Название | Winzige Gefährten |
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Автор произведения | Ed Yong |
Жанр | Математика |
Серия | |
Издательство | Математика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956142482 |
In dieser Zeit veränderten sie die Erde ein für alle Mal. Bakterien reichern die Böden an und bauen Schadstoffe ab. Sie treiben die globalen Kreisläufe von Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel und Phosphor an; dazu verwandeln sie diese Elemente in Verbindungen, die von Tieren und Pflanzen genutzt werden können, und anschließend geben sie die gleichen Verbindungen durch den Abbau organischer Körper der Welt zurück. Als erste Organismen stellten sie ihre eigenen Nähr stoffe her, weil sie durch einen Prozess, den man Fotosynthese nennt, die Sonnenenergie nutzbar machten. Als Abfallprodukt setzten sie Sauerstoff frei und gaben das Gas in so großen Mengen ab, dass die Atmosphäre unseres Planeten sich dauerhaft veränderte. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass wir in einer Welt des Sauerstoffs leben. Noch heute produzieren die Fotosynthesebakterien in den Ozeanen den Sauerstoff in der Hälfte aller unserer Atemzüge, außerdem binden sie eine ebenso große Menge an Kohlendioxid.2 Manchmal wird gesagt, wir würden heute im Anthropozän leben, einer neuen Epoche der Erdgeschichte, die durch die ungeheueren Auswirkungen der Menschheit auf unseren Planeten charakterisiert ist. Ebenso gut kann man die Ansicht vertreten, dass wir uns immer noch im Mikrobiozän befinden, dem Zeitalter, das mit der Entstehung des Lebens einsetzte und bis zu seinem Ende fortdauern wird.
Mikroorganismen sind wahrlich überall. Sie leben im Wasser der tiefsten Ozeangräben und in dem Gestein darunter. Sie überleben in dampfenden hydrothermalen Schloten, siedenden Quellen und im Eis der Antarktis. Man findet sie sogar in den Wolken, wo sie als Keime für Regentropfen und Schneeflocken dienen können. Es gibt sie in astronomischer Zahl. Eigentlich ist ihre Zahl sogar weit größer als nur astronomisch: Es gibt mehr Bakterien in unserem Darm als Sterne in unserer Galaxis.3
So sah die Welt aus, in der die Tiere entstanden: Sie war völlig von Mikroorganismen bedeckt und wurde von ihnen verändert. Oder, wie der Paläontologe Andrew Knoll es einmal formulierte: »Tiere mögen der Zuckerguss der Evolution sein, aber der eigentliche Kuchen sind die Bakterien.«4 Sie waren immer Teil unserer Ökologie. Wir haben uns unter ihnen entwickelt, und wir haben uns aus ihnen entwickelt. Die Tiere gehören zu einer Gruppe von Lebewesen, die Eukaryonten genannt wird und auch alle Pflanzen, Pilze und Algen umfasst. Trotz ihrer offenkundigen Vielfalt sind alle Eukaryonten aus Zellen aufgebaut, die den gleichen Grundbauplan haben, und dieser Bauplan unterscheidet sie von anderen Lebensformen. Nahezu ihre gesamte DNA ist in einem zentralen Zellkern verpackt, einer Struktur, die der Gruppe ihren Namen gibt – »Eukaryont« kommt aus dem Griechi schen und bedeutet »echter Kern«. Sie besitzen in ihrem Inneren ein »Skelett«, das als Stütze für ihre Struktur dient und Moleküle von einem Ort zum anderen transportiert. Und sie enthalten Mitochondrien, bohnenförmige Kraftwerke, die den Zellen ihre Energie liefern.
Diese Merkmale sind allen Eukaryonten gemeinsam, denn wir alle haben uns aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelt, der vor rund 2 Milliarden Jahren lebte. Davor konnte man das Leben auf der Erde in zwei große Lager oder Domänen einteilen: die Bakterien, die wir bereits kennengelernt haben, und die Archaea, eine Gruppe von Lebewesen, die uns weniger vertraut ist und die eine Vorliebe für die Besiedelung unwirtlicher und extremer Lebensräume hat. Beide Gruppen bestanden aus einzelnen Zellen, denen die raffinierte Struktur der Eukaryonten fehlte. Sie hatten kein inneres Skelett, sie hatten keinen Zellkern, und sie hatten aus Gründen, mit denen wir uns in Kürze ausführlich beschäftigen werden, keine energieliefernden Mitochondrien. Außerdem sahen sie sich oberflächlich ähnlich, weshalb die Wissenschaftler ursprünglich glaubten, Archaea seien Bakterien. Aber das Äußere täuscht; die biochemischen Eigenschaften von Archaea und Bakterien sind so unterschiedlich wie die Betriebssysteme von PC und Mac.
