Blütenpracht und schlaue Hühner. Susanne Wiborg

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Название Blütenpracht und schlaue Hühner
Автор произведения Susanne Wiborg
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783956141614



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ist in dieser engen Nachbarschaft unbedingt gefragt, und in unseren norddeutschen Dauermatsch passen auch Seidenfedern und Federfüße nicht besonders gut. Dafür war mir ein kleiner, möglichst eng anliegender Kamm wichtig, denn zu große Kämme können in harten Wintern schnell erfrieren. Noch vor all diesen Äußerlichkeiten war soziale Verträglichkeit ein absolutes Muss – schließlich sollten die Hennen auch ohne ordnungsstiftenden Hahn harmonisch miteinander leben können.

      Einfach ein netter, robuster Vogel also, ohne Übertreibungen, stadtauglich, aber mit ländlichem Char me. So bin ich schließlich bei denen gelandet, die ein Hühnerbuch liebevoll-spöttisch »die Golden Retriever un ter den Hühnern« nennt: bei den weit verbreiteten Zwergwyandotten. Diese kiloschwere Kompaktausgabe einer alten amerikanischen Wirtschaftsrasse hat sich tatsächlich als mein ideales Anfängerhuhn erwiesen. Hermine und Henriette, hell goldbraun mit schwarzem Spitzenkragen, oder, fachmännischer: gelb-schwarz-columbia, kamen, sahen, siegten – und sind heute, drei Jahre später, stolze Chefinnen einer zehnköpfigen Damenriege.

      Dafür, dass sich das ursprünglich geplante Quartett auch ohne Gockel so vermehrte, kann ich natürlich gar nichts. Es passierte einfach. Es passierte, weil Hühnerfieber ebenso virulent ist wie Gartensucht, es passierte, weil die sehr geselligen Vögel in größeren Gruppen einfach zufriedener und gelassener sind, und es passierte vor allem, weil diese kleinen Kugelhühner einen so bestechenden Vorteil haben: Zwergwyandotten gibt es in mehr als 30 Farben, und auch die Hennen sind auffallend dekorativ. Der Nachteil liegt da auf der Hand: die Mädels sind so unwiderstehlich hübsch, dass man einfach anfangen muss, sie ein bisschen zu sammeln …

      Und nicht nur das: Wyandotten sind zum Dahinschmelzen grotesk. Ich habe nun einmal diese ausgeprägte Schwäche für Skurriles, ein bisschen Bizarres, scheinbar einem Comic Entsprungenes, und Hühner scheinen der lebende Cartoon schlechthin. Kein Wunder, dass sie seit Wilhelm Busch so vielen Zeichnern als Inspiration dienen. Hühner sehen aus, als sei da zusammengekommen, was nicht zusammenhört: Die Scharrvögel stehen fest auf überdimensionalen, geschuppten gelben Füßen, die nicht nur den Gattungsnamen, sondern auch die fernen Sauriervorfahren nicht verleugnen können: Hühner sind die nächsten lebenden Verwandten des Tyrannosaurus Rex. Je genauer man sie beobachtet, desto mehr meint man, diese Herkunft sehen zu können: Eine Gruppe sonst so bedächtiger Hennen, die sich wild auf einen Fleischbrocken stürzt, kann ihr Raptorenerbe wirklich nicht verleugnen. Auf den Krallenfüßen, die sich übrigens nicht reptilienkühl, sondern ganz warm anfühlen, sitzt bei Wyandotten ein Körper, der rundum schwungvoll ist, elegant gerundet, ohne die Ecken und Kanten, die anderen Hühnern oft einen etwas aggressiven, zänkischen Ausdruck verleihen können. Hier sind alles sanfte, gemütlich wirkende Bögen: eine wohlgerundete Brust, ein U-förmiger Rücken, ein Schwanz wie ein federgefülltes Hufeisen über einem wuscheligen Hinterteil.

      Und auf einem schicken Federkragen dann ein kleiner Kopf mit Reptiliengesicht: nackte Haut, die sich bei Aufregung blitzschnell dunkelkirschrot verfärbt, ein roter Rosenkamm, der eng am Kopf anliegt, dazu lebhafte, glänzend orangefarbene Augen. Ein kräftiger Schnabel mit fast greifvogelartiger Spitze verrät den Allesfresser. Hühner sind nicht nur begehrte Beute, sondern auch respektable Jäger und haben durch das viele Eierlegen einen hohen Proteinbedarf. So sind sie versessen auf Fleisch und durchaus in der Lage, eine unvorsichtige Maus zu erbeuten. Dieses widersprüchliche, seltsam zusammengesetzte Tier stakst dann auch noch in gravitätischer, drolliger Würde auf seinen Riesenfüßen durchs Revier, mit ewig ruckendem Kopf, um die ohnehin schon scharfen Augen ständig schärfer zu stellen. Wenn es nicht gerade eilt: dann werden der Hals gestreckt und beim Rennen auch noch die Flatterflügel für einen cartoonreifen Tiefflug zur Hilfe genommen. Ein puscheliger kleiner Flugsaurier im eigenen Garten – wer bei diesem Anblick nicht unwillkürlich lächeln muss, dem kann ich auch nicht helfen!

