Название | Kunst des Lebens, Kunst des Sterbens |
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Автор произведения | Yungdrung Wangden Kreuzer |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867813464 |
Wenn aber, generell gesprochen, der besondere Sinn und Wert des Menschseins und die Richtung und Möglichkeit seines geistigen Wachstums und einer gelungenen Selbstentwicklung dem einzelnen Menschen nicht richtungsweisend und prägend in seiner Familie und Gesellschaft vorgestellt und vorgelebt werden und wenn diese nicht mehr das Leitbild für die mögliche Höhe einer Kultur und ihrer Bildung sind, sondern eine unter vielen möglichen Anschauungen und Meinungen, so verbreitet sich ein Gefühl der Orientierungslosigkeit, der Sinnlosigkeit und Beliebigkeit, und ein inneres und äußeres Chaos sind die Folge.
Die profitorientierte Werbung leitet das stets zerstreute und nach einem Inhalt und Sinn suchende Denken und Begehren in allen Medien auf Wunschobjekte, Leitbilder und Selbstbilder um, die Abhängigkeit erzeugen und für deren Erlangung, Pflege und Erhaltung ständig gearbeitet werden muss. Wenn sie nicht erlangt, erworben und aufrechterhalten werden können, entstehen daraus Komplexe, Frustration, Unzufriedenheit, Neid und andere Störgefühle. Die Folge ist vielfach eine fortschreitende »Verschmutzung« der Innenwelt, die mit der Verschmutzung und Vergiftung der Umwelt einhergeht, die gleichsam ihr für alle sichtbarer Ausdruck ist.
Nun ist es für die meisten immer schwer gewesen, dem Haupttrend des kollektiven Denkens ihrer jeweiligen Gesellschaft nicht zu folgen; und leider ist es heute fast unmöglich geworden, sich dem Einfluss der ununterbrochenen Werbung, Prägung und Konditionierung durch die Massenmedien zu entziehen. Ja, eine ständige Erreichbarkeit und ein ständiges Online- und Angeschlossensein an die Medien wird in der »Informationsgesellschaft« nun sogar als unabdingbar dargestellt und gefordert.
Ein Strom konfuser und vielfältig divergierender Informationen und Meinungen formiert heute den Menschen, ob er es will oder nicht; und eine flutartige Menge von Informationen ist für alle sichtbar dabei, eine wirkliche Bildung des Menschen im klassischen Sinn zu überwachsen. Diese scheint durch eine auf technischem, pharmakologischem, psychologischem und neurologischem Wissen basierende Programmierung und Gleichschaltung ersetzt zu werden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind nun die technischen Möglichkeiten vorhanden, dass dies auf der ganzen Welt geschieht.
Es ist eigentlich ein recht wüster und verwirrender Traum, der dem Menschen nun auf allen Kanälen zur Unterhaltung und als »In-Formation« angeboten wird. Und es ist, glaube ich, wichtig, die Art dieser »Formation« und die Probleme, die daraus für jeden Einzelnen und für die ganze Welt entstehen, mitfühlend verstehen zu können. Vor allem, wenn man täglich mit Menschen zu tun hat und bestrebt ist, ihnen in dieser Zeit, da die Toxine des Geistes stark anwachsen, therapeutisch zu helfen.
Die falschen Versprechungen, ein glückliches Leben durch den Konsum bestimmter Waren und Situationen zu erlangen, führen in die Irre, denn sie binden den Menschen und halten ihn von der Erkenntnis des eigentlichen Sinns seines Lebens ab. Immer neue Wunschobjekte werden ihm vor Augen gestellt und erzeugen neue Wünsche und in der Folge Unzufriedenheit. Durch zu intensiven Medienkonsum können falsche Ängste und Feindbilder entstehen, die zu einer diffusen Nervosität und Unsicherheit führen.
Natürlich war es auch in früheren Zeiten nicht einfach, zu Selbsterkenntnis, einem sicheren moralischen Urteil und geistiger Unabhängigkeit zu kommen und aus dem Traum des eigenen Denkens, Wünschens und Befürchtens zu erwachen. Die eigentlichen Ursachen des persönlichen und des kollektiven Leids und Unbehagens – sie liegen im Geist eines jeden von uns, und sie sind immer die gleichen: Unvernunft, Ignoranz, Egoismus, geistige Unruhe, Existenzangst, Anhaften und Aversion, doch heute erscheint es durch die enge Anbindung des persönlichen Denkens an die Medien und Kommunikationsmittel noch um vieles schwieriger, sich von der Zwanghaftigkeit und Zerstreutheit eines ständigen Konzeptualisierens und Begehrens frei zu machen.
