Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero González

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Название Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur
Автор произведения Manuel Caballero González
Жанр Документальная литература
Серия Classica Monacensia
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300045



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arts of classical antiquity more than the dramas of Euripides“73; viele erhaltene Vasen sind ein guter Beweis dafür. Die Malereien der Vasen aus Terrakotta schildern sehr genau das kulturelle Leben Griechenlands. Am Anfang des Hellenismus geht es einen Schritt weiter, als man den Zyklus der erzählenden Malerei erfindet, wo eine Szene der anderen mit ständiger Wiederholung der wichtigsten Schauspieler folgt, wie üblicherweise auch die Erzählung verfährt74. Diese Zyklen wurden geschaffen, um den Inhalt einer Tragödie umfassender darzustellen, als es ein einfaches Bild auf einer Vase leisten konnte; sie beeinflussten stark die Wandmalerei – z.B. in Pompeji – und die Bildhauerei auf den Sarkophagen, wobei sie als Muster galten. Die erzählende Malerei fand ihre Anwendung in Fresken und Wandbildern.

      Im Gegensatz dazu stand die zyklische, in der Buchmalerei entstandene Erzählung. Diese Zyklen hätten vor der Erfindung des Kodex im 1. Jh. n. Chr. nicht entstehen können, denn nur dieses Format bot die Möglichkeit, die Wandmalerei mit ähnlichen Proportionen zu kopieren. Da fast alle Papyri mit Abbildungen verlorengegangen sind, „Byzantine miniatures made during the renaissance movement of the tenth century are of primary importance for the reconstruction of a branch of classical painting which is now almost totally lost“75.

      Hier ist die zu analysierende Abbildung:

      Abb. 4:

      Beispiele von ‚Eifersucht‘ nach Oppianos’ Über die Jagd

      Die Miniatur zeigt auf zwei Streifen einige aus Eifersucht entstandene Verbrechen, wie in Opp. C. III 244–248OppianosC. III 244–248 zu lesen ist. Weitzmann stellt jedoch fest: „Every one of its scenes can be related to certain Euripidean tragedies, the Aegeus, the Ino, the Peliades, and the Medea, and that the most likely model of the Byzantine miniaturist was an illustrated Euripides manuscript“76.

      Aus der Reihe der sieben von Oppianos erwähnten Helden77 werden in der Handschrift nur vier dargestellt, und zwar Theseus, Athamas, Themisto und Medea; weder Prokne / Philomela noch Thyestes werden in der Miniatur gemalt. In Bezug auf die erste Unterlassung glaubt Weitzmann78 den Grund zu kennen: Diese Geschichte kommt – soweit wir wissen – in keiner Tragödie von Euripides vor; in Hinblick auf den zweiten unterlassenen Kindesmord, nämlich den von Thyestes, denkt dieser Gelehrte, dass entweder die verlorene Tragödie Thyestes von Euripides ein anderes Verbrechen dieser mythologischen Figur darstellen könnte oder dieses Werk schon verschwunden war, als die Abbildung entstand.

      Im unteren Streifen werden zwei Verbrechen Medeas dargestellt: Das erste könnte der Tragödie Peliaden zugeschrieben werden; das zweite, dem homonymen Werk von Jasons Frau. Im oberen Streifen, der für diese Analyse weit interessanter ist, kann man von links nach rechts als erstes die Personifikation der Eifersucht (ὁ ζῆλος) erkennen, die mit ihrer rechten Hand einen Speer umklammert und mit der linken das adamantische Schwert, auf das sich derselbe Oppianos einige Zeilen vor dem oben erwähnten Zitat bezieht, herausfordernd zeigt. Als nächstes ist Theseus zu sehen, der seine Kleider und die von seinem Vater Aigeus hinterlassenen Waffen hervorholt, damit er von seinem Vater erkannt werden könne, wenn er in AthenAthen ankäme.

      Nach Theseus erwähnt Oppianos Athamas. In der Miniatur wird ein Mann in Rüstung dargestellt, der sein Schwert erhebt, um einer anderen männlichen verblutenden Figur, die gerade das Gleichgewicht verliert und kurz davor ist zu stürzen, den Gnadenstoß zu geben. Hier kommt man auf die zwei von Weitzmann genannten Fehler des Kopisten, der wahrscheinlich nicht mehr verstand, was er malte. Der Name ὁ Θησεὺς, der neben der ersten Figur steht, entspricht dieser nicht, sondern der vorhergehenden, die keinen Titel hat. Die Beischrift ὁ Ἀθάμας aber steht über der stürzenden Figur, die jedoch Learchos sein muss, denn kein literarischer Beleg weist darauf hin, dass Athamas durch ein Schwert gestorben sei. Weitzmann behauptet: „As in the preceding scene, the copyist was no longer aware of the meaning of the scene, and so he shifted the inscription of Athamas from the left to the right figure, after having already made a similar mistake in the case of the Theseus figure“79.

