JÄRNGÅRD. Ruben Philipp Wickenhäuser

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Название JÄRNGÅRD
Автор произведения Ruben Philipp Wickenhäuser
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957658357



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legte einen Hammer beiseite. »Ja, das sieht nach seinem Auto aus! Komm.«

      Lasse hieß sie willkommen im Land. Er freue sich, dass sie das Haus gekauft hatten und dadurch wieder Leben in die Gegend käme. Er wohne ja selber praktisch um die Ecke, »only two kilometers from you«, sagte er und lachte.

      Sie sprachen über dies und das, und Lasse hörte sich mit großem Interesse an, dass Rainer passionierter Höhlenkletterer war.

      »Da behaupte noch einer, die schwedische Wildnis wäre einsam«, kommentierte Annalisa, als das Knirschen der Reifen verhallte.

      »Na ja, so belebt wie Hamburg ist es jetzt nicht.«

      »Und deswegen sind wir ja hier!«

      »Genau.«

      Am Abend stellten sie fest, dass das Wasser aus den Leitungen eine rostrote Farbe angenommen hatte.

      »Wie Blut.« Annalisa zog eine schauerliche Grimasse.

      »Das ist das eisenhaltige Gestein hier. Da ist wohl der Filter in unserer Quelle kaputt!« Rainer seufzte. »Ich fahre morgen gleich mal in die Stadt und schaue nach einem neuen Filter. Ach ja, und unseren Antrag auf eine Personennummer beim Skatteverket kann ich da auch gleich abgeben.«

      Als es Nacht geworden war, machten sie mit Weinbechern in der Hand einen kleinen Spaziergang. Der Mond schien über die Wipfel der Bäume und verwandelte sie in Scherenschnitte auf dem Diamantteppich der Sterne. Es war angenehm warm.

      »Wie ruhig es hier ist«, flüsterte Annalisa.

      »Und wie gut die Luft!« Rainer atmete tief ein. Sie gingen ein Stück auf der Schotterpiste entlang und nippten an dem vorzüglichen trockenen Rotwein. Weit vor ihnen begann ein funkelnder Fleck zwischen den Bäumen zu irrlichtern.

      »Schau mal! Ist das ein Graugnom mit Laterne?«, wunderte sich Annalisa.

      »Eher ein Auto. Ist ja mehr los als bei uns auf der Straße«, meinte er.

      Tatsächlich kam ihnen ein Volvo im Schritttempo entgegengefahren und hielt neben ihnen. Die Fensterscheibe wurde heruntergekurbelt. Im Glimmen der Armaturen erkannten sie Lasse mit seiner Frau und einem großen, schwarzen Hund.

      »Hej!«

      »Hallo.«

      »Wie geht es? Sollen wir euch mitnehmen? Ist alles in Ordnung?«

      »Alles bestens!« Rainer lachte. »Wir genießen die Nacht.«

      »Dann seid vorsichtig«, riet der Mann.

      »Wegen der Wölfe?«, fragte Annalisa im Scherz.

      Lasse blieb ernst.

      »Hier lebt ein Rudel, aber Wölfe greifen Menschen nicht an. Bären schon eher.«

      »Jagt ihr Bären?«

      »Wir fahren Patrouille. Es ist eine Räuberbande gesichtet worden, die einsame Höfe ausräumt. Die fahren mit dem Umzugswagen vor, und in einer halben Stunde ist das Haus leer. Aber nicht mit uns.«

      »Oh! Ja, über diese breiten Straßen kommt man selbst mit einem Umzugswagen mühelos durch den Wald«, sagte Rainer unbeholfen.

      »Ja, das sind die alten Eisenbahntrassen«, erklärte Lasse. »Vor hundert Jahren wurde hier überall Erz abgebaut. Und genau hier stampften Dampfrösser entlang. Du bist doch interessiert an alten Gruben? Die gibt es hier überall.«

      Annalisa lachte und prostete Rainer zu. »Ha, erwischt, du bist nur wegen der alten Gruben hierhergezogen! Da strahlt der kleine Höhlenforscher aber, was?«

      Lasse lachte ebenfalls. »Ja, Höhlen erforschen könnt ihr hier allerdings. Für die meisten Stollen hat sich noch nie jemand interessiert.«

      »Oh ja! Was für eine Gelegenheit!« Rainers Augen leuchteten auf.

      »Übrigens, bald beginnt die Elchjagd, willst du nicht mit unserer Jagdgruppe mitkommen? Vielleicht kommen wir auch an ein paar alten Sachen vorbei.«

      »Elchjagd? Aber … na aber gern!«, antwortete Rainer überrumpelt.

