Название | Der blaue Vorhang |
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Автор произведения | Ingo Rose |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955102661 |
»Du weißt es, ich habe es dir gesagt – für mich kommt eine Ehe keineswegs in Frage«, sagte Isadora mit fester Stimme.
Er breitete die Arme aus. »Dann lass es eine wilde Ehe sein. Hauptsache, wir sind zusammen.«
»Aber – wie stellst du dir unser Leben vor? Ich werde nächste Woche auf Tournee gehen, und ich denke nicht daran, die Gastspiele abzusagen. Und du … du probst den Marc Anton …«
»Richtig. Und du kannst diese Rolle mit mir üben. Dein Urteil bedeutet mir alles. Was meinst du – wäre denn die Rolle als Frau an meiner Seite für dich so gänzlich unannehmbar? Du sitzt abends in der Loge und sagst mir in der Nacht bei einem Glas Tokajer, was ich noch ändern sollte?«
Und ehe Isadora antworten konnte: ›Wie wär’s, wenn ich des Abends auf der Bühne stünde und du zuschautest‹, hatte Beregi sie um die Taille gefasst und hinausgeleitet, um mit ihr eine Kutschfahrt anzutreten. Es ging zu einem Haus, in dem Oscar eine Wohnung für sich und seine Liebste mieten wollte. »Wie findest du es hier? Für den Anfang würde es genügen. Die Küche ist ganz neu eingerichtet.« Isadora stöhnte. Er küsste sie, und sie sagte:
»Ich möchte jetzt sofort mit dir ins Bett.«
»Einverstanden. Aber nur, wenn du mich heiratest.«
Nach und nach begriff Beregi, dass seine Geliebte es ernst meinte, wenn sie sagte, ihre Kunst stünde für sie an erster Stelle und sie wolle niemals eine Ehe eingehen. Er fand sie auf der Bühne ja auch so überwältigend, dass er ihr diese Einstellung zugestand. Andererseits hielt er sich selbst für die beste Partie der Welt, und deshalb hoffte er immer noch, dass sie es sich überlegen würde. Das hoffte er auch um seiner selbst willen. Denn schließlich: Hatte er jemals eine so leidenschaftliche Geliebte besessen? Die dazu noch unberührt in seinen Armen angekommen war? Eine Frau, die so wundersame Worte zu sagen wusste über seine Haare, seinen Mund, seine Stimme und sogar über seine Füße? Nein, das hatte er nicht. Einstweilen aber war sie unterwegs nach Franzensbad, und Oscar vertiefte sich in den Marc Anton.
Für Isadora war die Tour durch die Bäder eine Qual. Sie war so erfüllt von Sehnsucht nach Oscar und so unglücklich über seine Abwesenheit, dass sie keinen Schlaf fand und der Appetit ihr verging. Trotzdem trat sie auf und tanzte zu Gluck, Chopin und Wagner. Bald sah sie abgezehrt aus und musste ihre Tuniken enger stecken, man hätte sonst ihre schmale Gestalt in den wallenden Gewändern kaum noch wahrgenommen. Schließlich fiel sie krank aufs Lager. Glücklicherweise gab es in Franzensbad gute Ärzte. Die Mutter fütterte ihr Kind mit Rinderbrühe, Elizabeth half der Kranken bei der Wasserkur, aber es wurde nicht besser. Beregi erfuhr von ihrem Zustand und kam kurz entschlossen angereist. Er schlich sich sogar für die Nacht in ihr Krankenzimmer und sorgte so für eine nachhaltigere Therapie. Die Krankenschwester wurde wütend, als sie ihn entdeckte und warf ihn kurzerhand hinaus. Aber er blieb in der Nähe und besuchte Isadora täglich. Allmählich kam sie wieder auf die Beine. Sie liebte ihren Oscar und er sie, aber er musste wegen der Premiere des Julius Cäsar zurück nach Budapest und sie mit Mutter und Elizabeth weiter nach Karlsbad. Sie bemühten sich beide, dem Pathos der getrennten Liebenden Inspiration für ihre Bühnenpräsenz abzugewinnen, fühlten und wussten aber, dass es so nicht weitergehen konnte und eine Entscheidung anstand. Sie entschieden sich für die Trennung. Aber sie blieben einander gewogen und sahen sich später wieder.
Alexander Grosz übte keinerlei Druck auf seine Tänzerin aus, ganz im Gegenteil, er tröstete und besänftigte sie, wenn sie weinte, weil sie sich zu krank fühlte, um aufzutreten.
Er sagte: »Ich verstehe Sie gut, Isadora. Oscar Beregi ist ein großartiger Schauspieler und ein umwerfend schöner Mann. Wer könnte ihm widerstehen? Wäre ich eine Frau …«
Isadora putzte sich die Nase. »Schon gut, Alexander. Ich danke Ihnen für Ihre Sympathie. Aber was soll ich tun? Ich bin hin- und hergerissen. Oscar, die Bühne, der Mann, die Kunst –«
»Natürlich, das ist ein Konflikt. Aber ich denke, verzeihen Sie, auch ans Geschäft. Wir können uns noch fünf, sechs Tage ohne Auftritt leisten, dann wird es finanziell eng. Was halten Sie von München? Ich hätte da Verbindungen.« Isadora maß in Gedanken den Abstand von Budapest nach München und nickte traurig.
