Sechs Geschichten. Gottfried Horbaschk

Читать онлайн.
Название Sechs Geschichten
Автор произведения Gottfried Horbaschk
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783990109939



Скачать книгу

zu dieser Stunde stellte sich bei manchem von uns ein schnelles Hungergefühl ein. Schnitzelsandwich! Diese amerikanische Spezialität wurde hier im Lokal saftig und sehr schmackhaft als einzige warme Speise vorgehalten. Appetit darauf, sodass uns das Wasser im Mund zerlief, hatten wir mächtig, aber kein Geld. Na ja, die Hilde bemerkte unser Verlangen und entschloss sich dann schon mal, für die Runde ein paar davon in die Pfanne zu schmeißen. Und wenn sie wegen zu hohen Betriebs nicht dazu kam, erledigten wir das in der Küche auch selbst. Und plötzlich tauchte die Hedi wieder im Lokal auf, erstanden wie Phönix aus der Asche. Noch etwas benommen, aber blitzschnell hellwach, wenn sie den Braten im wahrsten Sinne des Wortes roch oder gar die Reste davon noch sah und im Gegenzug dazu ihren ausgeraubten Kühlschrank in Augenschein genommen hatte. Mindestens die zweite Schublade der Kraftausdrücke wurde aufgemacht und es waren nun wir, über die sich eine riesige Tirade der Beschimpfungen ergoss. Ja, es wurde wieder laut im Lokal, sogar die GI’s hoben die Köpfe in unsere Richtung, auch wenn sie die Schandwörter nicht alle verstanden. Wir waren es jetzt, die ein hämisches Grinsen der anderen Gäste wegstecken mussten. Wir haben es überstanden, die Hilde auch! Das Geschäft musste weiter laufen, „the show must go on“. Der Abend war noch lang und bis zur Polizeistunde gab es noch genügend Möglichkeiten, den Verlust wieder einzuholen oder gar einen guten Schnitt hinzuzufügen.

      Dazu dienten auch Würfelspiele, wozu die Hedi allzeit bereit war, ja gerne auch zu solcher Art von Zerstreuung aufforderte. Gespielt wurde um Schnaps, sofort zu trinken. Der Verlierer zahlt. Der Gewinner war natürlich immer der Wirt, in unserem Falle die Wirtin. Nur schade (für die Hedi), dass es dafür limitierende Faktoren gab, zum einen, dass die Sache für den oder die Mitspieler zu sehr ins Geld ging, zum anderen, dass die Wirtin es sich nicht noch mal leisten konnte, wieder auf ihr Zimmer gebracht werden zu müssen. So manches Mal geschah es aber doch…

      Der Vastl spielte im „Schwarzen Ritter“ eine Nebenrolle, vorwiegend im Hintergrund agierend. Er fungierte als eine Art Hausdiener, den man nur selten zu Gesicht bekam. Man könnte ihn als den Prototypen einer verlorenen Existenz bezeichnen. Er galt als Alkoholiker (und war es wohl auch, zumindest früher, als er schon mal bessere Zeiten gesehen hatte), ansonsten ein ruhiger, unauffälliger und bescheidener Typ. Er hatte sein Quartier bei freier Kost und Logis im Hof-Teil des Anwesens, eine Mischung aus Hinterzimmer und Kellerloch. Seine Aufgaben waren, Holz und Kohlen zu schleppen, die Öfen am Brennen zu halten, Bierkästen und anderweitige Getränke heranzuschaffen und des Morgens – im Bedarfsfalle auch zwischendurch am Tage – das Lokal zu reinigen. Solches war nicht in jedem Falle eine appetitliche Angelegenheit. Selten saß er auch mal in seiner abgerissenen Kleidung bei den Gästen, was aber nicht gerne gesehen wurde. Wenn er auch nicht viel erzählte, unterlief es ihm doch zwischendurch, dass er in einem unbeobachteten Moment etwas aus der Schule plauderte.

      Zum Beispiel über die Wirtsfamilie und über Herrn S., den „Herrn des Hauses“, den man ebenfalls nur recht selten in der Gaststube antraf und der dort auch nicht gern gesehen wurde. Er war Trinker, allerdings vom lauten, aufbrausenden Typ, befand sich zudem bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Alkoholkrankheit, in dem sich schon erhebliche psychische Veränderungen festgesetzt hatten, insbesondere Gereiztheit und Aggressivität. Meist frönte er seiner Sucht in den Privatgemächern, soweit er überhaupt noch etwas vertrug. Gelangte er hin und wieder dann doch einmal ins Lokal, zum Beispiel, wenn sich seine Gemahlin eine Auszeit nehmen musste, kam der Streit gleich mit. Es wurde erst mal auf alles und jedweden nach Kräften geschimpft, dazu mit eigenen Großtaten (wohl früherer Zeiten) reüssiert und überdies war er von einem zwanghaften Bedürfnis durchsetzt, hier endlich einmal „Ordnung“ (welche auch immer) zu schaffen, was keiner Ernst nahm und natürlich von Grund auf misslang. Das ging so lange, bis die Hedi wieder in der Tür stand und der „Chef“ mit einem kurzen Wink in Richtung Privatgemächer zurückgepfiffen wurde.

