Wenn die Nacht in Stücke fällt. Daniel de Roulet

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Название Wenn die Nacht in Stücke fällt
Автор произведения Daniel de Roulet
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783038551799



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Gesten, um den Verlust, der sich ab­zeichnete, zu beschwören. Sie ta­ten, als würden Sie Valentine an sich drücken, sie liebkosen, dann stießen Sie sie hef­tig weg. Das Verlangen, sie ganz nah zu haben, war übermächtig. Hans ist erschro­cken, Ihre Wut beeindruckte ihn. Er hat Ihnen vorgeschlagen: Und wenn Sie eine Büste machten, von ihr? Sie haben innegehalten, ein Lächeln angedeutet: Hans, glaubst du, ich wäre dazu fähig? Nach kurzem Überlegen: Sollte ich nicht zuerst Vi­bert fragen?

      Da Hans fürchtete, Ihr Freund, der Bildhauer ­Ja­mes Vibert, könnte Sie umstim­men, hat er Sie überzeugt, dass Sie zu einer Skulptur fähig seien, auch wenn sie noch nie eine gemacht hatten.

      Nur keine Zeit verlieren. Hans hat Anweisungen bekommen, zum Laden an der Rue du Mont-Blanc, wo Sie Ihr Material kauften, zu gehen, sobald er öffne, alles zu beschaffen, was für eine Skulptur nötig sei und es zum Ein-Uhr-Zug zu bringen.

      So war alles vorbereitet. Sie waren bereit, Bildhauer zu werden. Geben Sie zu, am Morgen gingen Sie bei Ihrem Freund Vibert vorbei, um sich einige Ratschläge zu holen.

      Eine Woche lang haben Sie unter Hochdruck ge­­arbeitet. Sie hatten die Erlaubnis, Valentine eine halbe Stunde posieren zu lassen, während eine Kranken­schwester sie stützte, damit ihr Torso wie auch ihr Kopf aufrecht blieben. Danach machten Sie aus dem Ge­­dächtnis weiter.

      Jeden Abend erwartete Sie Hans am Bahnhof. Sie kamen erschöpft an. Selbst die größten Gemälde hatten Sie nie in einen solchen Zustand versetzt. Sie ­hatten gerade noch die Kraft, Seufzer auszustoßen, während Hans Sie bis zu Ihrer Wohnung am Quai du Mont-Blanc begleitete.

      Am Tag, als Sie Ihre Arbeit für abgeschlossen hielten, hat Hans Sie am Bahnhof mit einem Pferdewagen abgeholt. Aus Angst vor der leichtesten Erschütterung des Fahr­zeugs hielten Sie das wertvolle Paket, in feuchte Tücher eingehüllt, auf Ihren Knien. Sie berührten die Oberfläche des Bündels so zärtlich, als handle es sich um Valenti­nes Haar.

      In Ihrem Atelier unter dem Dach haben Sie die Skulptur vorsichtig ausgepackt, sie auf Augenhöhe auf ein Jutetuch gestellt. Hans war von der Ähnlichkeit mit Valentine überwältigt, Sie nicht minder.

      Sie haben den Abend mit Ihrem jungen Bewunderer verbracht, der behaupten wird, mit Ihnen nie mehr solche Momente erlebt zu haben. Es war, als sei Valentine anwe­send. Sie riefen sich die Anatomiestunden bei Professor Carl Vogt ins Gedächtnis, die Art, wie er die Leichen öffnete, um Ihnen zu zeigen, wie sie gebaut waren. Sie beeindruckten Hans, in­dem Sie von den Würmern redeten, die die Leichen fressen, und von Ihrer absoluten Überzeugung: Nur die Körper und die Erinnerung an Umar­mungen exis­tieren, die Toten haben keine Seele mehr.

      Am nächsten Morgen haben Sie einen Fotografen kommen lassen, da Sie fürchte­ten, die zerbrechliche Tonerde halte nicht lange. Selbst Materialist, fehlte Ihnen die Erfahrung, wie man die Materie und ihre Form konserviert. Sie warfen sich Ihre dop­pelte Un­fähigkeit vor: unfähig, Valentine unter den Lebenden zu halten, unfähig, ihre Büste zu bewahren.

      Die zwei Fotos, einzige Zeugnisse der verliebten Geste, gaben Ihre Arbeit schlecht wieder. Danach ha­ben Sie einen Abdruck gemacht, zuerst aus Gips, dann in Bronze. Vergeblich. Die Skulptur hat sich bis zur Lächerlichkeit verformt. Der Kopf hatte sich ge­streckt, die Nase auch, die Stirn senkte sich, die Lippen verzo­gen sich mit fei­nen Rissen. Als Sie die Schäden reparieren wollten, haben Sie neue produziert.

      Sie waren entmutigt, gezwungen, zu Ihren Zeich­nungen und Bildern zurückzukeh­ren. Sie hatten nur noch die glatten Oberflächen, um zu versuchen, das Leben zu­rückzuhalten, solange es in den Zügen Ihrer Liebsten weiter bestehen würde.

      Hans Mühlestein berichtet die Szene so gut, dass ich nichts ändern muss. Lange habe ich geglaubt, dass Sie zur Zeit dieser misslungenen Skulptur Valentine erst seit Kurzem kannten. Ich habe nur mit Mühe Ihre erste Begegnung mit ihr rekonstruieren können, weil ich der Aussage dieses Zeitgenossen geglaubt habe.

