Schlüsselbegriffe der Public History. Thorsten Logge

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Название Schlüsselbegriffe der Public History
Автор произведения Thorsten Logge
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783846357286



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      Gerade im Bereich der Public History zeigt sich, dass Authentizität nicht zwangsläufig aus der inhärenten Qualität von Objekten oder der Glaubwürdigkeit von Zeugnissen abzuleiten ist. Neben authentischen Objekten oder Zeugnissen spielt hier auch das ‚authentische Erleben‘ eine zentrale Rolle. So stellen Living History oder Reenactments eine Aneignungsform von Geschichte dar, deren Authentizität auf dem Nacherleben von vergangenen Situationen oder Ereignissen beruht. Auch hier ist die paradoxale Struktur von Interesse, denn ‚authentisches Erleben‘ im Sinne einer Körpererfahrung (vgl. Kap. 5) wird dadurch ermöglicht, dass Repliken von historischen Objekten zum Einsatz kommen, die angefasst, getragen und sinnlich wahrgenommen werden können. Für dieses Erleben spielt die Herkunft der verwendeten Objekte, die aus Sicht der Provenienzforschung nicht authentisch sind, dabei eine untergeordnete Rolle.

      Geschichtsangebote sind daher darauf hin zu befragen, wie sie ihre Referenz zur Wirklichkeit und gegebenenfalls Wissenschaft inszenieren. Das ökonomische Potenzial von Geschichte ergibt sich gegenwärtig nicht zuletzt aus dieser Dimension von Authentizität. Am Beispiel zahlreicher geschichtskultureller Produkte zeigt sich, dass die ‚Echtheit‘ der jeweils präsentierten Geschichte ein effektives Verkaufsargument darstellt,37 wobei Anbieter_innen häufig auch eine damit zusammenhängende spezifische ‚Atmosphäre‘ heraufbeschwören.

      Atmosphäre

      Insbesondere bei Videospielen und im Living-History-Bereich ist in Forschungskontexten zur Beschreibung von authentisierenden Arrangements von Atmosphäre die Rede. Der Begriff wurde vor allem von dem Philosophen Gernot Böhme geprägt. In der Geschichtswissenschaft finden sich erste Ansätze zur Nutzung dieses Zugriffs z. B. bei der Analyse touristischer Angebote, die unter Phänomenen wie (hi)storyscapes oder themed environments erfasst werden.

      Als Konzept wird Atmosphäre seit wenigen Jahren genutzt, um ‚authentische Räume‘ zu beschreiben, also Räume, die (vermeintlich) historisch authentisch inszeniert sind und für einen bestimmten Zweck so erschaffen wurden. Dieser Ansatz hilft nicht nur, eine spezielle Objekt-Subjekt-Relation zu fokussieren, sondern das erlebende Subjekt in einem spezifisch gestalteten Raum zu beschreiben. Atmosphäre, genauer Vergangenheitsatmosphäre, ist dann ein analytischer Begriff, der es erlaubt, den Raum, in dem eine Performance stattfindet – sei es eine nachgestellte Schlacht, die Quest im digitalen Raum oder aber der Gang durch einen speziell gestalteten Ausstellungsbereich –, als Wahrnehmungs-und Empfindungsraum der Reenactors/Living Historians, von digital Spielenden oder aber von Besucher_innen zu beschreiben. Das Konzept berücksichtigt also dezidiert die Empfindungsebene der teilhabenden Subjekte und verharrt nicht bei der Anordnung von Objekten im Raum. Betrachtet wird auch die ästhetische Gestaltung des Raums im Hinblick auf seine Eignung, pastness (vgl. Infobox in Kap. 11.1) zu erzeugen. Der Rückgriff auf den Atmosphären-Begriff erlaubt somit stärker als etwa der Fokus auf Objektauthentizität, das Verhältnis von rezipierendem Subjekt und inszenierter Geschichte im Raum in den Blick zu nehmen. Solche Atmosphären sind zeitlich und kulturell gebunden. Das Beispiel der digitalen Spiele verweist aber auf deren (potenzielle) räumliche Entgrenzung. Da diese oftmals für den globalen Markt designt werden, können diese kosmopolitische Vergangenheitssettings etablieren, die dann gleichsam populärkulturelle Vorstellungen von Geschichte prägen.

       Leseempfehlung

       Kerz, Christina: Atmosphäre und Authentizität. Gestaltung und Wahrnehmung in Colonial Williamsburg, Stuttgart 2017; Zimmermann, Felix: Historical Digital Games as Experiences – How Atmospheres of the Past Satisfy Needs of Authenticity, in: Marc Bonner (Hg.): Game | World | Architectonics – Transdisciplinary Approaches on Structures and Mechanics, Levels and Spaces, Aesthetics and Perception, Heidelberg 2021, S. 19-34.

