Das Gift an Amors Pfeil. Marnia Robinson

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Название Das Gift an Amors Pfeil
Автор произведения Marnia Robinson
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783867813914



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ausrichten mussten, wenn das stimmte, was wir gelernt hatten. Wir mussten uns wieder auf das Geben einstimmen anstatt auf das Nehmen, auch wenn es bedeutete, durch eine weitere unangenehme Phase des Rückzugs hindurchgehen zu müssen. Wir hatten beide ziemliche Angst. Wie Will sagte: „Ich glaube, ich schaff das nicht. Ich weiß einfach nicht, wie ich dich anfassen soll.“

      Schweren Herzens zogen wir uns wieder etwas an, wenn wir abends ins Bett gingen, und fingen wieder von vorne mit den Austauschübungen an. Konnte es wirklich sein, dass sie zweimal wirken würden, insbesondere in unserem Gemütszustand? Hatten sie überhaupt jemals gewirkt? Alles, was wir im vergangenen Jahr an Positivem genossen hatten, wurde in Frage gestellt. Vielleicht hatten wir uns etwas vorgemacht. Vielleicht war unsere Harmonie lediglich das Ergebnis einer vorübergehenden Flitterwochen-Neurochemie gewesen. Vielleicht waren Wills Sucht und seine Depression aus anderen Gründen zurückgekehrt, die gar nichts damit zu tun hatten. Vielleicht gab es gar keinen Ausweg aus der biologischen Bestimmung. Ich fühlte mich dazu verdammt, eine „alte Hexe“ zu werden. Ich war sicher, dass die Ringe unter meinen Augen, die in den vergangenen Wochen aufgetaucht waren, hießen, dass es keinen Ausweg gab. Selbst mein Teint hatte eine neue Blässe angenommen.

      Am Anfang stand die Zeit still. Obwohl wir beide versuchten, so fürsorglich und liebevoll wie möglich zu sein, fühlten sich die Übungen staubtrocken an. Will strengte sich total an, um seinen Schalter nicht auf sexuellen Hunger umzustellen. Er beschrieb es so, dass er meinen ganzen Körper so berührte, als sei keines meiner Körperteile wichtiger als ein anderer Teil, anstatt sich wie vorher auf seine Lieblingsstellen zu konzentrieren. Er entschloss sich dazu, sich auf meine Reaktionen auf seine Berührungen einzustimmen, anstatt sich auf seine eigenen Empfindungen zu konzentrieren.

      Ich gab mir alle Mühe, liebevoll zu sein und seine Zuwendung zu erwidern, selbst wenn ich müde war. Nach ein paar Tagen lichtete sich die Stimmung bei uns, doch anfangs fühlte es sich wirklich an wie die Kameradschaft zwischen dem Tode geweihten Gefangenen, die ihre letzte Mahlzeit miteinander teilen. Doch wir schliefen definitiv wieder zunehmend besser, und vor allem im gleichen Rhythmus.

      Nach sechs oder sieben Tagen kamen wir an einen Wendepunkt. Will meinte, dass er sich wesentlich ruhiger und entspannter fühlte. In unseren „Ich liebe dich“ schwang neue Begeisterung mit, und wir lachten wieder viel mehr miteinander. Sowohl die „Geschlechtsverkehr-Nächte“ als auch die „Kuschel-Nächte“ nahmen wieder ihre ursprüngliche Zärtlichkeit und Zufriedenheit an. Wir fühlen uns wieder optimistisch. Unser Berufsleben bekam Aufschwung und wir sahen wieder besser aus. Das Letzte, was sich erholte, war meine Libido. Mein Unterbewusstes hatte offenbar das Gefühl, „verschlungen“ zu werden, als ein unangenehmes Erlebnis abgespeichert, obwohl Will niemals aggressiv oder auch nur fordernd gewesen wäre.

      Noch Jahre nach dieser Erfahrung kehrten wir immer wieder zu den Austauschübungen zurück, wenn wir merkten, dass wir auf einen zielorientierten Kurs abdrifteten. Und schon sehr bald reichten eine oder zwei Nächte bewusster und großzügiger Zuwendung, um uns wieder auf den richtigen Kurs zu bringen.

      Überzeugt, dass wir da etwas sehr Wertvolles und Wiederholbares entdeckt hatten, überraschte mich Will eines Tages, als er sagte: „Ich werde mal schauen, ob es hilfreiches, wissenschaftliches Material dazu gibt.“ Er war sich sicher, dass sich hinter dem, was wir erfuhren, eine physiologische Realität verstecken musste. Das, was er bei seinen Forschungen entdeckte, ist so faszinierend, dass ich es mit seiner Hilfe in den weiteren Verlauf des Buches einweben werde.

      Alte Weisheiten

      Der Hinduismus

      Eine Sammlung von Geschichten über das Konzept des Liebemachens ohne sexuelle Übersättigung wäre nicht vollständig, würde die Erwähnung des Tantra fehlen. Und doch sind nur wenige Themen verwirrender als das Konzept der wohltuenden Synergie zwischen einem Paar im Hinduismus. Auf der einen Seite gibt es die Überzeugung, dass die Schöpfung selbst aus der göttlichen sexuellen Vereinigung des Männlichen und des Weiblichen entstand.82 Und es gibt auch die Legende von Parvati, einer primären Personifizierung des weiblichen Göttlichen. Sie wählte freiwillig das zermürbende spirituelle Asketentum, um ihren göttlichen Gefährten Shiva zu gewinnen, sich mit ihm zu vereinigen und so die Liebe in eine verlorene Welt zurückzubringen. (Shiva hatte die Welt verlassen, um als Asket ein Einsiedlerdasein zu führen, nachdem Parvati in einer früheren Inkarnation gestorben war.)