      Der frühe Tod

      Sie werden sehr früh mit dem Tod konfrontiert. Bei der Beerdigung Ihres Vaters auf dem Friedhof in La Chaux-de-Fonds sind Sie fünf Jahre alt. Er war tu­ber­kulose­krank, Schreiner, hatte sich ein Jahr zuvor mit seiner Familie in den jurassischen Ber­gen nieder­gelassen. Sie hatten gerade knapp Zeit gehabt, Französisch zu lernen. Ihr Vater hinterlässt vier Knaben, ein Mädchen und kein Geld. Sie, der Älteste, sind in Bern geboren.

      Margarete, Ihre mittellos gewordene Mutter, ­hei­­ratet drei Jahre später einen sieben­und­vier­zig­jährigen Witwer, der in Thun den Beruf eines Malerdekorateurs ausübt. Er ist Vater von vier Mädchen und einem Jungen. Das neue Ehepaar hat zusammen drei weitere Buben. Wenn ich richtig zähle, wart Ihr dreizehn Kinder. Sie verlassen diese Welt sehr früh. Jedes Jahr oder sogar mehrmals pro Jahr müssen Sie sich die Leiche eines Ihrer jüngeren Geschwister ansehen.

      Ihr Schwiegervater kann die Überlebenden nicht ernähren, beginnt zu trinken. Mit dreizehn Jahren übernehmen Sie seine Malerwerkstatt, während Ihre am Leben ge­bliebenen Brüder und Schwestern durch das Sammeln von Holz in den Wäldern ein bisschen Geld verdienen. Im Jahr darauf bricht die Tuberkulose auch bei Ihrer Mut­ter aus. Einer Frau von neununddreißig Jahren, von der Sie sagen, sie sei stark und fröhlich gewe­sen. Bevor sie krank wurde, sang sie den ganzen Tag. Nachts werden Sie von ihren Schmerzensschreien geweckt, gehen an ihr Bett, beobachten sie, wie Sie später das zunehmende Leiden auf dem Gesicht von Valentine verfolgen.

      Jeden Morgen steht Ihre Mutter auf, um sich um die Kinder zu kümmern. Bis zu jenem Tag im März 1867, Sie waren vierzehn Jahre alt. Sie arbeitet auf den Feldern außerhalb der Stadt, bricht plötzlich zusammen. Sie, das Kind Ferdinand, legen die Leiche auf einen Karren. Mit Ihren Brüdern und Schwestern bringen Sie sie nach Hau­se. Ich stelle mir den Umzug der Kinder vor, die weinend hinter den sterblichen Überresten ihrer Mutter durch die Vororte von Thun ziehen. Hat sie die Augen noch geöffnet oder hängen die Arme aus dem Karren? Danach wird keiner Ihrer Brüder das Erwachsenenalter erreichen. Was Ihre Kindheit betrifft, sagen Sie: «In der Fami­lie war der Tod allgegenwärtig. Ich glaube, am Ende hatte es immer einen Toten im Haus, als müsse das so sein.»

      Ihr Stiefvater erträgt den Tod seiner Frau nicht, bringt alle seine Kinder bei Ver­wandten unter. Sie, Ferdinand, vertraut er einem Lehrmeister an. Dann packt er seine Koffer und zieht nach Amerika. An­fänglich scheint es, er komme davon, er meldet sich bei den Hinterbliebenen. Zwei Jahre nach seiner An­kunft in Boston erfahren Sie, er sei gestorben.

      Ihr Leben beginnt im Zeichen des Todes. Man weiß, dass dieser uns einholt, aber in Ihrem Fall wird man sagen, er sei Ihnen vorausgegangen. Deshalb prägt er alle Ihre großen Werke. Niemand schaut ihm so oft ins Gesicht wie Sie.

      Die Begegnung

      Am 14. März 1913 hat die französische Regierung Sie anlässlich Ihres sechzigsten Geburtstags zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Berthe, Ihre Frau, hat Ihnen vor­geschlagen, in Paris eine Dankesvisite ab­zu­statten. Sie behauptete, das sei für Ihre Karriere nötig, und da Sie Ihrerseits einige Fragen zu Bildern von Courbet und Ingres stellen wollten, haben Sie sich auf die lange Reise gemacht.

      Nachts hatten Sie wenig geschlafen. Am Morgen, als der Botschaftssekretär Sie am Gare de Lyon abholen kam, haben Sie sich gefragt, was Ihnen nur einge­fallen war, auf diese Rückkehr nach Paris einzugehen.

      Das Tagesprogramm war für Sie organisiert worden. Erst am Abend, auf der Ter­rasse einer Brasserie in Montparnasse, haben Sie endlich Ihr Skizzenheft hervorneh­men können, um zu zeichnen, was Ihnen der Mühe wert schien in Paris: die Parise­rin­nen, ihre erstaunlichen Hüte, ihre elegante Erscheinung, zielstrebig in ihren Stie­feln. Sie waren allein. Berthe ­wartete im Hotel in der Nähe auf Sie. Der Kellner hat Ihnen eine Decke angeboten, die Sie abgelehnt ha­ben. Sie beobachteten die Hand­griffe eines Straßenla­ter­nenanzünders. Mit seiner Stange glich er einem Landsknecht mit seiner Hellebarde. Sind Sie Maler?, hat eine Frau gefragt, die auf dem Trottoir vorbeiging.

      Die Krümmung ihrer Nase ist Ihnen aufgefallen. Sie war ein Musterexemplar der Stadt, weiße Bluse, schwarzes Gilet, die Haltung ihres Kopfes hatte etwas Amerikanisches. Sie haben ihr nicht