      Fast jeden Abend konnte man unseren lieben Freund C. am Stammtisch antreffen, seines Zeichens Theologe in einem sehr hohen (mathematisch nicht näher bezeichneten) Semester, der von hier aus die Sünde, das Laster, Hedonismus und Promiskuität praxisnah studierte und sich mit einigen Bierchen über die Trennung von seiner Verlobten im fernen Kiel tröstete. Sorge musste er unentwegt dafür tragen, dass sein ebenfalls im fernen Kiel residierender Bischof nicht von seinem Umgang hier erfuhr, wovon ihm allerdings schon vage Kunde zugegangen war, weshalb unser Freund fortlaufend um den Erhalt seines Stipendiums bangen musste.

      Einen unbezwingbaren Drang überkam unseren Freund M. regelmäßig, sobald er die Hilde erblickte. Er strotzte nur so vor Kraft, war im bürgerlichen Leben Capo auf dem Bau. Sie dagegen besaß ein wohlgerundetes Hinterteil und das musste hinein ins Spülbecken, das an sich für die Biergläser gedacht war. Passte gerade noch. Natürlich wehrte sich die Hilde mit Händen und Füßen, strampelte, kreischte und quietschte. Es war jedoch ein ungleicher Kampf und wenn die Hedi nicht dazwischen ging, endete dieser mit einem nassen Hintern der lieben Hilde. Die Münzen des Wechselgeldes mussten danach aus dem Wasser wieder herausgefischt, die Scheine in der Küche zum Trocknen ausgelegt werden, solide Dollar- und DM-Scheine konnten das ab, ansonsten war die Prozedur immer wieder ein fröhliches Spektakel, eine lustige Zerstreuung mit hohem Unterhaltungswert.

      Man könnte an dieser Stelle noch so manchen Gast oder bunten Vogel skizzieren, vielleicht auch ein paar Damen aus dem vorderen Teil der Gaststube, in dem sich die Tanzfläche befand, mit denen sich allerdings vorwiegend die farbigen Gäste abgaben und dabei auch andere Interessen verfolgten als unsereins.

      Überdies ist es an der Zeit, wie oben versprochen, einige typische Abläufe auf dieser nicht alltäglichen Bühne zu schildern. Es wurde getrunken, gelacht, geblödelt, gefrotzelt, geschäkert, gestritten, gegrölt, vielleicht auch mal eine Runde geschlafen. Dabei spielte sich das Geschehen bei Weitem nicht nur an den Tischen ab. Ein ständiges Wiegen und Wogen durchzog das Lokal. Vorwiegend dessen vorderen Teil, den mit der Musikbox, beherrschte ein immer währendes Movement vor allem der Farbigen, deren Ding es nicht war, ruhig auf einem Stuhl zu versauern. Andere taten es ihnen gleich.

      Auf der Tanzfläche hingegen wiegten sich eng umschlungen die Paare zu den sich immer wiederholenden Lovesongs von Pat Boone, Elvis Presley, Mary Hopkins, Frank Sinatra, Conny Francis, Brenda Lee, The Platters u. a. Dazwischen bewegten sich – mehr oder weniger im Rhythmus – auch solche, die keine Partnerin gefunden hatten oder die sich erst eine erobern mussten. Überhaupt war es ein ewiges Kommen und Gehen, denn für nicht wenige war der „Schwarze Ritter“ nur eine Station auf einer Tour durch alle möglichen Spelunken der Stadt. Und wie fragte doch Luis Armstrong in seiner „New Orleans Function“ so treffend „…Oh, didn’t he ramble ?“. Ja, sie taten es und waren glücklich dabei.

      Jedoch, wir alle wissen, das Glück ist endlich. So auch hier. Hatte dann doch mal einer zu viel davon genossen, benahm sich allzu ungebührlich oder war vielleicht zu solchem gar nicht mehr in der Lage, da er auf einer Bank oder dem Tisch schlief, vielleicht sogar darunter lag, musste von Seiten des Lokals – sicher erst nach einer wohlwollenden Toleranzphase, insbesondere solange der zahlende Gast noch ein paar Dollar im Sack hatte – nun doch interveniert werden, wofür als Akteure natürlich nur die Damen des Hauses in Frage kamen und zu ihrem Vorteil auch einige Übung in derartigen Aktionen vorzuweisen hatten. Vorhang auf! Nach allen Regeln dieser Kunst wurde der Ärmste dann nicht immer nur mit sanfter weiblicher, na ja, je nach Lage der Dinge und verbliebener Wehrhaftigkeit des Betroffenen auch mit brachialer Gewalt aus dem Lokal gebuchst. Die Szene wurde begleitet von der ganzen (bekannten) Tirade von Kraftausdrücken und Beschimpfungen der Hedi wie von einem aus dem Notenblatt gesprungenen Kontrapunkt. Sie scheute sich gegebenenfalls auch nicht, mittels eines finalen Trittes in den Hintern des Betrunkenen dem Akt sozusagen einen Schlussakkord aufzusetzen. Applaus aus dem Publikum! Triumphierendes Lachen! Jetzt gab’s erst mal ‚ne Pause. Eine kurze nur. Die Hedi hatte die Bühne noch nicht verlassen, schon ging die Schwingtüre erneut auf und es hatten sich in dieser tückischen Einrichtung zwei neue Gäste verstolpert und, da in noch schlechterem Zustand als der gerade Hinausgeworfene, blieb einer davon gleich am Boden liegen. Kurzes Atemfassen und „Da Capo“. Der zweite Akt konnte beginnen, die Vorstellung war noch nicht beendet. Die ergötzliche Unterhaltung des Publikums ging weiter…

      So nahm der Abend seinen Verlauf, bis die Stunde der Staatlichkeit erreicht wurde, in unserem Falle zunächst die der amerikanischen Militärpolizei. Aber dazu kam es natürlich nur