Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero González

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Название Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur
Автор произведения Manuel Caballero González
Жанр Документальная литература
Серия Classica Monacensia
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300045



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Juno in der römischen Epik zufrieden zeigt; dies ist tatsächlich die einzige Notiz von Freude – ein bisschen böswillig gesagt – im gesamten Text. Nach Anderson, „Ovid must be referring irreverently to the end of Vergil’s epic (AenVergilAen. XII 841–842. 12841–42), where she gained satisfaction from an arrangement with JupiterJupiter (not the Furies) for the future of Italy“127. Iris128 wird aufgetragen, Juno vor ihrem Eintritt in den Olymp zu reinigen. Ganz ähnlich ist das Bild in Verg. Aen. VI 229–231VergilAen. VI 229–231, „wo nach der Bestattung des Misenus die Gefährten des Aeneas besprengt werden“129. Bernbeck denkt, dass diese Tat nicht dem göttlichen Status von Juno entspricht: „Befleckung widerspricht der Vorstellung der Götter als Inbegriff der Reinheit“130; Ovid vermischt Elemente der menschlichen Welt mit denen der göttlichen. Meiner Ansicht nach ist diese Bemerkung ein kleiner Tribut von Ovid an die Tradition, die die Unterwelt für die olympischen Götter unzugänglich sein ließ; jedenfalls muss Juno gereinigt werden, wenn sie zurückkehrt, denn sie hat einer Regel zuwidergehandelt und die Unterwelt hat sie beschmutzt.

      Über Junos descensus zur Unterwelt ist viel geschrieben worden. Es scheint eine Erfindung von Ovid zu sein, wie in der Einleitung gesagt worden ist, aber Castiglione behauptet, „Nonno non manca di accenni speciali che potrebbero indurre a credere che in un modello anteriore si svolgesse un’azione simile all’ovidiana“131. Ovid ahmt Vergil in der Beschreibung der Unterwelt nach; allerdings besteht der innovative Charakter von Ovid darin, dass eine olympische Göttin, nämlich Jupiters Frau Juno, zur Unterwelt hinabsteigt und dieser descensus sich in Athamas’ Mythos befindet, etwas, das niemand früher beschrieben hatte. Beide Autoren, Vergil und Ovid, werden von Nonnos132 nachgeahmt, wenn HeraHera sich in die Unterwelt begibt, um Persephones Hilfe zu erbitten, damit diese die Erinnyen gegen Dionysos schicke und die mutlosen Inder unterstütze133. Obwohl es Unterschiede gibt134, ist der modus operandi der gleiche und sind die Ähnlichkeiten in beiden Texten reichlich vorhanden, wie z.B. die Betonung der vipernhaften Wildheit beider Erinnyen, die Andeutung ihres Giftes und der von ihnen verursachte Wahnsinn.

      Nur seiner Merkwürdigkeit wegen sollte Viarres Vorschlag präsentiert werden, denn dieser Gelehrte interpretiert das Hinabsteigen aus einer magischen Perspektive: „Nous avons vu le contexte magique: l’obscurité … la préparation de Tisiphone et le rite de magie sympathique sur lequel s’achève son rôle …la descente dans le silence … le Styx, les ombres, Pluton, Cerbère, les Erynies; les habitants des Enfers avec leurs traditionnelles occupations reprises de la vie … les grands coupables, Ityos, Tantale, Sisyphe, Ixion, les Danaides“135. Dies ist m.E. eine weit hergeholte Lesart von Ovids Textstelle136.

       4’) Tisiphone greift Athamas und Ino an (481–511).

      Tisiphone zögert nicht, wie Allekto (Aen. VII 341VergilAen. VII 341), und erfüllt ihr Wort sofort. Der ZornZorn von Vergils Juno benutzt Allekto, um den Krieg gegen die Trojaner in Italien zu beginnen137. Anderson aber glaubt, „Tisiphone simply ruins an innocent family of typically unheroic Ovidian victims, not significant epic personalities like Vergil’s Amata and Turnus“138. Wie man deutlich sehen kann und wie schon gesagt worden ist, wird der in der Epik üblicherweise präsentierte Einsatzbereich der Erinnyen geändert: „Relationships bonded by blood or promises are the Homeric Erinys’s sphere“139. Dieser Rolle der Eumeniden bei Homer wird eine andere hinzugefügt: Sie sollen darüber wachen, dass der Fluch gegen eine andere Person erfüllt wird140. Es gehört auch nicht zur TragödieTragödie des 5. Jh. v. Chr., dass die Erinnyen einem Menschen den WahnsinnWahnsinn schicken, damit er ein Verbrechen begeht141; üblicherweise ist es umgekehrt, wie das Beispiel von Orestes zeigt: Die Erinnyen foltern ihn mit Wahnsinn, weil er das Blut seiner Mutter vergossen hat142.

      In den Metamorphosen wird aber weder eine Familienverbindung zestört noch die Gegenwart der Erinnyen angerufen, im Gegenteil: Tisiphone verursacht, dass ein Vater seinen eigenen Sohn umbringt. Das ist, wie schon angedeutet worden ist, eine absolute Revolution der bis dahin bekannten Funktionen der Erinnyen. Selbstverständlich heißt das nicht, dass Ovid diesen Begriff erfunden hat; hier wird nur angemerkt, dass die Erinnyen diese Rolle in den frühesten Etappen der griechischen Literatur nicht immer hatten: Sie wurde nach und nach im Laufe der Zeit eingeführt.