      Wenig später fuhr der Wagen weiter. Als er zwischen den Bäumen verschwand, erinnerten seine Rücklichter an die Augen eines Ungeheuers.

      »Elchjagd?«, wunderte sich Annalisa.

      »Ähm … na ja, das klingt doch spannend. Außerdem, das Angebot hätte ich schlecht ablehnen können, oder?«, erwiderte Rainer. Aus irgendeinem Grunde hatte er dabei ein schlechtes Gefühl. Er schob es auf die unheimliche Begegnung im Keller.

      »Die armen Elche. Gehen wir zurück«, sagte Annalisa und schlang ihr Jäckchen enger um sich. »Mir wird kalt.«

      Auf dem Rückweg wirkte die Schotterpiste düster. Die Stille wurde drückend. Es war, als seien die Bäume näher an den Weg herangerückt. Rainer war auf unbestimmte Weise erleichtert, als er die Haustür aufsperrte und das elektrische Licht anknipste.

      Feine Rinnsale zähen, grauen Nebels flossen unbemerkt am Fuß des alten Bahndamms entlang und vereinigten sich zu Strömen, ehe sie sich wieder auflösten.

      Ein erster Gast

      In Deutschland waren die Schweden für ihre freundliche Art bekannt, für das direkte Du und für ihr Lächeln. Alles dies traf auch zu, stellte Rainer fest, als er zu der ›Skatteverket‹ genannten Steuerbehörde fuhr. Das hinderte die freundliche, blonde, strahlendäugige Bearbeiterin aber nicht daran, bekümmert dreinzublicken und festzustellen:

      »Ohne den Einkommensnachweis geht das nicht. Wir brauchen den Beleg, dass genug Eigenmittel für mindestens ein Jahr Aufenthalt vorhanden sind. Oder, dass hier in Schweden ein Beruf ausgeübt wird.«

      »Aber ich hatte das doch schon bei der Einwanderungsbehörde eingereicht, beim Migrationsverket?«

      Der Gesichtsausdruck der Bearbeiterin wurde um einen Deut bekümmerter. »Leider nützt uns das nichts. Skatteverket prüft die Unterlagen selber, und Migrationsverket gibt sie grundsätzlich nicht heraus.«

      »Kann ich die Bankbelege ergänzen?«

      »Leider nein. Es muss alles erneut eingereicht werden.«

      »Da können wir nichts machen?«

      Die Frau, so schön wie ein See in der Wintersonne, hob die Schultern. Sie war offensichtlich auch so hart wie das Eis eines Sees. »Leider nein.«

      Ein wenig frustriert verließ Rainer das Amt und beschloss, erst einmal Wein einzukaufen. Den gab es ausschließlich in einer Handelskette namens Systembolaget. Praktischerweise lag eine Filiale gleich um die Ecke vom Skatteverket, neben der Bank. Angesichts dessen musste Rainer grinsen.

      Nach einer Viertelstunde in dem Laden, der gut als Horrorkabinett für Geldbeutel herhalten könnte, entschied er sich für einen Dreiliterweinkanister. Immerhin war der in einer schönen Pappschachtel verpackt. In Deutschland hätte er nicht im Traum daran gedacht, Wein in anderen Behältern als in Glasflaschen zu kaufen, aber der Preis war hier einfach das gewichtigere Argument.

      Nicht allein der Wein bot eine gewisse Herausforderung. Brot erwies sich als noch schwierigeres Terrain. Da es keine Bäckereien gab, stand Rainer wenig später vor dem Regal im Supermarkt und musterte die zahllosen Plastiktüten mit geschnittenem Industriebrot. ›Besonders malzig‹, ›mit extra Preiselbeersirup‹ und dergleichen stand auf den Packungen. Ein Brot, das nicht nach Äpfeln, Preiselbeeren, anderen Früchten oder einfach nur süß schmeckte, fand sich hingegen nicht. Nach einigem Suchen fand Rainer ein krustiges Weißbrot, aber als er es anfasste, ließ es sich zusammendrücken wie ein platter Fußball. Er seufzte und nahm ein dunkles Scheibenbrot, das wenigstens ein bisschen vertrauenerweckender aussah, und packte noch ein Preiselbeerbrot fürs Frühstück ein. Umgekehrt erwies es sich als schwierig, eine ungesalzene Butter zu finden. Rainer schüttelte den Kopf. Süßes Brot und salzige Butter, als wollte man mit dem einen das andere aufheben …

      Als