Als Medea Rache übte und die Liebe fand. Tamar Tandaschwili

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Название Als Medea Rache übte und die Liebe fand
Автор произведения Tamar Tandaschwili
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783701746569



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      Tamar Tandaschwili

      Als Medea Rache übte und die Liebe fand

      Aus dem Georgischen übersetzt

      von Tamar Muskhelischwili

      Roman

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      Dieses Buch wurde mit Unterstützung des Writers’ House of Georgia veröffentlicht.

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      Die Originalausgabe ist 2017 unter dem Titel »Materikon« im Verlag Siesta, Tiflis, erschienen.

      © 2021 Residenz Verlag GmbH

      Salzburg – Wien

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

       www.residenzverlag.at

      Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

      Umschlaggestaltung: Boutiquebrutal.com

      Lektorat: Jessica Beer

      ISBN eBook: 978 3 7017 1737 8

      ISBN Print: 978 3 7017 1737 8

      INHALT

       1. GRAMMATIK

       2. LAS MAGAS

       3. UNCHRISTLICHE BEDÜRFNISSE

       4. ERSEHNTE OHNMACHT

       5. YOGA PARADISE

       6. VOM KOPF HER FRAU

       7. DER BUNTE DRACHE JESU

       8. GESUND UND MUNTER WIE EIN BÄR

       9. GOTT DER LIEBE

       10. WEGWEISER

       11. TOLLWÜTIG

       12. EIN GLÜCKLICHER MENSCH AUF EINEM UNGLÜCKSELIGEN PLANETEN

       13. FACEBOOK

       14. SONDER- UND GENERALVOLLMACHT

       15. DIE GOTTESFÜRCHTIGEN

       16. IM JAZZ SIND ALLE JUNGFRAUEN

       17. EIER UND LIEBE

       18. MARGALITA

       19. WUNDERKAMMER

       20. MEDEA

       21. ELOQUENZÜBUNG

       22. METAPHYSISCHE KRIMINOLOGIE

       23. LUCIA IN DER PEKINGSTRASSE

       24. PERSONALPRONOMEN

       25. VERNEHMUNGSTHEORIE UND PRAXIS

       PERSONEN

      1. GRAMMATIK

      Die Journalistin Tina Sumbadse hat vor einunddreißig Jahren schreiben gelernt, seitdem schreibt sie ununterbrochen. Nebenbei gewinnt sie neue Erkenntnisse: Männer leben in der ersten Person Plural und sterben in der dritten Person Singular. Frauen werden in der dritten Person Plural vergewaltigt, sterben aber stets in der ersten Person Singular.

      Neben ihr saß ein krebsroter, rastloser Schotte. Er hatte sich kurz vor dem Abflug vorgestellt. Er war Ingenieur für Windenergie und zurzeit mit dem Bau eines hundert Meter hohen Windparks am türkischen Mittelmeerufer beschäftigt. »Ich muss das Projekt zum dritten Mal überarbeiten. Wir befinden uns auf den Flugrouten der Wandervögel. Ökologen und Landwirte haben uns mit dem Rotstift gedroht, kein einziger Propeller habe dort etwas zu suchen.« Noch bevor das Mittagessen verteilt wurde, hatte er ihr anhand von Anschauungsmaterial die Bedeutung des Luftdruckwandels für Winderzeugung und Speicherung erklärt. Tina musste an ihre Uroma Alexandra denken: »In was für einer Welt leben wir Armseligen eigentlich, wenn sogar schon Wind gespeichert werden muss?«, würde sie zweifellos sagen, wenn sie im Flugzeug neben dem Schotten säße. Nach seiner Hähnchenbrust legte er zunächst mit Tinas übriggelassener Frikadelle, später mit zwei Miniaturfläschchen Whisky nach. Er wurde noch krebsiger und geschwätziger.

      »Nein, nicht in Amman. Ich schreibe Artikel über frontnahe Städte, und Syrien liegt in meinem professionellen Interessenbereich.«

      »Haben Sie Familie in der Türkei?«

      »In Georgien – meine Freundin. In Istanbul ist unser internationales Redaktionsbüro.«

      Der Schotte stutzte politisch korrekt und zählte alle lesbischen Frauen auf, die sich seit der Uni jemals in seiner Gegenwart befunden hatten. Tina hatte nicht weiter ausgeführt, dass ihre Liebste ihr vierjähriges Zusammensein mit der Gründung einer wahrhaftig traditionellen Familie gekrönt hatte. Danach war sie in den ersten sechs Monaten mindestens zweimal pro Woche zu den Schwiegereltern gerannt, freitags hatte sie den unbändigen sexuellen Hunger ihres Ehemannes mit Blowjobs gezähmt, die sie sich aus Pornos abgeschaut hatte, und an ihren fruchtbaren Tagen hatte sie sich in smaragdgrüne Dessous gezwängt. Dann hatte sie ihr Kind bekommen, war in postpartale Depression verfallen und hatte sich wieder nach weiblicher Zärtlichkeit gesehnt. Tina liebte sie immer noch und öffnete ihr mit Freude die mit Dämmschaum isolierte Metalltür, die sie vor anderthalb Jahren mit einem Fußtritt hinter ihr zugeknallt hatte. Augenblicklich verloren sich die Finger ihrer Liebsten in hüftlanger, schwarzer Seide. Sie wollte gerade Tinas Lippen berühren, als ein tornadoartiger Krampf aus den Tiefen ihrer Eierstöcke aufstieg und sie überflutete. Sie schaffte es mit zugehaltenem Mund gerade noch zur Toilette und verbrachte