      Nachteile haben Hühner natürlich auch. Die lassen sich aber kurz zusammenfassen: Sie kacken. Ständig und überall. Und sie kratzen. Ständig und überall. Das Kratzen fällt bei den gemütlichen Wyandotten glücklicherweise eher zurückhaltend aus, die Verdauung allerdings ist unglaublich rege. Wer da nicht ziemlich bald in einer stinkenden Einöde leben möchte, muss regelmäßig aufsammeln, mit Schäufelchen und Handharke kein großes Problem, wenn auch bei nassem Wetter nicht wirklich appetitanregend. Hier ist ein bisschen Gärtnerspinnerei überaus hilfreich: Seit ich erlebt habe, wie gut der mit dem Hühnermist angereicherte Kompost den Pflanzen tut, wie er die Rosenblüte geradezu explodieren lässt, macht es mir nahezu Spaß, diesen wertvollen Rohstoff möglichst vollständig zu gewinnen. Es kommt wohl auf die Perspektive an: Nach einiger Großtiererfahrung finde ich die Mädels vergleichsweise lächerlich einfach zu versorgen. Meine nette Nachbarin, die eher ihre Hunde als Maßstab hat, findet meine Hühnerbande entnervend, arbeitsaufwendig und lästig.

      So etwas sollte man ernst nehmen – und zwar rechtzeitig! Darüber, ab wann einem Dreck unter den Schuhen, Erde überall, ewiges Zurückharken von Aus-dem-Beet-Gekratztem, kurz: die dauernde Abweichung vom Meister-Proper-Ideal ernsthaft auf die Nerven gehen, muss man sich ehrlich Rechenschaft ablegen, bevor man sich in das neue Gartenabenteuer stürzt. Hühner sind nun einmal lebendig. Die reine Hochglanz-Landlust ist da eine romantische Fiktion. Es gibt sie nicht. Dafür gibt es täglich – täglich! – Mist, jeden Winter Matsch, immer Verantwortung, öfter als geplant Tierarzt kosten, und eine zuverlässige Urlaubsvertretung braucht man natürlich auch. Wer das nicht wirklich einkalkuliert, erlebt nach der ersten Begeisterung einen bösen Realitätsschock. Der sich bei Hühnern, anders als bei so vielen unbedacht angeschafften Hunden, natürlich kurzfristig per Kochtopf korrigieren lässt – aber ein bisschen fairer sollte man einem Lebewesen gegenüber schon sein.

      Was Hühner im Garten am liebsten haben? Platz, den aber bitte gut strukturiert. Sie sind Waldrandvögel, und so finden sie eine große kahle Fläche eher beängstigend als einladend. Sie wünschen sich reichlich schützendes Unterholz, Hecken oder große Sträucher zum Druntersitzen bei gemütlichen Putz- und Plauderrunden. Dazu offene Plätze für das unentbehrliche, mit reptilienhafter Hingabe zelebrierte Sonnenbad, lose Erde zum Scharren und Staubbaden (für die sorgen sie notfalls selbst) – und natürlich gern reichlich leckere grüne Häppchen. So ziemlich alles Zarte, was ein Garten hergibt, fällt für Hühner unter diese Kategorie – und da können die Interessen von Mensch und Vogel dann wirklich heftig in Konflikt geraten.

      Hier klappt es wohl so gut, weil die Hühner den passenden Typ Garten vorfinden: gut eingewachsen mit robusten Gehölzen, vom Kirschbaum bis zum Rosenstrauch, einer uralten Deckungs-Hecke rundum und insgesamt nicht allzu penibel gepflegt. Ärgerliche Kratzschäden verbuche ich notfalls unter »mit Eiern bezahlt«. Ein kleines Mädchen nannte unseren sommerlichen Überschwang »Dschungel mit Hühnern«, und in so einer Umgebung können die Vögel ein Gartenbild tatsächlich sehr bereichern. Eine Gruppe bunter Hennen unter den großen Rosen, eine wunderschöne Goldgebänderte Ton in Ton mit einem überhängenden, herbstlichen Funkienblatt – so etwas lässt sogar biedere Alltagspflanzen plötzlich wie eine sorgsam gestellte Kulisse aussehen.

      Robust muss sie allerdings sein, die Vegetation zum Huhn, Verluste dürfen nicht allzu sehr schmerzen, und ein paar dicke, kratzhemmende Steine an strategischen Punkten sind für die friedliche Koexistenz immer hilfreich. Auf penibel angelegte, bis ins Kleinste durchstrukturierte Anlagen voller Maß, Symmetrie und filigraner botanischer Kostbarkeiten sollte man diese Vögel vorsichtshalber nicht loslassen. Da empfehlen sich für die Gartengäste eher ein abwechslungsreicher, gut eingezäunter Auslauf oder sogar eine schmucke Voliere. Ein gepflegtes, originelles Hühnerhaus steht wirklich jedem Revier, und die Voliere dazu wäre das Nonplusultra: Mit wochenlanger Aufstallpflicht wegen Vogelgrippe muss man leider immer und überall rechnen, und eingepfercht in einen zu engen Schlafstall werden freiheitsgewohnte Hühner schlicht verrückt.

      Bei uns besteht der Kompromiss zwischen Garten und Huhn in einem Zaun, der das Grundstück der Länge nach teilt. Die eine Hälfte, die mit Stall im großen Schuppen, unbefestigter Einfahrt, Kompost, und reichlich Scharr- und Versteckraum unter alten Sträuchern, gehört den Hühnern rund ums Jahr. Vom Vegetationsbeginn bis zur Rosenzeit bleiben die Pforten zur zweiten Gartenhälfte zu, so dass all die zierlichen Frühblüher vor Kratzfüßen und Hackschnäbeln sicher sind und die anderen Pflanzen in Ruhe durchstarten können. Sobald die Frühjahrspracht am Boden eingezogen hat und sich der Blickpunkt eine Etage