Weil aber unser Geist seiner Natur nach eigentlich frei ist und all seine Wahrnehmungen und Gedankenkonstrukte ebenso natürlich vergänglich sind, ist es in jedem Augenblick theoretisch möglich, aus dem nur scheinbar wirklichen Traum des jeweiligen Zeitgeists und aus dem ihn begleitenden Denken zu erwachen und plötzlich luzide zu werden. Wenn wir im Traumzustand glauben, gleich in einen Abgrund zu stürzen, geschieht häufig, durch die Todesangst ausgelöst, ein Erwachen zu momentaner Luzidität (vom spätlateinischen luciditas für »Helle, Klarheit«), und wir erkennen, dass wir gerade träumen. Auch steht unser Denken völlig still, wenn wir durch etwas plötzlich geschockt sind oder wenn wir im Tiefschlaf, in einem Zustand tiefer und seliger Entspannung, alle Träume und Gedanken von Ich und Welt völlig vergessen.
Luzidität und Freiheit von Gedanken sind uns als Erlebnisformen demnach möglich, aber unser ganz normales, menschliches Problem besteht darin, dass wir momentan entweder wach sind und angespannt vielen Gedanken folgen, oder wir beginnen zu entspannen, finden etwas geistige Ruhe und werden dabei aber schläfrig und verlieren das Bewusstsein. Wir pendeln gewissermaßen zwischen den beiden Extremen Bewusstsein und Unbewusstheit, und in beiden mangelt es uns an Luzidität. Wegen dieses Mangels ist Bewusstsein üblicherweise spannungsgeladen und wirkliche Entspannung eigentlich nur durch den Verlust des Bewusstseins möglich.
Die hohe, erlösende Kunst der Dzogchen-Meditation besteht darin, völlig gewahr und völlig entspannt zu sein. Die möglichst beständig aufrechterhaltene Luzidität wird dann mit der Zeit alle Bewusstseinsschichten durchdringen. Wie das erreicht werden kann, wird in den späteren, auf die kontemplative Praxis der Geistesschulung bezogenen Teilen dieses Buches en détail erklärt werden. Es mag an dieser Stelle genügen zu sagen, dass es möglich ist, in der Kontemplation einen Grad der Entspannung zu erreichen wie im Tiefschlaf und trotzdem völlig gewahr zu sein. Hier liegt der Grund, warum in der visionären Praxis des Dzogchen das eigene innere Licht so stark hervortreten kann wie sonst nur im Schlaf und im Tod, und das in einem Zustand völliger Wachheit und rezeptiver Offenheit aller Sinne.
Der authentische Zustand leeren Gewahrseins ist frei vom Denkbewusstsein und frei von der dumpfen, fühllosen Trance der Unbewusstheit. Wenn wir die Fähigkeit entwickeln, im Wachzustand völlig entspannt und ohne alle Konzepte zu sein, werden wir am Ende des Sterbeprozesses frei von Bewusstsein mit dem klaren Licht reinen Gewahrseins verschmelzen können und Buddhaschaft erreichen. Je länger wir bereits jetzt in diesem »natürlichen Zustand des Geistes«, frei von Gedanken, bleiben können, umso größer ist die Chance dieser endgültig befreienden Verwirklichung im Tod. Wir werden über diesen Zusammenhang in den späteren Kapiteln noch oft und ausführlich sprechen.
Gelassenheit, Mitgefühl und Luzidität
Und damit kehren wir zurück zu dem, was ein gutes Leben eigentlich ausmacht und ermöglicht: die Kultivierung von Gelassenheit, Mitgefühl und Luzidität.
Das Achten auf persönliche Psychohygiene und die Anwendung von Meditation und Entspannungsübungen zur Stressreduktion sind zu einer lebensnotwendigen Gegenmaßnahme geworden, um dem sich aufbauenden inneren und äußeren Druck überhaupt standhalten zu können. Meditation kann im gedanklichen Chaos Ordnung schaffen, kann psychisches und physisches Leid lindern und heilen, und sie kann als Teil einer umfassenden Geistesschulung, wenn sie kontinuierlich und systematisch geübt wird, schließlich sogar die eigentlichen Ursachen unseres Leids, die tief in unserem Unterbewusstsein liegen und uns konditionieren, beseitigen und damit auch den Zustand eines bleibenden, von äußeren Umständen unabhängigen Glücks verwirklichen.
Wie gesagt: Kein fühlendes Wesen will leiden. Alle Wesen suchen das Glück oder das für sie Angenehme, aber leider meist auf Wegen, die sie von Objekten abhängig machen und Sucht erzeugen und damit notwendigerweise zu neuen Leiden führen und den Zustand des Mangels, der Unfreiheit und geistigen Unruhe damit fortsetzen. So heißt es auch bei Seneca: »Wenn du glücklich sein willst, vermehre nicht deine Besitztümer, sondern verringere deine Wünsche.« Durch die Übung der Meditation erfährt der Geist häufiger Zustände von entspannter Ruhe, von wunschlosem Glücklichsein und eine nichturteilende, verständnisvolle Klarheit, die authentische Selbsterkenntnis ermöglicht. Durch die Einübung einer gelassenen, an nichts haftenden Wachheit und ruhigen Achtsamkeit gegenüber den eigenen Gedanken wird man dieser erst wirklich gewahr, durch Gewahrsein wird man frei von ihnen, und irgendwann steht