All das hier. Alexander Kamber

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Название All das hier
Автор произведения Alexander Kamber
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551492



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zwei Fenster, sie standen bei­­de gekippt. Ich öffnete sie ganz. Auf dem Boden lag ein schwarzer Rollkoffer. Er war offen, ich konnte einige ihrer Blusen erkennen und eins ihrer Sommerkleider, das darin lag. Anna war gerade mit dem Duschen fertig geworden, als ich ankam, und jetzt war sie im Bad.

      Ich war schon eine Weile nicht mehr hier gewesen, da ich wegen des Beins zu Hause festsaß.

      Mir fiel sofort eine kahle Stelle in ihrem Schlafzimmer auf, wo früher das Theaterplakat des «Dorian Gray» gehangen hatte. Ich wollte sie fragen, ob ich es haben könnte, wenn sie es selbst nicht mehr wollte. Sie kam aus dem Badezimmer, und ihr blondes Haar war nass und ganz dunkel, als sie zu mir trat und mich küsste. Sie trug ein blaues Sommerkleid aus dünnem Stoff. Es fühlte sich wie Krepppapier in meinen Händen an. Dann ging sie in die Küche und fragte mich, ob ich schon gegessen hätte, es sei noch Brot da, und ich sagte ihr, ich hätte auf dem Weg was gehabt. Sie machte sich ein Sandwich und sprach von einer Arbeitskollegin, die ihr auf die Nerven ging. Ich hörte eine Weile zu, bis mein Blick wieder auf den Koffer fiel, der auf dem Boden lag.

      «Wann sagen sie dir nochmal Bescheid?», fragte ich und deutete auf ihn. Ich merkte, wie mir warm wurde, wie sich etwas in mir ausbreitete und wie sich alles anspannte. Sie legte ihr Sandwich auf den Küchentisch.

      «Hast du die Zusage schon bekommen?», fragte ich. «Wieso sagst du mir das nicht? Wieso verheimlichst du mir solche Dinge immer?» Ich trat nah an sie heran.

      Sie schüttelte den Kopf. «Dieser Koffer gehört mir nicht. Mein Bruder hat ihn mir vorgestern vorbeigebracht. Ich wollte nur sehen, was ich alles hineinkriegen würde.»

      Ich sagte nichts. Dann berührte ich ihren Arm.

      «Es tut mir leid», sagte ich. «Lass uns das vergessen. Bitte. In ein paar Tagen bist du vielleicht schon in Schweden.»

      Sie sagte nichts.

      «Ich hatte eigentlich was ganz anderes vor», sagte ich. «Ich wollte mich bei dir bedanken. Die letzten Monate, die vielen Abende bei mir daheim. Das ist nicht selbstverständlich, ich weiß das. Das ge­­bro­­­chene Bein hat mir echt nichts mehr ausgemacht dank dir.»

      Jetzt kam sie zu mir und lächelte mich an.

      «Ich hab das gern gemacht.»

      «Ich glaub, ich brech mir auch noch das andere Bein.»

      «Du bist so ein Idiot.» Sie lachte.

      Anna fragte, ob ich mit ihr ein Bier teilen wolle, und ich sagte Ja. Wir setzten uns auf ihr Bett, tranken aus derselben Dose, und sie erzählte wieder von ihrer Arbeit. Irgendwann beugte ich mich vor und küsste ihren Hals. Sie seufzte. Es war ein Laut, der alles andere verstummen ließ, den Straßenlärm, der durch das offene Fenster drang, das Surren des Kühlschranks aus der Küche. Ihre Haut war warm und weich wie Samt. Ich sah die Schweißperlen auf ihrem Hals, der ganz leicht zu zittern schien, sodass sie tanzten auf ihrer blassen Haut. Ich küss­te die weiche Stelle hinter Annas Ohr, roch ihr Parfüm, den Duft ferner Orte, der sich mit dem Geruch von frischem Schweiß mischte. Ich fühlte mich zu­­frie­den, geborgen. Ich sah das Muttermal über ihrem Bauchnabel, berührte es mit meinen Lippen, fühlte die Wärme, spürte, wie sie dabei ganz leicht zusammenzuckte, und ich versuchte, mir das alles einzuprägen, diesen Geruch zu speichern. Ihr Blick wanderte über mein Gesicht, blieb an meinen Lippen hängen. Sie sah mir lange nicht in die Augen. Ich suchte ihren Blick, aber sie erwiderte ihn nicht, starrte immer noch auf meinen Mund. Der Raum um uns herum versank in diesem schummrigen Abendlicht, ein künstliches Licht, das durch die Vorhänge drang und alle Farben dämpfte.

      Wieder dieses Geräusch.

      Wir sahen beide hin. Mein Handy lag auf dem Nachttisch neben ihrem Bett. Dieses blauweiße Licht. Kurz schoss es mir durch den Kopf, es sei Finn, der mir schrieb. Wir hielten einen Moment inne, aber ließen das Handy liegen. Wir küssten uns wieder, und das Licht erlosch nach einigen Sekunden. Aber ich wusste, dass wir noch beide daran dachten.