      Abgesehen von der m.E. Ähnlichkeit dieser Szene mit der Textstelle von Nonn.Nonnos von PanopolisD. X 52–63 D. X 52–63, wird Athamas mit Schwert schon in sehr alten Quellen beschrieben, wie z.B. bei Philostephanos, der erzählt, wie der Aiolide seine Frau Ino mit einem Schwert verfolgt. Dieser Autor, um bei dem Beispiel zu bleiben, erwähnt nicht, auf welche Weise Athamas seinen Sohn Learchos getötet hat; es ist deshalb glaubhaft, dass er mit demselben Schwert, mit dem er Ino bedroht, seinen Sohn umgebracht hat. Ähnliches kann man über das von Kallistratos beschriebene Bild (Callistr. XIVKallistratosCallist. XIV) und über Eust. ad Il.Eustathios von Thessalonikead Il. I 497, 17–498, 5 I 497, 17–498, 580 sagen.

      Weitzmann81 erklärt, man könne von der Kopie eines klassischen Musters nicht erwarten, dass Learchus in realistischer Weise als Hirsch dargestellt wird, was man eigentlich in anderen Miniaturen, die keinem klassischen Muster folgen, sehen kann: deswegen ist anzunehmen, dass sich die vorliegende Miniatur auf eine klassische, von einem byzantinischen Kopisten modifizierte Vorlage bezieht.

      Weitzmanns Erklärung stößt meiner Meinung nach auf einige Schwierigkeiten, die der deutsche Gelehrte übersieht. Wenn es um Learchos geht, worauf alles hinzudeuten scheint, dann kann man das seiner Hand entglittene Schwert nicht einordnen: Es gibt keinen literarischen Beleg, der berichtet, dass Learchos ein Schwert trug, als er von seinem Vater getötet wurde. Darüber hinaus hat man nicht den Eindruck, dass da eine Jagdszene dargestellt wird, sondern eher ein Duell zwischen zwei Kriegern mit ihren Waffen. Man könnte denken, dass sich Learchos seinem Vater widersetzt und mit ihm kämpft, aber das ist auch eine neue Verstehensweise in der überlieferten Tradition dieser Szene. Wenn es nicht die Beischrift ΑΘΑΜΑΣ gäbe, wäre es unmöglich, dieses Bild dem Aioliden zuzuschreiben. Das betrifft die anderen Figuren nicht; mit Hilfe von Oppianos’ Textstelle ist es einfach, die Person, die zwei im Bett liegende Kinder erstickt, zu identifizieren, obwohl sich der Kopist noch einmal geirrt hat und sie φιλομήλη82 nennt: Es handelt sich selbstverständlich um Themisto und den Mord ihrer Kinder. Im Fall von Athamas und Learchos hilft die graphische Darstellung dem Betrachter bei der Identifizierung nicht.

      Weitzmann fragt sich berechtigterweise, warum der Maler den Platz dieser Heldin in der Bilderfolge geändert und nicht nach Medea dargestellt hat; „the only reason we can deduce is its thematic connection with the preceding story of Athamas killing Learchus, which was also told, as we know from Hyginus, in the Ino of Euripides“83. Das bedeutet, dass Weitzmann – im Gegensatz zu Wilamowitz – glaubt, der letzte Absatz von Hyg. Fab. IVHyginusFab. IV komme in der Handlung von Euripides’ Ino vor. Weitzmann denkt auch, die kurze Andeutung von Porphyrion und PtoosPtoos Tod bei Nonnos lasse es als unwahrscheinlich erscheinen, dass sich der Maler von einem bebilderten Werke dieses Autors inspirieren ließ: „Thus we come one more to the conclusion that the Pseudo-Oppian painter used an illustrated Euripides as source, from which he took two scenes, each one illustrating an act of violence resulting from Jealousy. These two scenes do not follow the order of the drama, but this shift is obviously to be explained by the Pseudo-Oppian text which mentions Athamas first and Themisto later“84.

      Hierin liegen aber neue Probleme. Zunächst ist Hygins Hinweis auf Learchos’ Tod noch flüchtiger als der von Nonnos auf den Tod der Kinder Themistos. Zweitens hat man beim Lesen von Oppianos’ Text nicht den Eindruck, dass beide Figuren, Athamas und Themisto, Protagonisten ein- und derselben mythologischen Erzählung sind, weil Oppianos drei Heldinnen zwischen diese Personen schiebt. Man könnte sich aber vorstellen, dass der Maler derjenige ist, der sich von Euripides’ Werk inspirieren lässt, um sowohl Learchos’ Tod als auch Themistos Kindermord darzustellen. Allerdings könnte man erwidern, dass beide Darstellungen aus verschiedenen Tragödien, sogar von verschiedenen Autoren stammen könnten: Themistos Verbrechen könnte sich auf Euripides’ Ino beziehen, Learchos’ Tod – es scheint, dass Euripides nie darüber geschrieben hat – auf Sophokles’ ersten Athamas. Dieser letztere Fall ist aber noch unwahrscheinlicher, denn es ist schlüssiger, alle Abbildungen auf das Werk eines einzigen Tragikers zu beziehen.

      Allerdings ist diese Abbildung m.E. sehr wichtig, um den Inhalt der vierten