Название | Die Steuersünder |
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Автор произведения | Peter Mathys |
Жанр | Языкознание |
Серия | TatortSchweiz |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783857919022 |
Dass die Information über diese Vollmacht zu ihm gelangte, verdankte Michael Kellenberger einem Zufall. Mit Generaldirektor Danuser von der Bank führte er ein Telefongespräch über eine komplizierte Transaktion, die innerhalb von vierundzwanzig Stunden für seine litauischen Klienten durchgeführt werden musste. Am Schluss, als alles klar war, sagte Danuser:
«Übrigens, die Vollmacht ist eingetroffen.»
«Welche Vollmacht?», fragte der Anwalt, ahnungslos.
Danuser entschuldigte sich für den abrupten Themenwechsel. «Ich spreche vom neuen Konto, das wir für Ihren Klienten Matter eröffnen durften, von der Vollmacht für Frau Goldstein. Ich finde es klug, dass in Ihrer Kanzlei noch jemand über das Konto verfügen kann. Es handelt sich doch um eine beträchtliche Summe. Und Ihre Assistentin ist ja eine kompetente Vertrauensperson.»
Kellenberger fand kaum Zeit, sich zu fassen. Tanja saß draußen im Sekretariat und tippte seine Korrespondenz. Auf seinem Pult stand der Morgenkaffee, daneben lag die Zeitung, in die er noch keinen Blick geworfen hatte. Und da kam Danuser und eröffnete ihm, dass Tanja Vollmacht über das Konto des Erpressers Matter führte. Er erwiderte vage: «Ja, da haben Sie recht, Herr Danuser.»
Nachher saß er reglos an seinem Schreibtisch und brütete über den Abgrund, der sich vor ihm aufgetan hatte. Normalerweise half ihm der Blick durchs Fenster auf den Rhein, seine Gedanken zu ordnen. Wenn sich die Sonne in den kleinen Wellen spiegelte, wenn ein Lastkahn flussaufwärts zog, kamen ihm die besten Ideen für die Probleme seiner Mandanten. Heute jedoch sah er durch den Fluss hindurch bis ans dunkle Ende der Welt. Tanja, das Luder! Zwischen Matter und ihr musste eine enge Beziehung bestehen. Sie war geschieden wie ihr Chef, auf sich selber angewiesen und entschlossen, nicht unterzugehen. Sie war fünfunddreißig, hübsch, liebenswürdig und gescheit. Ihr Anblick erfreute ihn, besonders wenn sie ihr blondes Haar offen trug. Über Privates sprachen sie kaum je, und als Frau war sie für ihn tabu, obwohl ihn manchmal angenehme Tagträume heimgesucht hatten. Und jetzt dies! Den Hintern sollte man ihr versohlen. Mit einem Riemen, wie ihn sein Vater manchmal benützt hatte.
Natürlich kannte Tanja seine sämtlichen Akten. Auch Plus Minus ag. Was, wenn Matter gar keine Meldung von der Fürstlichen Steuerverwaltung in Vaduz erhalten hatte? Wenn Tanja ihn darauf aufmerksam gemachte hatte? Dann wäre sie die eigentliche Urheberin von Matters Plan, Steuersünder zu erpressen. Allerdings wusste Kellenberger nichts über die Umstände der weiteren Einzahlungen auf das Konto bei der Universal Bank. Vielleicht hatte erst seine Situation Matter auf den Geschmack gebracht, nach weiteren Opfern zu suchen?
Bald war ihm klar, dass er eine Entscheidung zu treffen hatte. Aber welche? Weiterfahren, wie wenn nichts geschehen wäre, kam nicht in Frage. Sollte er mit Matter reden? Oder mit Tanja? Tanja entlassen? Mit der Vollmacht sein Geld wieder von Matters Konto abziehen und sich ins Ausland absetzen? Mit den zwei Millionen und dem, was sich noch auf dem Konto von Plus-Minus befand, ließ sich überall ein sorgenfreies Leben einrichten. Aber der Bank gegenüber war Matter sein Klient. Und Anwälte vergreifen sich im Allgemeinen nicht am Vermögen ihrer Klienten.
Es schauderte ihn beim Gedanken an einen derartigen Verstoß gegen sein Berufsethos und was sich Danuser dabei denken würde. Andererseits gehörten die zwei Millionen ihm, Matter hatte sie ihm unrechtmäßig abgenötigt. Am Ende bremste dieselbe Erkenntnis seinen Gedankenflug, die ihn bereits vor drei Wochen veranlasst hatte, Matters Erpressung nachzugeben: Michael Kellenberger lebte gerne in Basel, er liebte seine Stammkneipe Zum goldenen Sternen und er war nicht bereit, sich aus seiner Stadt vertreiben zu lassen. Wie er mit Tanjas Verrat umzugehen hatte, wusste er deswegen allerdings noch immer nicht.
