert ist, dass Ovid das Alter der Kinder von Ino verändert: Wenn Learchos ein Kleinkind ist, ist Melikertes ein Neugeborener. Aber Bacchus ist ein Erwachsener196, was unmöglich ist, wenn man der in Nonnos’ Dionysiaka197 (D. IX 53–91Nonnos von PanopolisD. IX 53–91) überlieferten Tradition folgt, nämlich dass Dionysos und Melikertes gleichzeitig von Ino gestillt worden sind. Die Änderung der Perspektive, und zwar dass Ino und nicht Learchos gejagt wird, „steigert das Ausmaß der Raserei“198.

      Eine ähnliche Szene wird bei Nonnos (Nonnos von PanopolisD. X 68–73D. X 68–73) geschildert, aber nicht mit Learchos, sondern mit Melikertes. Dort fleht dieser seinen Vater an; da streckt Learchos, als Kleinkind, seinem Vater die Ärmchen liebevoll entgegen. In Bezug auf die Metamorphosen betont Anderson: „Ovid describes the pathetic actions of the object of the main verb in a series of participial clauses, without revealing the violent verb that nullifies the child’s gestures“199. Seine Grausamkeit ist grenzenlos. Vor den Augen seiner Mutter schwingt Athamas seinen Sohn200 nach Art einer Schleuder201 durch die Luft, bis er dessen Kopf am harten Gesteine zerschmettert202. Es sieht so aus, als werfe er einen Stein, aber es ist nicht so. Das Schwingen in der Luft hatte nur das Ziel, mehr Geschwindigkeit zu gewinnen, um den Stoß am Gesteine noch kräftiger werden zu lassen203. Ovid wird diese Szene im Fall von Herkules und des jungen Lichas wiederholen204; auch Seneca übernimmt diese grausame Darstellung für seinen Herkules, denn dieser Held bringt eines seiner Kinder um, indem er es an einem harten Gestein zerschmettert (Sen. HFSenecaHF. 1005–1007. 1005–1007). Bömer erläutert treffend Ovids Inkongruenz mit dem Begriff ‚Jagd‘, „denn kein Jäger wird es für ratsam erachten, das Junge einer Löwin auf diese Weise zu töten“205.

      Zur Grausamkeit des Aioliden – es ist das einzige Mal, dass Learchos’ Tod so beschrieben wird – kommt noch das zarte Kindesalter von Learchos hinzu: Dies macht Athamas’ Tat noch erbamungsloser. Und als ob das nicht genug wäre, streckt das Kind seinem verbrecherischen Vater die Arme lächend entgegen, eine Szene, die, wie bereits erwähnt, Melikertes’ Tod bei Nonnos beeinflussen sollte206. Weil Learchos ein Kleinkind war, konnte Athamas möglicherweise nicht die Pfeile verwenden. In dieser Textstelle wird Athamas als furibundus (512), amens (515) und ferox (519) angesehen.

       6’) InoIno und MelikertesMelikertes’ FluchtFlucht (519–530)

      Ovid präsentiert eine sehr realistische Meinung: Ino wird wahnsinnig, wahrscheinlich aufgrund des Giftes von Tisiphone; aber welche Mutter würde nicht halbverrückt angesichts einer solchen von Ovid geschilderten Darstellung, nicht tief verstört aus Angst und Schmerz, nicht umnachtet vor der geschauten Szene? Dieser Meinung ist Bernbeck: „Sie verhält sich daher zunächst nicht anders, als man von einer Mutter, die der Ermordung ihres Kindes zusehen muß, erwarten kann“207.

      Ino flieht, wahnsinnWahnsinnig geworden. Das Geschrei, die ungeordnete Flucht, die fliegenden Haare208 sind physische Hinweise einer Störung ihrer Vernunft. Der Aufschrei könnte eine Äußerung ihres aufgeregten Zustandes sein, aber „it can also prepare us for her Bacchic fantasy“209. Bei Seneca (HFSenecaHF. 1009. 1009) flüchtet Megaira furenti similis, nachdem Herkules seine zwei Söhne getötet hat. Ino trägt sein Kind auf ihren Armen. In der Tat gibt es eine doppelte Bewegung in Hinblick auf Inos Arme: Derjenige, der aus dem mütterlichem Schoß herauskommt, stirbt auf ewig; derjenige, der in ihm bleibt, stirbt auch, aber um für ewig zu leben.