      Authentizität ist ein kultur- und zeitgebundener Begriff. Er ist eng mit der westeuropäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte verbunden und lässt sich nicht als universelle Größe voraussetzen, wie wir im Beitrag zum Kulturerbe (vgl. Kap. 7) anhand des UNESCO-Welterbes kurz skizzieren. In der Geschichtswissenschaft gelangen die Praktiken der Authentisierung zum einen durch das zunehmende Interesse an Fragen der Performativität (vgl. Kap. 10) langsam in den Fokus der Forschung,38 zum anderen durch die Etablierung der Wissen(schaft)skommunikation als Forschungsfeld und als Praxisbereich. Und auch die Public History als neue Teildisziplin der Geschichtswissenschaft treibt die Auseinandersetzung mit Fragen der Authentizität an.

      Im Folgenden zeigen wir exemplarisch, wie Authentizität in vier Feldern der Public History erzeugt wird, um zum einen das analytische Potenzial und zum anderen die semantische Vielfalt des Authentizitätsbegriffs zu demonstrieren.

      2.4.1Authentische Geschichte im Museum

      Authentizität ist ein Kernelement des musealen Ausstellungswesens, denn die ausgestellten Exponate sind in der Regel Originale und fungieren als Objektivationen vergangener Realität, die die im Museum erzählte Geschichte als wahr bekräftigen sollen. Authentizität bezeichnet im Museum somit die Echtheit des Dargestellten und ist eng mit der Aura des Exponats verbunden. Sie wird als Qualität des Objekts verstanden, die aus seiner Geschichte resultiert (womit sich das Exponat von einer Replik unterscheidet). Allerdings liegt die Authentizität von Objekten im Museum nicht nur in deren Originalität begründet, sondern auch in ihrer Präsentation und Rezeption.39 Stefan Burmeister spricht daher von einer Umwertung des Authentizitätsbegriffs, mit dem zunehmend das Echtheitserlebnis der Betrachter_innen, auf das wir noch näher eingehen, in den Blick genommen wird und der somit eine Qualität der Beziehung zwischen (inszeniertem) Objekt und Besucher_innen bezeichnet.

      Präsentation von Exponaten

      Hieran schließt sich die Frage an, wie es Museen gelingt, bei ihren Besucher_innen den Eindruck von Authentizität zu evozieren. Die Authentisierungsstrategien, die sich auf die Auswahl und die Präsentation von Objekten richten, sind dabei maßgeblich durch zwei Elemente geprägt: Zum einen determiniert die durch Expert_innen festgelegte Wertigkeit des Objekts die Art und Weise seiner Präsentation bzw. welche Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Zum anderen bestimmen aber auch die Erwartungen der Besucher_innen, wie ein Objekt ausgestellt wird (vgl. Kap. 11 Rezeption), wobei diese wiederum durch die Schaffung spezifischer Wahrnehmungsbedingungen von Museen mitgeprägt werden. In ihrer Architektur sind Museen als Schutzräume konzipiert. Abgehängte Fenster schützen die Exponate jedoch nicht nur vor zerstörerischem Tageslicht, sondern verdeutlichen auch, dass es sich bei den ausgestellten Dingen um schützenswerte, wertvolle, alte und echte Zeugnisse der Vergangenheit handelt. So erzeugt etwa die Platzierung bestimmter Objekte auf besonders edlen Stoffen in speziell ausgeleuchteten Vitrinen einen auratischen Effekt. Sichtbare Maßnahmen wie diese dienen also nie nur dem Schutz der Objekte als historischer Zeugnisse, sie erzeugen zugleich auch den Eindruck, dass diesen Objekten ein gewisser Wert zukommt. Somit ist es vor allem die Inszenierung, die ein Objekt in ein besonders wertvolles, authentisches und auratisch wirksames Exponat aus der Vergangenheit transformiert. Selbst archäologische Massenware, so Burmeister, kann auf diese Weise auratisch inszeniert werden.40 Darüber hinaus verstärkt auch die Beschriftung der ausgestellten Objekte deren Authentisierung und Auratisierung. Ist diese besonders knapp und verwendet gegebenenfalls nur Fachbegriffe, bietet sie keine Analogien an oder fehlen Hinweise zur Einordung in Wirkungszusammenhänge, trägt die Beschriftung zur Entrückung des Objekts sowie zur Erfahrung seiner Außeralltäglichkeit bei. Werden z. B. in einer Vitrine Fibelarten ausgestellt und in einer Auflistung als Triquetra-Fibel oder Peltafibel bezeichnet, aber weder erläutert oder im Schaubild gezeigt, wie der Schließmechanismus an Kleidung genau funktioniert, noch wie man beide Formen unterscheidet, so trägt das zwar zur Auratisierung, aber nur wenig zum Verständnis des Gezeigten bei.

      Echtheitserlebnis der Museumsbesucher_innen

      Um das Zusammenspiel von ästhetischer als auratischer Inszenierung,