      Die warme Luft staute sich unter der niedrigen Decke. Wir lagen noch eine Weile auf dem Bett, das Laken klebte an unseren Rücken. Anna hatte ihren Kopf auf meine Brust gelegt, ich spürte ihr Haar auf meiner Haut, hörte unseren schweren Atem. Ich hatte Lust auf einen Spaziergang, auf die Nachtluft, den kühlen Wind.

      Ich setzte mich auf und griff nach dem Handy. Es war keine Nachricht, es war eine Eilmeldung irgendeiner App. Mehrere Verletzte bei Anschlag in Stockholmer Altstadt. Motive unklar. Regierung er­­­höht Sicherheitsstufe. Ich dachte daran, dass Anna in einigen Tagen vielleicht schon in Schweden sein würde, und drehte mich nach ihr um. Sie lag auf ihrer Seite, das Leintuch verdeckte ihre Brüste, ihre Beine lagen frei. Ihre Augen waren halb geschlossen, sie war kurz davor einzuschlafen. Ich ließ mich wieder auf das Bett sinken und legte meinen Arm um sie, und sie drückte sich an mich. Ihr Nacken strahlte Wärme aus wie ein kleiner Heizkörper. Ich ließ meine Hand über ihre Hüften gleiten und küss­te ihren Nacken. Und ich horchte, konnte ihren Atem hören, regelmäßig, ruhig. Ich sagte ihr nochmals, dass es mir leid tat. Sie antwortete nicht. Sie war eingeschlafen.

      Ich sagte mir selbst, dass ich einen Wecker stellen sollte, aber dann vergaß ich den Wecker und den nächsten Tag und all das, was mir bevorstand. Ich dachte an die glänzenden Schweißperlen auf Annas Hals, an dicke Briefumschläge, an blau ge­­färbten Schnee.

      3

      Als ich am nächsten Tag aufwachte, war Anna weg. Die Wohnung leer, abgedunkelt, friedlich und still. Nur die Luft war wahnsinnig trocken, ich spürte ein Brennen in den Augen. Ich setzte mich auf. In ein paar Stunden fuhr mein Zug, ich musste noch die Tasche aus meiner Wohnung holen. Mit der Zahnbürste im Mund kochte ich einen Kaffee. Annas Sandwich von gestern Abend lag immer noch angebissen auf dem Küchentisch.

      Auf dem Weg zu meiner Wohnung erinnerte ich mich, dass ich von Finn geträumt hatte. Und von Ben und Nessa, die ich heute wiedersehen würde.

      Wir waren auf einer Feier in Hamburg, auf dieser Studentenparty, wo wir an einem der letzten ge­­­meinsamen Abende im Schanzenviertel wirklich gewesen waren und irgendein Typ durchdrehte und mit der Faust eine Scheibe einschlug.

      Ich stand mit Ben in einer Ecke des Raums, ein Glas in der Hand. Dann drehte ich mich zu Ben um und dieser, der kräftig, fast Furcht einflößend breit gebaut war, sah auf einmal zerbrechlich aus und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Er wirkte abgemagert und blass, trug ein weißes T-Shirt, und ich bemerkte erst nach einiger Zeit, dass es blutverschmiert war. Das Blut lief aus seiner Nase. Ben sprach mit mir, und ich schaute auf seinen Mund, der sich bewegte. Aber ich verstand ihn nicht, sah bloß das Blut, das sich weiter ausbreitete. Ich sah das Rot auf dem weißen Stoff, die Farben der Schweiz. Ben wischte das Blut nicht weg, er redete einfach weiter und alles lief ihm übers Kinn. Ich fragte mich, ob er verrückt geworden sei, und starrte einfach weiter auf sein T-Shirt. Er redete immer noch und ich verstand kein Wort und wusste auch nicht, weshalb ich ihm noch zuzuhören versuchte. Dann war er verschwunden, und ich saß plötzlich mit Nessa auf einer Couch, sie sah gelangweilt aus, und Techno-Musik plärrte aus den Boxen. Der ganze Raum schnaufte, schwitzte. Mein Glas war leer und ich dachte, dass ich betrunken war. Nessa trug einen Kapuzenpullover mit einem Bild von Bob Marley. Sie hatte eine kurze Hose an und eines ihrer Beine lag ausgestreckt auf meinem Schoß. Auf ihrem Oberschenkel das Tattoo einer Rose mit langem Stiel. Ich fragte mich, wie spät es war, und spürte ihr Bein, das sich irgendwie leicht und warm anfühlte, und mir war, als sei ich gelähmt.

      Dann stand ich inmitten der feiernden Leute. Finn stand auf neben mir und sah gut gelaunt aus, bewegte sich dabei zum Takt der Musik, und seine dunklen Locken wippten hin und her. Er hielt eine Flasche Schnaps in der Hand und bedeutete mir da­­mit mitzukommen. Wir kamen in einen Gang, wo er auf eine der Türen zusteuerte. Das Zimmer war leer und sah aus wie eine Art Büro mit Schreibtisch und Buchregal, auf dem Boden lag ein kit­schi­ger Orientteppich, dunkelrot, lila, golden. Finn be­­trat den Raum, setzte sich auf diesen Teppich und stellte die Flasche sorgfältig neben sich hin. Er sah aus wie eine Figur aus einem Märchen, unecht.

      «Du bist der verdammte Aladin», sagte ich.

      Er grinste.

      «Wo