      Und auf der anderen Seite kann der Begriff Tantra mehr Verwirrung stiften als Klarheit mit sich bringen. Tantra umfasst nämlich sowohl eine zölibatäre Tradition, die als „der Pfad des rechten Weges“ bekannt ist, als auch eine sexuelle Tradition, die als „der Pfad des linken Weges“ bekannt ist. Außerdem gibt es neben dem klassischen hinduistischen Tantra noch das Tantra des tibetischen Buddhismus (worüber wir später sprechen werden). Und zu guter Letzt teilen sich selbst im klassischen Tantra die Strömungen und haben sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Obwohl es heutzutage so viele verschiedene Rezepte für sexuelles Tantra gibt wie Katzenrassen, ging es im hinduistischen sexuellen Tantra ursprünglich nicht um gegenseitige Erleuchtung oder tiefere Verbindung. Trotz der bühnenreifen Darstellungen der Verehrung des männlichen Gottes oder der weiblichen Göttin in einem gemeinsamen Ritual zur Erweckung der Kundalini-Energie (der verfeinerten Lebensenergie) entwickelte sich das Maithuana-Ritual (oder „Zwillings-Ritual“) zur Anwendung für einen einzelnen spirituellen Sucher, und nicht als gegenseitige oder weiterführende Kultivierung sexueller Energie für spirituelle Zwecke.

      Der Autor James Powell verfolgt die Wurzeln des Tantra bis zu einer sexuell sehr freien, matriarchalen Gesellschaft in Indien zurück. Eine beliebte Gottheit dieser frühen Gottesverehrer war der lüsterne Krishna – ein dunkelblauer Geselle, der eine Art sexueller Rattenfänger von Hameln war, der wohlerzogene verheiratete Frauen dazu verlockte, aus ihren Betten zu schlüpfen, um an Orgien in der Wildnis teilzunehmen.

      „Einige von Krishnas Verehrern bildeten Paare. Sie regten einander zu intensiven, zuweilen auch gewalttätigen, erotischen Emotionen an, indem sie einander die amourösen Abenteuer ihres Gottes vorlasen und vorsangen. Dann übten sie sexuellen Yoga aus, in dem der Mann den Part von Krishna übernahm, und seine Partnerin die Rolle einer seiner Mädchen aus der Kuhherde [aus dem Mythos über Krishna]. In großen Zirkeln wurden Liebesrituale ausgeführt. Man empfand eine intensivere erotische Regung, wenn die Frauen in den Ritualen die Gattinnen anderer Männer waren.“ 83

      Später, unter den Brahmanen, entwickelte sich Tantra definitiv in eine mehr patriarchale Richtung. Die Zurückhaltung des Samens wurde mit Licht und Spiritualität gleichgesetzt. Frauen wurden zunehmend misstrauisch beäugt, weil sie Männer dazu verführen konnten, ihren Samen zu vergeuden. Als Folge davon glaubten die Männer, dass ihre Gesundheit und spirituelle Kraft mehr davon abhing, ihren Samen beizubehalten, als von einer synergetischen Vereinigung. Daraus entstand eine starke Betonung auf einer zölibatären spirituellen Praxis. Selbst unter spirituell gesonnenen Haushältern (Männern mit Familie) scheint es das Ziel gewesen zu sein, Ejakulation möglichst zu vermeiden, indem der Geschlechtsverkehr auf Sex zum Zwecke der Fortpflanzung begrenzt wurde. In der Autobiografie eines Yogi84 berichtet der mittlerweile verstorbene Paramahansa ­Yogananda beispielsweise, dass seine Eltern nur einmal im Jahr miteinander Sex hatten, um sich fortzupflanzen. Entsprechend erzählte mir auch ein Anhänger des verstorbenen Baba Muktananda, dass Familienväter sich selbst als zölibatär betrachten dürfen, wenn sie nur einmal im Monat Sex haben.

      Einige Yogis suchten nach einem Weg, Sex für spirituelle Zwecke zu ritualisieren (der linke Pfad). Allerdings ging es dem Yogi nicht um gegenseitige Erleuchtung von zwei Partnern, sondern um die Erweckung seines eigenen inneren, weiblichen Prinzips – welches in Form von Kunda­lini-Energie spiralförmig an der Basis seines Rückgrats ruht. Die Erweckung dieser Energie manifestiert sich als psychologische Androgynität. Die mächtigste Methode der Erweckung der Kundalini soll die sexuelle Umarmung gewesen sein – möglichst mit einer jugendlichen Jungfrau. Jungfrauen wurden als Quellen spiritueller Kraft gesehen, die fähig sind, den Partner in den Fluss dieser subtilen Energien zu initialisieren. (Die gleichen Überzeugungen waren um diese Zeit auch in China populär, und die Chinesen