Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur. Manuel Caballero González

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Название Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur
Автор произведения Manuel Caballero González
Жанр Документальная литература
Серия Classica Monacensia
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823300045



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„Aber das Ende der Ino lässt sich schwer mit der Handlung vereinen, die in ThessalienThessalien spielt, und auf die Schluβsätze der Hyginfabel ist kein Verlaβ“47. Zielinski48 wiederum ändert das Ende der Tragödie: Dem Schreien von Themisto folgt ein ἀγών zwischen Ino und Athamas; Ino bereut ihr Verbrechen vor dem Chor und flieht mit Melikertes, als sie Learchos’ Tod erfährt. Dionysos sollte als deus-ex-machina erscheinen und die Metamorphose von Ino und Melikertes verkünden, indem er für die neuen Gottheiten einen Kult befiehlt. Zielinski denkt, dass dieses Werk als eine ‚Tragödie von Reue (paenitentia)’ angesehen werden kann, obwohl sich diese Erklärung durch kein Fragment begründen lässt.

      Webster aber hält Athamas’ Jagd für einen Teil der euripideischen Tragödie. Er plädiert dafür, dass der Beginn der Jagd durch den Hymnus des Chores für die Jägerin Artemis dargestellt werden sollte. In der Tat hätten diese Verse eine konkrete Funktion bei der Aufführung des Theaterstücks gehabt: „This may have masked the interval before the messenger returns with the news that Athamas has gone mad (like Herakles later in the H.frg.) and killed Learchos“49. Das Drama konnte mit einem Hinweis auf den Kult dieser Gottheiten enden, wie es auch in Hippolytos geschah. Schließlich meinen Jouan / Van Looy: „Ino envoya ensuite son fils aîné Léarchos à la recherche de son père Athamas“50; allerdings kann man diese Angabe weder in den erhaltenen Fragmenten des Werkes noch in der 4. Fabel von Hygin finden.

      Interessant ist es nun, zwei andere Rekonstruktionsversuche der Tragödie des Euripides zu analysieren.

      Der erste ist der von Welcker; er meinte, „die Ino des Euripides war ein Intriguenstück“51. Er denkt, dass Ino die Hauptfigur sei, die den Prolog spreche. Sie sei sich ihrer früheren Verbrechen bewusst, hoffe aber, dass all ihr Leiden bald aufhöre (Frg. 398 KannichtEuripidesIno:Frg. 398 Kannicht). Sie sei tieftraurig darüber, dass Athamas zum dritten Mal geheiratet habe, aber sie erwarte, dass ihre Kinder eine bessere Zukunft haben werden (Frg. 404 KannichtEuripidesIno:Frg. 404 Kannicht) und vertraue darauf, dass Athamas den adeligen Ursprung ihrer Nachkommen nicht vergesse (Frg. 405 KannichtEuripidesIno:Frg. 405 Kannicht). Nach dem ‚Parados‘ wendet sich Ino an den Chor (Frg. 399; 401; 400 Kannicht), der sie tröstet (Frg. 418, 408 und 409 KannichtEuripidesIno:Frg. 418 KannichtEuripidesIno:Frg. 408 KannichtEuripidesIno:Frg. 409 Kannicht). Dann führen Ino und Athamas ein Gespräch (Frg. 410 und 412 KannichtEuripidesIno:Frg. 410 KannichtEuripidesIno:Frg. 412 Kannicht); der Aiolide fordert Themisto auf, zur neuen Dienerin freundlich zu sein (Frg. 407 und 406 KannichtEuripidesIno:Frg. 407 KannichtEuripidesIno:Frg. 406 Kannicht52). Themisto ist aufgrund der Ankunft ihrer Rivalin (Frg. 422 KannichtEuripidesIno:Frg. 422 Kannicht) tief beleidigt, Ino versucht sie zu beruhigen (Frg. 415 KannichtEuripidesIno:Frg. 415 Kannicht). In diesem Moment enthüllt HypseusHypseus’ Tochter der neuen Dienerin ihren machiavellistischen Plan (Frg. 411 KannichtEuripidesIno:Frg. 411 Kannicht), dem Ino scheinbar folgt (Frg. 413 und 402 KannichtEuripidesIno:Frg. 413 KannichtEuripidesIno:Frg. 402 Kannicht). Ein Bote oder ein Pädagoge betritt die Bühne und berichtet den von Themisto unbeabsichtigten Mord an ihren eigenen Kindern (Frg. 403, 419, 420 und 414 KannichtEuripidesIno:Frg. 403 KannichtEuripidesIno:Frg. 419 KannichtEuripidesIno:Frg. 420 KannichtEuripidesIno:Frg. 414 Kannicht). Schließlich kündigt Dionysos Athamas’ WahnsinnWahnsinn (Frg. 421 KannichtEuripidesIno:Frg. 421 Kannicht), Learchos’ Tod und Inos Selbstmord an.