      Tisiphone bereitet sich darauf vor, das Haus zu verlassen, „wie wenn sich eine römische Matrone zum Ausgang rüsten würde“143. Sie trägt den Mantel, in diesem Fall aus flüssigem Blut, und den Gürtel, in diesem Fall aus Schlangen144. Die blutige Fackel erhellt den dunklen Weg bis zur Welt der Lebendigen; diese Fackel gehört, wie die Schlangen, eigentlich zu der gewohnten Ikonographie der Erinnyen145. Möglicherweise wandelte sich die Fackel von einem Reinigungsmittel zu einem Folterinstrument aufgrund des von der Unterwelt geprägten Bildes der Folter.

      Tisiphone tritt nicht allein heraus. Ein besonderes Gefolge begleitet sie: Luctus, Pauor, Terror, Insania. Bernbeck denkt, „er benutzt die Anregung Vergils zur Ausgestaltung einer theatralischen Prozession von Allegorien des Schreckens“146; Bömer aber glaubt, „Hesiod hat mit seinen Genealogien die gesamte antike Dichtung beeinflußt“147. Trauer gehört tatsächlich zu den sidonischen Frauen; Schrecken und Angst sind die ersten Wirkungen von Tisiphones Gegenwart auf der Erde; Irrsinn ist die letzte Auswirkung ihres Besuchs in Athamas’ Haus. Merkwürdig ist, dass nicht Furor, sondern Insania148 in all diesen Personifikationen von abstrakten Begriffen erwähnt wird. Normalerweiser ist es Pauor, der Hand in Hand mit verschiedenen Übeln geht, wie es bei Seneca (HFSenecaHF. 690–695. 690–695: Sopor, Fames, Metus …) bzw. bei Valerius Flaccus (II 204–206Valerius FlaccusVal.Flac. II 204–206: Discordia, Dolus, Rabies …) der Fall ist. Bömer hebt hervor, „Terror erscheint als Personifikation hier zuerst in der lateinischen Dichtung“149.

      Padel weist treffend darauf hin, dass die Erinnyen, und in diesem Fall Tisiphone, ein riesiges Waffenlager haben (Schlange, Fackel, usw.), um den Wahnsinn einzuflößen. Allerdings, „their essential weapons are the victims’s feeling: madness, terror, nightmare, fear“150, das heißt, die Gottheit benutzt die den Menschen eigenen Gefühle, innersten Emotionen und Leidenschaften gegen sie selbst. Auf jeden Fall erscheint keine dieser Personfikationen während des Angriffs von Tisiphone auf der Bühne. Bernbeck kritisiert Ovid sehr stark – meiner Meinung nach allzu sehr – und sagt, „sein Interesse gilt in erster Linie den Augenblickswirkungen“151. Andersons Meinung ist schon eher zu folgen, nämlich dass alle diese Personifikationen eine bestimmte Funktion haben, obwohl sie nicht wörtlich expliziert werden: „Grief will desolate both Ino and her parents and eventually Terror (cf. 488–89) will be the immediate result of this demonic band; and Madness will carry out the purpose articulated by JunoJuno at 471“152.

      Die Erinnye kommt unverzüglich ins Haus des Athamas und bringt dem Aioliden und seiner Frau den Wahnsinn. Ovid stellt den Irrsinn selbst nicht dar, wie etwa Euripides in einer Szene des Herakles; bei Ovid wird nur die Induktorin des WahnsinnWahnsinns präsentiert. Die Botschaft ist in beiden Fällen dieselbe: Der Wahnsinn kommt nicht aus dem Inneren des Menschen, sondern „madness is something external, invading, daemonic, autonomous“153.

      Ovid verwendet eine epische Zeitkontraktion: „Schon steht (I 609) Tisiphone auf der Schwelle des Palastes in ThebenTheben“154. Die Schwelle des Palasts imitiert die Gegenwart derjenigen, die sie betritt: die Pfosten zittern und die Flügeltore aus Ahorn „perdent l’éclat que leur a donné la main de l’ouvrier“155. Es gibt eine gewisse Personifikation der Tore, die – infolge des Schreckens – wie ein menschliches Wesen erbleichen156. Dieses Erblassen der Tore aus Angst „ist ein bekanntes Motiv („die Umgebung reflektiert die Natur der Gottheit“)“157. In der Tat erinnert die Farbenänderung an die Liebeselegie, „wo die Tür oft über den schlechten Lebenswandel der Hausherrin klagt“158. Der Glanz ist so stark, dass sogar die Sonne verschwindet. Anderson betont, die „absolute opposition between the Sun and this creature of the Underworld, daughter of Night“159. Das Verbleichen und die FluchtFlucht der Sonne deuten im Voraus Athamas’ und Inos Blässe aus Angst und ihre Flucht durch das Dach an.

      Ino und Athamas spüren die Anzeichen des kommenden Schreckens und versuchen zu fliehen. Tisiphone160 blockiert alle Ausgänge und schickt ihnen die Schlangen ihrer Haupthaare. Das Bild ist entsetzlich: Athamas und Ino werden umzingelt, angegriffen, von