Название | Die Suche nach Tony Veitch |
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Автор произведения | William McIlvanney |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956140365 |
Körperlich schien er recht zu haben. Laidlaw entdeckte eine längliche Platzwunde an seinem Nacken, aber sonst nichts. Ganz offensichtlich genoss er den Geschmack des Heroischen, den das eigene vergossene Blut vermitteln kann. Das wahrscheinlich Schlimmste, was man ihm antun konnte, war ihn sauber zu waschen. Danach würde er sich wieder mit sich selbst begnügen müssen. Laidlaw kannte ihn nicht, glaubte aber, dass er ihn vielleicht noch kennenlernen würde.
Gegenüber dem Behandlungszimmer befand sich eine Reihe mit Betten, durch Vorhänge voneinander getrennt. Hier bot sich Laidlaw eine Abfolge von Anblicken, die aus einem zeitgenössischen Mysterienspiel hätten stammen können. Ein Mädchen mit weit aufgerissenen Augen umklammerte ein blutbeflecktes Bettlaken und wartete auf jemanden oder etwas. Ein junger Mann mit einem linken Auge, das verfaultem Obst glich, beschwerte sich hysterisch über irgendeine Ungerechtigkeit, während der Arzt ihn versorgte. Eine Frau weinte, der Arm wurde ihr verbunden. »Schlimme Prügel bezieh ich von dem«, sagte sie. Ein Mann mittleren Alters erklärte einer Schwester im Beisein zweier Polizisten: »Das ist so ein wandernder Schmerz.« Laidlaw erkannte die ihm vertraute Kunstfertigkeit der Festnahmeverzögerung durch plötzliches Erkranken an geheimnisvollen Leiden.
Kabine E, von der Laidlaw wusste, dass sie früher zur Entlausung genutzt wurde, war allem Anschein nach eben noch in Benutzung gewesen, jetzt aber leer. Abgesehen vielleicht von den beiden zivil gekleideten Männern, die gerade hereinkamen, erkannte er niemanden hier. Begegnet war er ihnen noch nicht, aber ihre konzentrierte Art, sich in professionellen Bahnen zu bewegen, war ihm vertraut. Sie verschmolzen ebenso unauffällig mit ihrer Umgebung wie Mormonen.
Als Laidlaw zum Schluss noch einen Blick zurück warf, fiel ihm nichts Besonderes auf. Die Stadt durchlitt dieselben Schmerzen wie jede Freitagnacht. Hier war ihr Beichtstuhl. Man kam her, um zu gestehen, um sich zu Gebrechlichkeit, Dünnhäutigkeit oder organischer Anfälligkeit zu bekennen – der jämmerlich unzureichenden Maschinerie, der wir die Last unserer Ansprüche aufbürden.
Vor allem aber kam man her, um sich dem Blut zu ergeben. Überall war es hier, an Verletzten, Tupfern, dem Boden und den Kitteln der Ärzte. Verräterisch tropfte es aus unserem unhaltbar sicheren Selbstverständnis. Wie der Anblick von Ehrlichkeit ließ sich auch der von Blut nur schwer ertragen.
Laidlaw empfand hier noch stärker, was ihn so aufgebracht hatte gegen den Raum, aus dem er gerade kam und in dem Ena, Donald und Ria noch saßen. Er erzählte Lügen. Dieser dagegen versuchte es auch, aber er kam um das Eingeständnis seiner allgemeinen Menschlichkeit nicht herum. Der andere war exklusiv. Er fußte auf unzutreffenden Einschätzungen. Laidlaw fiel ein, dass elitäres Denken zu den Dingen gehörte, die er am allermeisten hasste. Entweder wir teilen mit allen oder wir verlieren uns.
»Hallo, Captain.«
Der Mann war schon älter, hatte eine kleine Platzwunde am Auge und mehr als nur ein bisschen was getrunken. Laidlaw hatte gesehen, wie er umhergewandert und hier und da Leute angesprochen hatte, wie Tennysons alter Seefahrer auf der Suche nach einem Hochzeitsgast.
»Sind Sie der Arzt, Sir? Geht um mein Auge hier. Hab Kopfball mit dem Gehweg gespielt. Und eins zu null verloren. Wäre ich nicht blau gewesen, hätte ich gewonnen.«
Laidlaw grinste und zuckte mit den Schultern.
»Tut mir leid«, sagte er. »Bin selbst fremd hier.«
Der Mann ging an der Trennwand vorbei. Dahinter lag das sagenumwobene Zimmer neun, der Reanimationsraum des Royal, in dem sich so ziemlich alles abgespielt hatte, was auf dem Gebiet der körperlichen Katastrophen möglich ist. Der Mann wurde sofort wieder von einem Arzt herausgeführt und Richtung Notaufnahme zurückgeschickt.