      Jouan / Van Looy sind der Ansicht, dass Welcker und Hartung sich irren, wenn sie Ino den Prolog zuschreiben: „Étant le seul personnage à connaître les antécédents en détail, Athamas est donc tout indiqué pour réciter le prologue“53. Ihre Rekonstruktion der Tragödie lautet folgendermaßen: Athamas spricht den Prolog aus, indem er von der unmittelbaren Rückkehr Inos und der verdächtigen Eifersucht Themistos erzählt. Im ‚Parados‘ taucht eine mit Lumpen angezogene Ino mit Athamas’ Dienerinnen auf. Ino, flebilis nach Hor. Ars PHorazArs P. 123. 123, aber „mais douée de « franc parler »“54, fleht Athamas an, aufgenommen zu werden. Nach diesem kurzen Dialog kehrt Athamas noch einmal in den Palast zurück. Die Dienerinnen erkennen ihre alte Herrin, die über ihre Schicksalsschläge klagt und sich fragt, wie sie wieder in Athamas’ Haus zurückkehren könne (Frg. 2, 3 und 4 JVL)55; der Chor versucht sie zu trösten (Frg. 5, 6 und 7 JVL)56. Er singt und tanzt, enthüllt aber Inos Identität57 nicht. In der folgenden Szene präsentiert Athamas Ino der Themisto als eine neue Dienerin; hier kommt der ἀγών zwischen Personen von hohem und von niederem Stand (Frg. 8, 9, 10, 11 und 12 JVL)58 zustande. Mit einem bittersüßen Ton (Frg. 13 JVL)59 nimmt Themisto die SklavinSklavin auf.

      HypseusHypseus’ Tochter wirft dem Aioliden ihrerseits vor, dass er weiterhin mit Ino geschlafen habe, wenn er sagt, er gehe zur Jagd. Themisto offenbart Ino ihre verbrecherische Absicht, um das Erbrecht ihrer Kinder zu bewahren (Frg. 14? JVL)60; Ino versucht Themistos ZornZorn zu mildern (Frg. 17, 15, 16 und 18 JVL)61; Themisto aber drängt sie dazu, das Geheimnis zu bewahren (Frg. 19 JVL)62 und Kadmos Tochter versichert ihr, dass sie ein Geheimnis zu bewahren weiß (Frg. 20 JVL)63. Themisto befiehlt ihr, die Kinder ihrer Rivalin schwarz anzuziehen64; Ino bleibt allein auf der Bühne und weint hoffnunglos; der Chor versucht sie zu trösten. Jouan / Van Looy fragen sich: „Annonce-t-elle à ce moment qu’elle fera le contraire en habillant ses propres enfants de blanc?“65.