Ungefähr während der ersten 2,5 Milliarden Jahre, in denen es Leben auf der Erde gab, gingen Bakterien und Archaea im Wesentlichen getrennte Evolutionswege. Dann, bei einer schicksalhaften Gelegenheit, verschmolz auf nicht genau geklärte Weise ein Bakterium mit einem Archaeon, gab sein frei lebendes Dasein auf und war für immer in seinem neuen Wirt gefangen. So entstanden nach Ansicht vieler Wissenschaftler die Eukaryonten. Das ist unsere Schöpfungsgeschichte: Zwei große Domänen des Lebendigen verschmolzen und schufen mit der größten Symbiose aller Zeiten eine dritte. Das Archaeon bildete das Grundgerüst der Eukaryontenzelle, und aus den Bakterien wurden im Laufe der Zeit die Mitochondrien.5
Dieser schicksalhaften Vereinigung entstammen alle Eukaryonten. Sie ist der Grund, warum unser Genom so viele Gene enthält, die in ihren Eigenschaften noch auf Archaea hindeuten, während andere eher denen von Bakterien ähneln. Auch ist sie der Grund, warum all unsere Zellen Mitochondrien enthalten. Durch die domestizierten Bakterien veränderte sich alles. Da sie zusätzliche Energie lieferten, konnten die Eukaryonten nun größer werden, mehr Gene anhäufen und eine kompliziertere Struktur annehmen. Das ist die Erklärung für das »schwarze Loch im Zentrum der Biologie«, wie der Biochemiker Nick Lane es nannte: die große Leere zwischen den einfacheren Zellen der Bakterien und Archaea auf der einen und den komplizierteren Eukaryontenzellen auf der anderen Seite. In 4 Milliarden Jahren gelang es dem Lebendigen genau ein Mal, diese Kluft zu überbrücken. Seitdem ist es den unzähligen Bakterien und Archaea auf der Welt, deren Evolution mit halsbrecherischer Geschwindigkeit abläuft, nie wieder gelungen, einen Eukaryonten hervorzubringen. Wie ist das möglich? Andere komplexe Strukturen – von Augen über Körperpanzer bis hin zum vielzelligen Körper – sind in der Evolution viele Male unabhängig voneinander entstanden, die Eukaryontenzelle aber ist eine einmalige Innovation. Nach Ansicht von Lane und anderen liegt das daran, dass die entscheidende Verschmelzung eines Archaeons und eines Bakteriums derart atemberaubend unwahrscheinlich war, dass sie sich nie wiederholt hat – oder zumindest nie erfolgreich. Indem die beiden Mikroorganismen ihre Vereinigung vollzogen, trotzten sie den Wahrscheinlichkeiten und machten die Existenz aller Pflanzen und Tiere möglich, von allem, das für das bloße Auge sichtbar ist – oder selbst Augen hat, wenn wir schon dabei sind. Sie ist der Grund, warum ich hier bin und dieses Buch schreiben kann, und warum Sie hier sind und es lesen können. In unserem imaginären Kalender ereignete sich die Verschmelzung irgendwann Mitte Juli. Dieses Buch handelt davon, was danach geschah.
Nachdem die Eukaryontenzellen entstanden waren, fingen manche von ihnen an, zusammenzuarbeiten und sich zusammenzulagern. So entstanden die vielzelligen Lebewesen wie Tiere und Pflanzen. Zum ersten Mal wurden Lebewesen groß – so groß, dass sie in ihrem Inneren riesige Lebensgemeinschaften von Bakterien und anderen Mikroorganismen beherbergen konnten.6 Diese Mikroben zu zählen ist schwierig. Häufig wird gesagt, in einem durchschnittlichen Menschen kämen auf jede menschliche Zelle ungefähr zehn Mikro organismen, sodass wir in unserem eigenen Körper zu einem Rundungsfehler werden. Aber dieses Verhältnis von 10 zu 1, das in Büchern, Zeitschriften, Konferenzbeiträgen und praktisch jedem wissenschaftlichen Übersichtsartikel zum Thema genannt wird, ist eigentlich nur eine grobe Vermutung; sie beruht auf einer provisorischen Berechnung, die unglücklicherweise als Tatsache festgeschrieben wurde.7 Neuesten Schätzungen zufolge enthalten wir rund 30 Billionen menschliche Zellen und 39 Billionen Mikroorganismen – womit ungefähr Gleichstand herrschen würde. Auch diese Zahlen sind ungenau, aber das spielt eigentlich keine Rolle: Wie man auch rechnet, wir enthalten Vielheiten.
Würden wir unsere Haut aus allernächster Nähe betrachten, so würden wir sie sehen: kugelförmige Perlen, würstchenähnliche Stäbchen und kommaförmige Bohnen, allesamt nur wenige Tausendstelmillimeter groß. Sie sind so klein, dass sie trotz ihrer gewaltigen Zahl zusammen nur wenige Kilo wiegen. Ein Dutzend oder mehr von ihnen könnte sich auf dem Durchmesser eines menschlichen Haares gemütlich nebeneinanderlegen. Eine Million könnten auf einem Stecknadelkopf tanzen.
Die meisten von uns werden diese winzigen Lebewesen mangels eines Mikroskops nie unmittelbar zu Gesicht bekommen. Wir bemerken nur ihre Auswirkungen, und zwar insbesondere die negativen. Wir spüren den schmerzhaften Krampf eines entzündeten Darms und hören das Geräusch eines unkontrollierbaren Niesens. Das Bakterium Mycobacterium tuberculosis können wir mit bloßem Auge nicht sehen, aber wir sehen den blutigen Auswurf eines Tuberkulosepatienten. Auch Yersinia pestis, ein weiteres Bakterium, ist für uns unsichtbar, aber die Pestepidemien, die es auslöst, sind nur allzu offensichtlich. Solche Pathogene – Mikroorganismen, die Krankheiten hervorrufen – haben die Menschen während ihrer gesamten Geschichte traumatisiert