      Das Geheul von Vers 521 wird in Vers 523 artikuliert: Euhoe, Bacche!; sie erinnern den Leser an Verg. Aen. VII 389VergilAen. VII 389. Es ist ein Hinweis nicht nur auf die Erziehung dieses Gottes durch Ino und die Verehrung, die er von seiner AmmeAmme bekommt, sondern auch auf den Irrsinn, der sie überwältigt. Im Gegensatz zu Athamas’ Wahnsinn hat der von Ino bacchische Zeichen, über „die nach der Tradition nur Bacchus verfügte“210. Bömer erläutert das, indem er sagt, „die SageSage gehört in den dionysischen Kreis“211. Wichtig ist zu bemerken, „the cry to Bacchus in 523 … comes from an insane woman, not from the once-proud aunt“212. Wie Ino sich um Bacchus kümmerte, als er ein Kind war, muss sie nun sterben, wenn Melikertes noch ein Kleinkind ist.

      Bernbeck glaubt, dass, „Ovid wieder die beiden Motive dolor und uenenum miteinander vermischt“213. Tisiphones Gift verursacht aber nicht m.W. einen bacchischen Irrsinn, wie der deutsche Gelehrte behauptet214. Der Wahnsinn, der sowohl durch das Gift als auch durch den grausamen Tod ihres älteren Sohnes ausgelöst wurde, äußert sich m.E. in bacchantischer Art und Weise215. Diese Anrufung, die Ino für ihre Ermutigung und ihre Rettung ausspricht, veranlasst das sarkastische Lachen von Juno: Möge dieser Gott mit ihr verfahren, wie sie es mit ihrer Schwester Agave machte, nämlich dass die Mutter ihren Sohn tötet.

      Ovid platziert Ino plötzlich auf dem Gipfel eines Felsblocks, genauso wie er blitzartig den Weg zur Unterwelt präsentiert hatte. Der Dichter beschreibt wunderschön den Felsvorsprung, der über das Meer ragt, wie ein Sprungbrett zum Tode. Das felsige Gelände gilt als ein Dach, das die Wellen vor dem Regen abschirmt. Anderson glaubt, diese Andeutung, „distracts us from the plight of Ino and son“216. Meiner Meinung nach will Ovid mit den Göttern des Himmels und des Wassers spielen: Der Felsblock, von dem Ino springen wird, wird Leukothea, eine Seegöttin, vor HeraHera, einer olympischen Göttin, beschützen. Auf jeden Fall scheint es m.E. nicht so, dass dieses Bild „die Stimmung der Szene spielerisch umschlagen läßt“217.

      Ino kommt bis zu diesem Ort dank der Kraft, die insania (528)218 ihr verleiht. Juno war zum tiefen Auernus gegangen, als sie von Hass und Zorn angetrieben war; Ino erreicht den Gipfel der Felswand, weil der WahnsinnWahnsinn sie treibt. Tisiphone handelt unverzüglich, wie auch Ino: Sie springt ohne Angst. Der Unterschied zu Nonn.Nonnos von PanopolisD. X 80–121 D. X 80–121 ist groß, weil Ino in dem griechischen Gedicht nicht nur mit dem Sprung zögert, sondern eine lange und pathetische Rede hält, bevor sie sich ins MeerMeer stürzt. Dass Ino nicht zögert, mit Melikertes zu springen, könnte m.E. durch den gewalttätigen Mord von Learchos durch seinen Vater Athamas veranlasst sein: Man muss schnell agieren, es gibt keine Zeit für Zweifel. Ovid deutet die Etymologie von Leukothea mit Blick auf das Weiße – angeblich des Schaums –, das Ino aufnimmt. Anderson meint, „the narrator coolly looks at the way the water grows white with foam when the bodies strike it, but he refuses to waste feeling on the tragic souls“219.

       7’) Inos und Melikertes’ DivinisierungDivnisierung (531–542)

      Ovid setzt auf die Großeltern, um die Enkelkinder zu beschützen220. So geschieht es im dritten Buch für Pentheus221;