      Nach einem Stasimos, von dem es keine Spur gibt, meldet ein Bote, und zwar entweder die AmmeAmme oder der Pädagoge, Athamas den Tod der Kinder Themistos und deren Selbstmord. An diesem Punkt verliert sich der Faden des Werkes. Es ist möglich, dass es einen kurzen Dialog zwischen Athamas und Ino gibt; ein zweiter Bote berichtet, wie der König seinen Sohn Learchos in einem Anfall von Wahnsinn getötet habe; Ino flieht mit Melikertes. Jouan / Van Looy denken, „il serait selon nous plus dramatique qu’Athamas arrivât lui-même avec le cadavre de Léarchos comme butin de chasse“66. Dann erscheint Dionysos als deus-ex-machina und kündigt Inos und Melikertes’ Divinisierung (Frg. *27 und 28 JVL)67 und Athamas’ Exil an. Jouan / Van Looy halten die Frg. 22, 23 und 24 JVL68 für enigmatisch; das Frg. 25 JVL69 könnte aus dem Bericht über Athamas’ Jagd kommen.

      In dem vorliegenden Buch wird die vierte Fabel von Hygin als zuverlässiger Beleg der euripedeischen Tragödie betrachtet.

      Wichtig ist dabei zu beachten, dass die I-T-Version so nur in dieser Fabel erzählt wird. Der Name Themisto ist nicht neu70, aber diese Geschichte wird früher nie erzählt. In Hyg. FabHyginusFab. I. I wird auch diese Version beschrieben, jedoch spielt Ino darin überhaupt keine Rolle. Themisto wird ja auch bei Nonnos von Panopolis sehr bedeutsam, aber dessen Zusammenstellung erfolgt sehr spät (5. Jh. n. Chr.), so dass sie von diesen Erzählungen ganz sicher beeinflusst wurde; darüber hinaus schenkt Nonnos dem Kernpunkt der Erzählung Hygins, nämlich der Strategie Inos, dass Themistos Kinder, und nicht ihre eigenen Kinder, getötet werden, keine Aufmerksamkeit.

      Es ist zulässig, bezüglich der Zuverlässigkeit der Fabel von Hygin für Euripides’ Tragödie folgende Fragen zu stellen: Inwiefern ist Euripides der Tradition dieses Mythos treu? Hat er diese Geschichte erfunden? Es ist m.E. schwer zu glauben, wie oben angedeutet wurde, dass ein so berühmter Tragiker im AthenAthen des 5. Jh. n. Chr., wo der mythologische Rahmen eine wichtige politische und soziale Funktion hatte, in einem Mythos Figuren, die den Zuschauern bekannt waren, ganz und gar ex nouo erfinden konnte. Alle Tragiker hatten ja in ihren Zusammenstellungen eine gewisse Freiheit, die Werke waren nicht frei von Neuerungen, aber es ist etwas anders, DIE GANZE TRAGÖDIE als Neues zu schaffen. Euripides hätte sich auf eine frühere LegendeLegende beziehen können und er hat sie ja auch in einigen entscheidenden Punkten geändert. Wie unfangreich letztendlich seine eigenen inhaltlich-gedanklichen Beiträge zu dieser Tragödie sind, ist unmöglich zu beantworten.

      In dieser Stelle muss auf die Beiträge von Prof. Kurt Weitzmann Bezug genommen werden. In drei seiner Werke erläutert er eine konkrete Abbildung eines ins 9. Jh. n. Chr. zurückreichenden Manuskripts71, nämlich die sehr reich bebilderte Handschrift von Oppianos Über die Jagd (Cod. Gr. 479), die sich in der Bibliothek von San Marco in Venedig befindet und damals dem Kardinal Bessarion gehörte. Die Kopie aber soll im 10. Jh. n. Chr. auf Anregung von Kaiser Konstantin VII. PorphyrogennetosKonstantin VII. PorphyrogennetosDe uirt. II 2272 angefertigt worden sein. Die Analyse dieser Abbildungen ist sehr bedeutsam für die Handlung der mit Ino betitelten Tragödie von Euripides.

      Wichtig