Ihren Trennungsschmerz verwandelte sie in Kunst. Sie ersann eine Variante der Geschichte von Iphigenie, einen Tanz, der den Abschied vom Leben am Altar des Todes darstellt. Für eine endgültige Genesung begab sie sich mit Elizabeth ins mondäne Seebad Abbazia (Opatija) auf der Halbinsel Istrien, den ersten Kurort an der österreichischen Adriaküste. Die beiden Frauen fuhren die schmale Küstenstraße auf der Suche nach einer Unterkunft rauf und runter und erregten so die Aufmerksamkeit der Leute in dem kleinen Ort, auch die des Erzherzogs Ludwig Viktor, des jüngsten Bruders vom österreichischen Kaiser. Ludwig Viktor, ein bekennender Uranier, lud die beiden kurzerhand in seine Villa im Garten des Hotels Stephanie ein, dort konnten sie wohnen. Das wiederum löste eine nicht geringe Irritation in den aristokratischen Kreisen des Kurortes aus, die sich neugierig an die Tänzerinnen wandten – doch nicht etwa aus Interesse an der Kunst, nein, die meisten wollten herausfinden, in welchem Verhältnis die Frauen zu Ludwig Viktor standen. Die Schwestern ließen es sich gut gehen, speisten ausgiebig und gingen schwimmen, natürlich nicht in dieser Reihenfolge. »Damals führte ich ein Badekostüm ein, das bald sehr beliebt wurde, eine leichte blaue Tunika aus hauchfeinem Crêpe de Chine, mit tiefem Nackenausschnitt, dünnen Trägern, einem Rock, der eben die Knie bedeckte, die Beine nackt. Es war noch üblich, vollständig in Schwarz gekleidet mit knöchellangen Hosen und Schuhen ins Wasser zu gehen. Man kann sich vorstellen, was für ein Aufsehen ich erregte. Der Erzherzog wandelte stets mit einem Opernglas bewehrt die Promenade entlang und beobachtete uns. Gut hörbar murmelte er: ›Ach, wie schön ist diese Duncan. Ach, wie wunderschön! Diese Frühlingszeit ist nicht so schön wie sie.‹«
Jener paradiesische Flecken Erde inspirierte Isadora Duncan zu einer wiederkehrenden Stilfigur ihrer Kunst. Denn hier in dem gemäßigten Klima wuchsen Palmen direkt vor ihrem Fenster, sie konnte sie oft beobachten.
»Ich bemerkte, wie die Palmblätter sich in der Morgenbrise wiegten und kreierte ähnliche Bewegungen für meinen Tanz, etwa das Flattern der Arme, Hände und Finger. Viele meiner Nachahmerinnen haben das zu kopieren versucht, ohne dass sie überzeugen konnten. Denn sie wussten nichts von der Quelle dieser Bewegungen, dem kontemplativen Zittern der Palme, und konnten sie daher nicht innerlich empfangen, bevor sie äußerlich Gestalt annahmen.«
Grosz kabelte, er habe da eine Anfrage: »Münchner Künstlerhaus. Stop. Was meinen Sie?« Von diesem Etablissement hatte Isadora gehört, es war erst vor wenigen Jahren unter dem Motto Das Haus soll allen Künstlern Münchens ein Sammelplatz sein für Frohsinn, Rat und ernste Tat eröffnet worden – ein opulent ausgestatteter Neorenaissance-Bau, der wegen seiner ungewöhnlichen Fassade ins Auge fiel. »Dort traf sich täglich ein Kreis von Künstlern um die Meister Kaulbach, Lenbach und von Stuck, um das gute Münchner Bier zu trinken und über Philosophie und Kunst zu debattieren.« Die Duncans und Grosz fuhren im November 1902 nach München, und Isadora trat im Künstlerhaus auf. Aber das war nicht selbstverständlich, es gab im Vorfeld Widerstände gegen den Auftritt einer Tänzerin, insbesondere von Franz von Stuck. Der Jugendstilmaler fand eine leicht bekleidete, barfuß tanzende Frau unpassend in diesem Tempel der Kunst. Dabei hatte sich der Mann über Jahre mit dem Thema Tanz in Paar- und Reigentänzen sowie einzeln tanzender Frauen intensiv beschäftigt. Also glaubte er kompetent zu sein und fürchtete, Isadora würde ihn enttäuschen oder, schlimmer noch, den Kunsttempel mit vulgärem Exhibitionismus entweihen. Wenn Isadora solchen Vorbehalten begegnete, trat sie meist einen Schritt auf die Menschen zu. Eines Morgens besuchte sie also den Künstler