Herbert Matter hatte, zumindest vorübergehend, wieder zu seinem unbeschwerten Optimismus zurückgefunden. Sylvia hatte seinen Auszug erstaunlich gefasst aufgenommen. Sie hatte vorgeschlagen, nach ein paar Monaten zu überprüfen, ob ihre Ehe wirklich nicht zu retten sei. Natürlich dachte er in seiner jetzigen Verfassung nicht daran, Rettungsversuche zu unternehmen. Im Amt ließen sich mit etwas Glück drei Wochen herausschinden, bis er Nägeli zur Akte Regenass Resultate vorweisen musste. Das Osterwochenende stand bevor, und Matter wusste, dass sein Chef für diese Zeit zwei Wochen Ferien auf einer Südseeinsel geplant hatte.
Er fing an, sich um die Anlage seines Vermögens zu kümmern. Der Einblick in die Vermögensverhältnisse vieler Steuerpflichtiger – seine Kunden nannte er sie – hatte ihm gezeigt, mit welchen Investitionen Geld zu verdienen war. Obligationen kamen nicht in Frage; sie waren langweilig, ihr Ertrag mickrig. Aktien versprachen da mehr Gewinn, aber nur auf lange Sicht. Es gab immer wieder Ausreißer, und kurzfristig waren Verluste nicht ungewöhnlich.
Aber Matter hatte keine Zeit, und er war ungeduldig. Seine Alpakazucht lockte ihn. Er hatte bereits per Mail mit der Züchtervereinigung in Wellington Kontakt aufgenommen. Die Auskunft war ermutigend: Es gab reichlich gutes Land, die Tiere gediehen hervorragend in Neuseeland, und der Bedarf nach ihrer Wolle und ihren Fellen, aber auch nach geeigneten Zuchttieren, stieg laufend an. Am besten wäre, Herbert Matter käme persönlich vorbei; das Sekretariat verfüge über alle einschlägigen Informationen, und der Vereinspräsident würde sich freuen, einen Schweizer mit Mut und Pioniergeist kennenzulernen.
Am Dienstagabend der Karwoche saß Matter in der Gaststube seines Hotels, vor sich ein kaltes Weizenbier, und studierte Finanzzeitschriften und den Wirtschaftsteil der «Neuen Zürcher Zeitung». Niemand kannte ihn, niemand störte ihn, und im Lokal wurde nicht geraucht. Er hatte seine Jacke über die Stuhllehne gehängt, den Krawattenknopf gelockert und den obersten Hemdenknopf geöffnet, eine Freiheit, die ihm seine Eitelkeit sonst nicht gestattete. Allmählich kristallisierte sich eine Anlagestrategie heraus, die ihm vielversprechend erschien.
Zufrieden lehnte er sich zurück und gönnte sich einen großen Schluck Bier. Er spürte, wie die Kühle sich langsam in ihm ausbreitete. Eins mit sich und der Welt dachte er an seine Alpakas; in Gedanken wuchs seine Herde bereits auf Hunderte von Tieren an, und schon ein einziges gesundes männliches Jungtier brachte mehrere tausend Dollar ein. Er sah sich auf dem Jeep seine Weiden abfahren, für die Pflege der Tiere würde es Angestellte geben. Herbert Matter hatte nicht im Sinn, wie Tanja es ausgedrückt hatte, in blauen Latzhosen seine Tiere selber zu striegeln und was sonst noch mit ihnen zu tun war.
Am Gründonnerstag, kurz vor Büroschluss, rief ihn Dr. Huber an. Matter hatte seine Akten bereits weggeschlossen und den Computer heruntergefahren. Die Stimme des Arztes vibrierte und klang noch spitzer, als er sie von seinem Gespräch in der Praxis her in Erinnerung hatte.
«Ich muss Sie sprechen, so rasch wie möglich.»
«Was ist geschehen, Herr Huber?», fragte Matter ungeduldig. Er hatte für das Osterwochenende im Tessin reserviert und freute sich auf einige intime Tage mit Tanja. Sie wollten in zwei Stunden abfahren.
«Nicht am Telefon.» Hubers Stimme tremolierte am Rande der Hysterie. «Ich muss Sie sehen.»
«Wenn es sein muss», erwiderte Matter. Er stellte sich das schmale Gesicht des Arztes vor und seine starren, fast unheimlichen grauen Augen. «Am Dienstagabend. Ich komme zu Ihnen in die Praxis.»
«Nein!» Huber schrie fast durchs Telefon. «Heute. Sofort.»
Matter erinnerte sich an den unerfreulichen Wortwechsel mit dem Arzt bei ihrem ersten Gespräch. Huber war am Durchdrehen