»Verzeihung«, sagte Laidlaw. »Ich suche jemanden.«
Laidlaw zeigte seinen Dienstausweis. Der Arzt warf einen Blick darauf, seine Zunge lag auf den Schneidezähnen, dann nickte er, ohne diese zu entblößen. Er konnte nicht älter als Ende zwanzig sein, mit der Brille und den strubbeligen Haaren sah er aber jetzt schon aus wie einer, der bei einem Erdbeben lediglich die Augenbrauen hochzieht. Sein Kittel war braun gesprenkelt, darauf die standesgemäßen Blutflecken.
»Harte Nacht?«, meinte Laidlaw.
»Nein. Heute ist es ruhig. Obwohl wir zwei VUPs und einen AMI hier hatten.« Er nickte Richtung Zimmer neun. »Wen suchen Sie?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Laidlaw.
Der Arzt verriet weder Erstaunen noch Belustigung oder Interesse. Er wartete einfach ab. Dann folgte er dem älteren Mann mit Blicken. Laidlaw wusste, dass ein VUP ein Verkehrsunfall mit Personenschaden war. Nach dem AMI wollte er sich lieber nicht erkundigen. Der Arzt schien nicht in Stimmung, ein medizinisches Wörterbuch zu ersetzen.
»Ich hab gehört, hier wurde jemand eingeliefert, der nach mir gefragt hat. Jack Laidlaw. Ein Mann. Unrasiert. Wahrscheinlich betrunken.«
Der Alte hatte Zuflucht bei einer Schwester gefunden. Der Blick des Arztes ruhte jetzt auf dem Boden. Er sah zu Laidlaw auf, als wollte er ihn auf eine unwahrscheinliche Verbindung prüfen.
»Sie meinen den alten Säufer?«
»Kann sein.«
»Ja. Ich glaube, das war tatsächlich der Name, den er erwähnt hat. Hat ihn ständig wiederholt. Ich dachte, dass er vielleicht selbst so heißt. Hab sonst nichts aus ihm rausbekommen. Er hat Probleme mit den Atemwegen. Gott war der dreckig. Wusste nicht, ob ich ihn erst an die Dialyse hängen oder kauterisieren soll. Eine wandelnde Beulenpest.«
»Was ist passiert?«
»Es ging ihm immer schlechter. Anscheinend hat er sich mit letzter Kraft hergeschleppt. Wir haben ihn erst mal gewaschen.«
»Und was fehlt ihm?«
Der Arzt schüttelte den Kopf.
»Alles?« Sein Blick wanderte erneut im Raum umher. »Eine bessere Diagnose, als dass er sterben wird, haben die Kollegen nicht hinbekommen. Seine Atmung verschlechtert sich rapide. Anstatt ihn hier zu intubieren, haben wir ihn auf die Intensivstation verlegt. Ist gerade eben weg.«
»Wo ist die Intensivstation?«
»Neben der chirurgischen Abteilung, das ist …«
»Ich weiß.«
»Wahrscheinlich sind Sie dort nicht erwünscht.«
»Macht nichts«, sagte Laidlaw.
Auf dem Weg nach draußen warf er dem jungen Mann im Rollstuhl noch eine Zigarette zu. Um die Götter zu besänftigen.
4
DRAUSSEN WAR ES KALT. Laidlaw musste sich erst mal orientieren. Im mittleren, jetzt dunklen Teil des Hauptgebäudes war die Verwaltung untergebracht. Rechts, nicht weit vom Tor, die medizinische Abteilung. Er ging nach links.
Beim Überqueren des Hofs dachte er an den Arzt. Wahrscheinlich war es wirklich eine ruhige Nacht. Alles ist relativ. Laidlaw hatte einen einfachen Stoßdämpfer, der ihm half, fertig zu werden mit dem, was er zu Gesicht bekam. Er erinnerte sich an Glaister’s Medical Jurisprudence and Toxicology – ein unauffälliger Name für eines der grauenvollsten Bücher, in denen er je geblättert hatte. Darin wurden die entsetzlichsten ungewöhnlichen Todesarten sachlich beschrieben, dazu Abbildungen erstklassig fotografierter Enthauptungen, Strangulationen und Genitalverstümmelungen. Die Darstellung willkürlicher und vorsätzlicher Brutalität ließ den Marquis de Sade wie den Touristen erscheinen, der er war. Hat man erst einmal verstanden, in was für einer Welt wir leben, muss man sich auch den Dingen stellen, die man lieber nicht sehen möchte.
Laidlaw hatte das akzeptiert. Er stieg die gewundene Treppe hinauf in den ersten Stock. Auf einem blauen Schild mit weißen Buchstaben las er »Intensivstation«. Er trat durch die Schwingtüren und stand in einem kurzen, breiten Gang vor einer weiteren Schwingtür. Sofort schaute eine Frau aus einem Zimmer. Ihr Gesichtsausdruck wurde zum Verbot, zeugte von der Verärgerung einer Fachkraft über das unbeholfene Eindringen eines Laien. Laidlaw kam sich vor, als hätte er